Webgiornale 1-15 dicembre 2023

Inhaltsverzeichnis

1.     Umfrage. Bevölkerung mehrheitlich für Absenkung von Einbürgerungshürden. 1

2.     Klimawandel verschärft Konflikte, Hunger und Flucht in ärmsten Ländern. 1

3.     Flüchtlingspolitik. EU will globale Allianz gegen Schleuser. 1

4.     Verbände fürchten bei CDU/SPD-Koalition Rückschritte bei Integration in Hessen. 1

5.     Aufruf: Hessen braucht eine Integrationsoffensive. 1

6.     Asylpolitik. Konzeptionelle Leerstelle. 1

7.     Antisemitische Vorfälle in Deutschland haben sich vervierfacht. 1

8.     Nord-Süd-Konflikt verschärft sich. 1

9.     Nahost in Deutschland. Ausgegrenzt und angefeindet – Generalverdacht frustriert Muslime. 1

10.  Studie zu Karrierewegen internationaler Forschender in Deutschland veröffentlicht 1

11.  Interview. BA-Vorstand Terzenbach: Berufstätigkeit ist der Weg zur Integration. 1

12.  Grüne-Jugend scheitert. Parteitag lehnt Forderung nach Abkehr vom Ampel-Asylkurs ab. 1

13.  Nahost: „Keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung“. 1

14.  Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine bis 2025 verlängert. 1

15.  Europäischer Gerichtshof. Kein automatischer Schutzstatus für Eltern von Flüchtlingskindern. 1

16.  Massiver Rechtsruck. Islamhasser Wilders klarer Wahlsieger in den Niederlanden. 1

17.  Gefährlicher Vertrauensverlust. 1

18.  Klimakonferenz. „Die Verschmutzer säubern ihr Gewissen“. 1

19.  Schreckgespenst Schuldenkrise. 1

20.  Amnesty-Deutschland-Report. Versäumnisse in der Strafverfolgung rasstischer Verbrechen. 1

21.  50 Organisationen appellieren. Menschenrechtler befürchten Kriminalisierung der Seenotrettung. 1

22.  Leitkultur und Obergrenze. CSU präsentiert Stammtisch-Papier zu Integration. 1

23.  UNICEF: Sudan ist eine Hölle für Millionen Kinder geworden. 1

24.  Heiliger Stuhl: Zwei-Staaten-Lösung Weg zum Frieden zwischen Israel und Palästina. 1

25.  Krieg in Nahost - Antisemitismus in Deutschland. Was tun gegen den Hass?. 1

26.  Argentinien. Der Mann mit der Kettensäge. 1

27.  Jusos fordern von Scholz Kursänderung in der Flüchtlingspolitik. 1

28.  DAAD und Bundesbildungsministerium starten Fachkräfte-Initiative. 1

29.  Tag der Kinderrechte: Gesundheit von Kindern durch die Klimakrise massiv gefährdet?. 1

30.  Voll, laut, gefährlich. Kritik an Zuständen in Flüchtlingsunterkünften. 1

31.  Krachende Niederlage. Gericht stoppt Sunaks Asyl-Pakt mit Ruanda. 1

32.  ifo Institut: Die meisten Unternehmen wollen aktuelle Homeoffice-Vereinbarungen behalten. 1

33.  Newsletter VERSO SUD und besondere italienische Filmvorführungen. 1

 

 

 

 

Per problemi redazionali-tecnici non esce in questo numero la parte in italiano. Ce ne scusiamo con i lettori.

 

 

Umfrage. Bevölkerung mehrheitlich für Absenkung von Einbürgerungshürden

 

Die Ampel-Koalition will das Staatsangehörigkeitsrecht ändern. Dass die Einbürgerung für ehemalige sogenannte Gastarbeiter leichter werden soll, findet eine Mehrheit der Menschen in Deutschland gut. Auch andere Teile der geplanten Reform erhalten weitestgehend Zuspruch.

Die von der Ampel-Koalition geplante Absenkung der Hürden für die Einbürgerung hat im Frühjahr etwa die Hälfte der Bevölkerung überzeugt. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim). Einzelne Aspekte dieses Gesetzesvorhabens fanden zum Zeitpunkt der Befragung – zwischen Ende März und Anfang Mai – teils noch deutlich mehr Zustimmung als andere. Ob sich die Einstellungen zur Reform durch die jüngsten Entwicklungen und Debatten zu Asylpolitik und Arbeitskräfteeinwanderung seither womöglich verändert haben, geht aus der Untersuchung nicht hervor.

Zwischen SPD, Grünen und FDP gibt es vor der ersten Lesung im Bundestag an diesem Donnerstag noch unterschiedliche Meinungen zu einigen Details des Gesetzentwurfs, den das Kabinett Ende August beschlossen hatte. Vor allem die Regel, dass, wer Deutscher werden will, seinen Lebensunterhalt dauerhaft selbst bestreiten muss, will die FDP nicht aufweichen. Für seine Fraktion spiele es keine Rolle, ob man fünf oder acht Jahre im Land ist», sagte der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. „Voraussetzung ist, dass man seinen Lebensunterhalt sichern kann.“

Mehrheit für Einbürgerungserleichterungen

Auf die eher allgemein gehaltene Frage „Wie beurteilen Sie den Vorschlag, dass der deutsche Pass unter bestimmten Voraussetzungen einfacher erworben werden kann?“ antworteten bei der Dezim-Umfrage 49 Prozent der befragten Deutschen und Ausländer positiv. 34 Prozent äußerten sich negativ. In der Mitte angesiedelt waren die Antworten von 17 Prozent der knapp 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Zuwanderer sollen laut Kabinettsbeschluss künftig bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Staatsbürger werden können. Bisher müssen sie mindestens acht Jahre im Land leben. Bei guten Leistungen in Schule oder Job, guten Sprachkenntnissen oder ehrenamtlichem Engagement soll die Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein.

Wer einen deutschen Pass haben möchte, soll den alten künftig nicht mehr aufgeben müssen. Das gilt jetzt schon für EU-Bürger und einige Sonderfälle, aber beispielsweise nicht für Menschen aus der Türkei oder den Westbalkanstaaten.

Anerkennung von Lebensleistung findet Zuspruch

Auf schriftliche Deutsch-Prüfungen und einen Einbürgerungstest soll bei älteren Menschen, die einst über staatliche Abkommen als Arbeitskräfte ins Land gekommen waren, verzichtet werden. Sie müssen nur nachweisen, dass sie sich im Alltag ohne nennenswerte Probleme auf Deutsch verständigen können.

Dass der Entwurf in Anerkennung ihrer Lebensleistung für ehemalige „Gastarbeiter“ und ausländische Vertragsarbeiter der DDR Erleichterungen vorsieht, fanden 63 Prozent der vom Dezim befragten Menschen gut. 16 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen beurteilten diesen Vorschlag negativ. 22 Prozent der Teilnehmer der Umfrage entschieden sich auf einer Skala von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ für einen mittleren Wert.

Mehrheit für Doppelpass

Die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit für alle Einbürgerungswilligen beurteilten 43 Prozent der Bevölkerung positiv, 37 Prozent fanden das schlecht. Jeder Fünfte äußerte sich zu diesem Teil der geplanten Reform weder positiv noch negativ.

Jannes Jacobsen, einer der Autoren der Studie, meldet grundsätzliche Bedenken an. „Es ist fraglich, ob die geplante Reform die bestehenden Lücken schließen kann“, sagt er. Sie könne in einigen Fällen schneller zum deutschen Pass führen – in anderen die Hürden aber auch erhöhen. Beispielsweise würde der Kreis derjenigen, die bei besonderen Härten auch dann nach Ermessen eingebürgert werden können, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, kleiner, sollte der Entwurf in der aktuellen Form beschlossen werden.

Diskussionsbedarf bei Sicherung des Lebensunterhalts

Zu den wenigen Ausnahmen, die es hier auch in Zukunft noch geben soll, zählen die ehemaligen Gast- oder Vertragsarbeiter. Unter ihnen sind etliche – vor allem Frauen – die aufgrund langjähriger Beschäftigung im Niedriglohnsektor im Alter teilweise auf Sozialleistungen angewiesen sind. Nach derzeit geltendem Recht ist Voraussetzung für die Einbürgerung, dass jemand sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist. Davon könne allerdings „zur Vermeidung einer besonderen Härte“ abgesehen werden.

Zur Anforderung, den Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, könnten sich die Fraktionen der Grünen und der SPD vorstellen, im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen beziehungsweise mehr Ausnahmen vorzusehen – etwa für Alleinerziehende. In der FDP hält man davon nichts. Ziel der Reform sei „eine erleichterte Einbürgerung von Menschen, die in Deutschland arbeiten“, betonte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Konstantin Kuhle. „Dazu passen keine Erleichterungen für Menschen, die von Transferleistungen leben.“

FDP will Antisemitismus-Klausel

Die FDP ihrerseits überlegt dem Vernehmen nach, ob man neben dem im Entwurf bereits enthaltenen Ausschlussgrund Antisemitismus auch noch ein Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel von Einbürgerungswilligen verlangen sollte. Für eine Konkretisierung sei man an dieser Stelle zwar generell offen, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Eine Einbürgerungsbehörde habe aber keine Ermittlungskompetenz und werde auch nicht zum Gericht.

Schon jetzt wird von einem Einbürgerungswilligen verlangt, „dass seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist“. Die Ampel will das noch konkreter ausführen und dafür – Stand jetzt – folgenden Satz ins Gesetz hineinschreiben: „Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes.“ Die aktuelle Rechtslage habe in diesen Fragen zu viel Spielraum gelassen, findet FDP-Fraktionschef Dürr.

Experte: Reform erhöht Einbürgerungszahlen nur kurzfristig

Von den in Deutschland lebenden Ausländern ist laut einer weiteren Erhebung des Dezim etwa jeder Zweite daran interessiert, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben oder hat dies bereits beantragt. Eingewanderte Frauen haben demnach ein stärkeres Interesse am deutschen Pass als eingewanderte Männer. Die Migrationsforscher hatten dafür rund 430 Menschen befragt, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben.

Niklas Harder, Co-Leiter der Abteilung Integration am DeZIM, ordnete dieses Ergebnis ein: „Kurzfristig könnte die Zahl der Einbürgerungsanträge durch die Reform steigen. Langfristig würde sie unter den aktuellen Bedingungen in erster Linie zu früheren, aber nicht unbedingt zu mehr Einbürgerungen führen. Es wäre wichtig, die zuständigen Behörden bei der Reform mitzunehmen. Bereits jetzt gibt es teilweise sehr lange Wartezeiten. Um die Zahl der Einbürgerungen zu erhöhen, müsste die Leistungsfähigkeit der Verwaltung gestärkt werden.“ (dpa/mig 30)

 

 

 

Klimawandel verschärft Konflikte, Hunger und Flucht in ärmsten Ländern

 

Friedrichsdorf – Ein im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP28 veröffentlichter Bericht der internationalen Kinderhilfsorganisation World Vision zeigt auf, wie Menschen in stark betroffenen ärmeren Ländern den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Konflikt, Hunger und Vertreibung erleben. 86 Prozent der in neun Ländern befragten Menschen haben nach eigenen Angaben bereits mit den Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen. Über die Hälfte gibt an, dass der Klimawandel Konflikte in ihrem Umfeld verschärft. Und sogar 99 Prozent, dass es zu klimabedingter Vertreibung und Flucht kommt. 

 

"Diese Untersuchung macht die Folgen jahrzehntelanger Untätigkeit seitens der internationalen Gemeinschaft deutlich, erklärt Fiona Uellendahl, Expertin für Ernährungssicherung bei World Vision. „Am stärksten trifft es die Kinder. Sie müssen die Folgen der verfehlten Klimapolitik auch langfristig tragen und sind besonders verletzlich. Die Klimakrise zwingt immer mehr Menschen, ihre Heimat zu verlassen, auf der Suche nach Weideland, Nahrung und Sicherheit. Für Kinder bedeutet dies den Verlust ihrer Freunde und oft auch den Abbruch ihrer schulischen Ausbildung.“

 

80 Prozent der Befragten sind aufgrund des Klimawandels mit einer schlechteren wirtschaftlichen Situation konfrontiert. Etwa 60 Prozent sehen sogar ein erhöhtes Hunger-Risiko. Die Folgen der Klimakrise setzt vor allem Bauern und Hirten zu. Sie sind gezwungen, neue Möglichkeiten zu finden, um ihre Familien weiterhin versorgen zu können. Dadurch wiederum erhöhen sich soziale Spannungen in ihren Gemeinden und in betroffenen Regionen.  

 

Fast einhellig wurde angegeben, dass die Klimakrise zu ungewollter Migration führt. Entweder kommen Klimaflüchtlinge in die Gemeinden der Befragten, oder die Menschen müssen ihr Zuhause verlassen und dahin gehen, wo sie noch Perspektiven für sich sehen. Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, in den letzten 12 Monaten Konflikte erlebt zu haben, die mit Konkurrenz um Land oder Wasser verbunden waren.

 

Uellendahl warnt in diesem Zusammenhang vor weiteren negativen Folgen für Umwelt und Klima: "Wenn Konflikte aufflammen und Menschen vertrieben werden, besteht die Gefahr, dass die natürlichen Ressourcen noch ungezügelter ausgebeutet werden. Fast ein Drittel der von uns befragten Menschen gab an, dass die Abholzung von Sträuchern und Wäldern zugenommen hat. Der Rückgang der Ernteerträge zwang die Menschen, nach neuem Land für den Nahrungsmittelanbau zu suchen oder sich dem Bergbau zuzuwenden, um ihre Familien ernähren zu können." 

 

Auch diese Tendenz hat vor allem für Kinder und Jugendliche schwerwiegende Konsequenzen, da ihnen dadurch perspektivisch die Lebensgrundlage entzogen wird. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt, so World Vision.

 

Uellendahl: "Die Industrie-Nationen müssen endlich ihre Versprechen zur Klima-Finanzierung einhalten. Die Menschen im globalen Süden brauchen Unterstützung, um den Folgen der Klimakrise entgegenwirken zu können. Die Umwelt darf nicht noch weiter zerstört und Konflikte dürfen nicht weiter verschärft werden. Wir sind es unseren Kindern schuldig, den Planeten zu schützen. Wenn wir das jetzt nicht tun, wird die Welt nicht nur heißer, sondern auch blutiger und hungriger." 

Der Bericht zum download: https://www.worldvision.de/sites/worldvision.de/files/pdf/WorldVision_Bericht_Rising_Storms_2023.pdf.  World Vision Deutschland e.V. 29 

 

 

 

 

Flüchtlingspolitik. EU will globale Allianz gegen Schleuser

 

Mehrere Hundert Delegierte aus knapp 60 Ländern haben auf Einladung der EU-Kommission über die Bekämpfung internationaler Schleuser beraten. Kommissionspräsidentin von der Leyen strebt eine globale Allianz an.

Die Europäische Union (EU) will ein globales Netzwerk im Kampf gegen Schleuserkriminalität aufbauen. Auf Einladung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kamen am Dienstag 415 Delegierte aus 57 Ländern für eine Konferenz über dieses Thema in Brüssel zusammen. Das Treffen soll künftig jährlich stattfinden. Teilnehmen sollen Mitgliedstaaten, Partnerländer, internationale Organisationen, aber auch Online-Plattformen, wie von der Leyen bei der Eröffnung erklärte.

Schleuser würden von Natur aus grenzübergreifend arbeiten, darum müssten sich auch ihre Gegner international vernetzen. Die EU arbeite schon an bilateralen Abkommen entlang aller Migrationsrouten. „Aber wir brauchen auch eine globale Allianz“, sagte von der Leyen. Das Bündnis müsse im geografischen Sinne umfassend sein, aber auch im Hinblick auf die Akteure.

Ein neuer Fokus sei das sogenannte „digitale Schleusen“, erklärte die Kommissionspräsidentin. Schlepper und Schleuser würden ihre Dienste meist in den sozialen Medien anbieten, sie würden sich mithilfe von Nachrichtendiensten organisieren und online von den Migranten bezahlt. Schleuserkriminalität könne man daher nur international und in Zusammenarbeit mit Internetkonzernen bekämpfen.

Legale Fluchtwege

Wichtigstes Ziel sei die Prävention. Migranten sollten sich gar nicht erst in die Hände von Schleppern und Schleusern begeben, sagte von der Leyen. International müssten Rechtsvorschriften gegen Menschenschmuggel überarbeitet werden. Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften müssten besser zusammenarbeiten.

Zusätzlich müsse es mehr legale Wege für Migrantinnen und Migranten geben. In der EU sei der Fachkräftemangel auf einem Rekordhoch. Die EU brauche Migration. „Aber Migration muss von Recht und Gesetz gesteuert werden und nicht von Kriminellen“, erklärte von der Leyen. Ob und welche legalen Fluchtwege für Menschen in Not geschaffen werden sollen, ließ die Kommissionspräsidentin allerdings offen. (epd/mig 29)

 

 

 

 

Verbände fürchten bei CDU/SPD-Koalition Rückschritte bei Integration in Hessen

 

Ein Sondierungspapier der hessischen CDU und SPD ruft Menschenrechtler auf den Plan. Sie befürchten eine restriktive Integrationspolitik. Das schwarz-rote Papier atme fast ausschließlich den Geist von Desintegration und Restriktion.

Verbände und Initiativen fürchten nach Veröffentlichung eines Sondierungspapiers von CDU und SPD, dass die mögliche kommende Landesregierung eine restriktive Integrationspolitik verfolgen könnte. „Die sich hier andeutende hessische Integrationspolitik atmet fast ausschließlich den Geist von Desintegration und Restriktion statt auf positive Anreize zu setzen“, teilten die unterzeichnenden Organisationen des Aufrufs „Hessen braucht eine Integrationsoffensive“ am Dienstag mit. In den Eckpunkten werde kein Wort verloren über Fördervorhaben für eine gesellschaftliche und arbeitsmarktorientierte Integration.

Die Unterzeichner fordern eine verantwortungsvolle Integrationspolitik von der nächsten hessischen Landesregierung. Sie dürfe völker- und menschenrechtliche Verpflichtungen nicht aushöhlen, sondern müsse die Menschenwürde und die Rechte aller Geflüchteten und Migranten schützen. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem die Diakonie, der Deutsche Gewerkschaftsbund und der hessische Flüchtlingsrat.

Unterzeichner fordern Integrationsoffensive

Um seinen Wohlstand auch nur annähernd zu halten und zukunftsfähig zu werden, brauche Hessen deutlich mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt sowie massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, so die Unterzeichner weiter. „Von der nächsten hessischen Landesregierung erwarten wir daher, nicht mehr gegen Migrant:innen und Flüchtlinge und das unabhängige zivilgesellschaftliche Engagement zu agieren, sondern mit uns zusammen eine echte Integrationsoffensive zu starten“, heißt es in der Erklärung.

CDU und SPD hatten sich auf Eckpunkte für eine Koalition geeinigt. Ihr sechs Seiten langes Papier soll eine Grundlage für den möglichen schwarz-roten Koalitionsvertrag sein. Die beiden Parteien bekennen sich zu einer Begrenzung der Migration und zum Schutz der europäischen und deutschen Außengrenzen unter anderem mit stationären Grenzkontrollen. Zudem ist eine Rückführungsoffensive verankert. Gemeinsam mit den Kommunen soll eine Bezahlkarte für Geflüchtete eingeführt werden. (dpa/mig 29)

 

 

 

 

Aufruf: Hessen braucht eine Integrationsoffensive

 

Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (agah) ist Teil eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses, welches sich für eine zukunftsorientierte und humanitäre Migrations- und Flüchtlingspolitik einsetzt.

Viele hessische Verbände und Initiativen zeigen sich besorgt angesichts des am 11.11.2023 veröffentlichten Sondierungspapiers zwischen der CDU und der SPD und den darauf basierenden Koalitionsverhandlungen im Bereich „Migration und Integration“. Die sich hier andeutende hessische Integrationspolitik atmet fast ausschließlich den Geist von Desintegration und Restriktion statt auf positive Anreize zu setzen. Kein Wort wird in den Eckpunkten verloren über fördernde Vorhaben gesellschaftlicher und arbeitsmarktorientierter Integrationsangebote und -rechte.

 

Dem setzen die unterzeichnenden Organisationen ihren Aufruf für eine Integrationsoffensive entgegen. Statt Diskurse der Begrenzung und Entrechtung zu bedienen, fordern wir eine verantwortungsvolle Integrationspolitik von der nächsten hessischen Landesregierung, die völker- und menschenrechtliche Verpflichtungen nicht auszuhöhlen sucht, sondern die Menschenwürde und die Rechte aller in unserem Land lebenden Geflüchteten und Migrant*innen schützt - statt sie in Gefahr zu bringen.

 

Die agah erwartet darüber hinaus, dass es in den Koalitionsverhandlungen auch um die Stärkung der demokratischen Teilhabe von Migrant*innen geht. Dazu hat die agah im Juni 2023 eine Broschüre veröffentlicht, die Empfehlungen zur Modernisierung und Weiterentwicklung der kommunalen Ausländerbeiräte enthält. Dieses Positionspapier ist unser Beitrag zu der Frage, welche Strukturen erforderlich sind, um eine institutionalisierte, demokratisch legitimierte Form der politischen Partizipation von Migrant*innen ohne deutschen Pass sicher zu stellen.

 

Der oben erwähnte Aufruf befindet sich im Anhang dieser Mail und  ist darüber hinaus online abrufbar unter: Integrationsoffensive 28.11.23.pdf (paritaet-hessen.org) oder https://t.ly/6gRKV 

Die Broschüre „Demokratische Teilhabe stärken“ befindet sich ebenfalls im Anhang dieser Mail und kann darüber hinaus in gedruckter Form in der Landesgeschäftsstelle der agah bestellt werden.  Agah 28

 

 

 

 

Asylpolitik. Konzeptionelle Leerstelle

 

Hohe Antragszahlen belasten das Asylsystem der EU. Eine Begrenzung des Zustroms unter Wahrung des humanitären Schutzes Bedürftiger ist unerlässlich. Winfried Kluth

 

In der Asylpolitik ist in den letzten acht Jahren der humanitär-solidarische Grundton, als dessen markanteste Ausdrucksform sich in Deutschland der Slogan „Wir schaffen das!“ von Angela Merkel in das kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, durch populistisch und rassistisch geprägte Bedrohungsszenarien abgelöst worden. Im Vordergrund der politischen Rhetorik stehen derzeit Gefährdungs- und Abschottungsszenarien, die früh in den Schriften von Thilo Sarrazin sichtbar wurden und inzwischen in vielfältigen semantischen Varianten die politischen Programme von Parteien und Regierungen jeder Couleur in ganz Europa prägen.

Auch die sogenannten bürgerlichen Parteien diskutieren inzwischen über Modelle, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern („Ruanda-Modell“) und formulieren eine Fundamentalkritik an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vor allem bezüglich der menschenrechtlichen Anforderungen an Zurückweisungen an den Außengrenzen und auf hoher See, einschließlich der Seenotrettung durch NGOs.

Was hat sich in den letzten Jahren geändert und zu der überwiegend kritisch-ablehnenden Haltung gegenüber dem geltenden Gemeinsamen Europäischen Asylsystem geführt (GEAS)? Die Beantwortung dieser zentralen Frage verlangt zwar eine komplexe Lageanalyse, lässt aber gleichwohl eine Fokussierung auf zwei wesentliche Gesichtspunkte zu, denen eine zentrale Bedeutung zugewiesen werden kann.

Erstens, die dauerhaft hohe Zahl der Asylbewerber: In der Vergangenheit ebbten hohe Antragstellerzahlen, die vor allem nach dem Beginn von Kriegen und Bürgerkriegen auftraten, nach einiger Zeit wieder ab und es stellte sich ein niedriges bis mittleres Niveau ein, das die Staaten mit den vorhandenen Ressourcen bewältigen konnten. In den letzten Jahren ist durch die Kumulation von fluchtauslösenden Ereignissen ein solcher Rückgang nicht mehr zu verzeichnen und die Prognosen deuten auch für die kommenden Jahre auf anhaltend hohe Antragszahlen hin. Dies hat jedenfalls in den Hauptzielstaaten zu einer dauerhaften hohen Belastung, beziehungsweise Überlastung geführt.

Diese Entwicklung führte zweitens dazu, dass das Fehlen einer fairen Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union sowie eines Begrenzungsmechanismus vor allem die Hauptankunftsländer und deren Nachbarstaaten dazu bewegte, die Zuständigkeitsordnung der Dublin-III-Verordnung zu „ignorieren“ und die Sekundäremigration in andere, nicht zuständige Mitgliedstaaten, unter anderem nach Deutschland, zu tolerieren oder gar zu fördern. Versuche dieser Mitgliedstaaten, eine Überführung in die zuständigen Länder durchzuführen, wurden wegen der dort bestehenden systemischen Mängel unter anderem durch den EuGH untersagt. Dadurch wurde die Politik der Obstruktion (in Gestalt der Nichtbeachtung von Unionsrecht) rechtlich legitimiert.

Verstärkt werden diese beiden Hauptfaktoren immer wieder durch kulturkritische antimuslimische, nationalistische und rassistische Elemente als Grundlage einer gegen Einwanderung und die Gewährung von Asyl ausgerichteten politischen Strategie, die in den letzten Jahren in immer mehr Mitgliedstaaten die offizielle Regierungspolitik beeinflusste.  

Die Europäische Union hat weder auf die Dysfunktionalitäten im Bereich der Zuständigkeitsordnung (Dublin-Verordnung) noch auf die fehlenden wirksamen Mechanismen für eine faire Lastenverteilung reagiert. Die in ihren praktischen Wirkungen unfaire Zuständigkeitsordnung, die ab 2015 vor allem die Mittelmeerstaaten überproportional belastete, wurde im Wege einer „Selbstregulierung durch Obstruktion“ korrigiert, die zunächst durch die Rechtsprechung und anschließend den Gesetzgeber legitimiert wurde. Damit wurde aber mit Blick auf die unveränderte Ausgangslage für alle Beteiligten auf Dauer ein Anlass für Kritik und neue Obstruktion geschaffen.

Zwar hatte die Europäische Kommission bereits im Jahr 2016 erste Vorschläge für eine Reform des GEAS entwickelt und zur weiteren Beratung vorgelegt. Die Lagerbildung innerhalb der Mitgliedstaaten aufgrund von grundlegenden politischen Differenzen und Interessengegensätzen hatte aber zur Folge, dass bis Mitte 2022 keine substanziellen Verhandlungen stattgefunden haben. Erst die Veränderungen sowohl der Belastungen als auch der Interessenlage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundene (vorübergehende) größere Bereitschaft zu solidarischem Verhalten hat dazu geführt, dass die Verhandlungen innerhalb des Rats ernsthaft vorangetrieben und im Juni und Oktober 2023 ein deutlich weiterentwickelter gemeinsamer Standpunkt beschlossen werden konnte.

Die wesentliche Veränderung im Bereich der Migrationspolitik der letzten zehn Monate dürfte darin bestehen, dass auch im humanitär und menschenrechtlich ausgerichteten politischen Lager erkannt wurde, dass Maßnahmen für eine Begrenzung des Zustroms von Schutzsuchenden unerlässlich ist, wenn der humanitäre Schutz als solcher nicht zur Disposition gestellt werden soll.

Eine solche Position unterscheidet sich grundlegend von Standpunkten, die Einwanderung und humanitäre Aufnahme aus nationalistischen und rassistischen Motiven grundsätzlich ablehnen. Die Herausforderung besteht allerdings darin, diesen Unterschied auch in der Ausgestaltung und der Wahl der Instrumente zum Ausdruck zu bringen. Hier offenbart sich eine Schwäche im Bereich des humanitär ausgerichteten Lagers, das sich mit den Fragen der Migrationssteuerung im Sinne einer Begrenzung kaum beschäftigt hat.

Hinzu kommt, dass etwa in Deutschland nach der Aufnahme von einer Million Menschen aus der Ukraine nicht so sehr die Finanzierung von Maßnahmen, sondern zunehmend auch die personellen Engpässe bei den Aufnahme- und Integrationsmaßnahmen die entscheidende Kapazitätsgrenze markieren. Vor dem Hintergrund eines wachsenden Fachkräftemangels in der öffentlichen Verwaltung ist hier auch nicht mit einer kurz- oder mittelfristigen Erweiterung der Aufnahmekapazitäten zu rechnen.

Die aktuell zur abschließenden Beratung mit dem Europäischen Parlament vorliegenden Vorschläge zur Reform der GEAS-Rechtsakte stellen vor allem deshalb einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar, weil sie erstmalig einen ausgestalteten Solidaritätsmechanismus enthalten. Dieser sieht auch eine jährliche Kapazitätsberechnung vor und führt diesen Aspekt damit erstmalig in das GEAS-Normensystem ein. Daran knüpfen sowohl die Feststellung von Überlastungen als auch die solidarischen Unterstützungsmaßnahmen an (Resettlement, Übernahme von Verfahren, finanzielle Unterstützung), die neu eingeführt werden sollen.

Da aber keine Änderung bei der Zuständigkeitsordnung vorgesehen ist, wird die grundsätzliche Problematik der fairen Lastenverteilung weiterhin nicht wirklich gelöst, sondern auf die Ebene eines verfahrensrechtlich aufwendigen Solidaritätsmechanismus verschoben. Hinzu kommen die erweiterten Instrumente der Zurückweisung in den Verfahren an den Außengrenzen, deren praktische Effekte indes noch schwer zu prognostizieren sind, da sie ganz wesentlich von der Aufnahmebereitschaft von Drittstaaten abhängen. Die Reformvorschläge enthalten deshalb kaum wirksame Elemente, die zu einer Begrenzung der Zahl von Anträgen auf internationalen Schutz in der Europäischen Union führen.

Es verwundert deshalb nicht, dass inzwischen auch in Deutschland Forderungen nach einer grundlegenderen Reform des GEAS auch aus der Mitte der bürgerlichen Parteien formuliert werden. Dazu gehören unter anderem eine Abkehr vom Verbot der Kollektivausweisung sowie die Verlagerung der Durchführung von Asylverfahren in sichere Drittstaaten vor allem in Afrika („Ruanda-Modell“), die der britische Supreme Court kürzlich untersagt hat.

Diese und viele noch weitergehende Vorschläge sind mit einem mehr oder weniger weitreichenden Abbau bestehender menschenrechtlicher Standards verbunden. Sie bringen zudem deutlich zum Ausdruck, dass Migranten aus anderen Kontinenten grundsätzlich in der Europäischen Union nicht erwünscht sind. Damit stehen sie im Widerspruch zu den grundlegenden Werten des Primärrechts zur Asylpolitik und insbesondere der EU-Grundrechte-Charta.

Es ist aber auch davon auszugehen, dass eine auf Abschreckung ausgerichtete Politik deshalb nicht erfolgreich sein wird, weil sie die Menschen nicht davon abhält, sich auf den Weg an die europäischen Außengrenzen zu begeben und internationalen Schutz zu beantragen. Das dürfte nur mit einem Steuerungsmodell gelingen, das auf positive Verbindlichkeit setzt.

Bei einem solchen Modell könnten zum Beispiel halbjährliche Aufnahmekapazitäten so ausgewiesen werden, dass für Personen mit geklärter Identität, die nicht aus sicheren Herkunftsländern kommen, eine Wahl des Zielstaates im Rahmen der ausgewiesenen Kapazitäten ermöglicht wird. Die damit eröffnete, begrenzte und an Bedingungen geknüpfte Wahlmöglichkeit soll als Anreiz dafür dienen, die Migration in zeitlicher Hinsicht an den ausgewiesenen Kapazitäten auszurichten und dadurch Überlastungen der aufnehmenden Staaten zu vermeiden. Sie würde zugleich eine strengere Vorgehensweise an den Außengrenzen legitimieren, weil ein sicherer Zugangsweg eröffnet wurde.

Ein solches Modell wäre auf Transparenz angewiesen, die mit Hilfe von zusätzlichen digitalen Instrumenten hergestellt werden kann. So müssten über das Internet Anmelde- und Wartelisten installiert werden, die als Grundlage für die Eröffnung eines sicheren Zugangs, auch mit humanitären Visa, Anreize für die Schutzsuchenden etablieren, sich an den ausgewiesenen Kapazitäten zu orientieren. Ein solches System kann zugleich für die Migration von Fachkräften und gering qualifizierten Arbeitskräften nach dem Vorbild der Westbalkanregelung genutzt werden, so dass die auch im Rahmen von Migrationsabkommen verfolgte Strategie einer Verbindung verschiedener Interessen und Steuerungszwecke berücksichtigt werden kann.

An den Einzelheiten eines solchen Modell muss noch intensiv gearbeitet werden, um es in den Details auszugestalten. Es würde aber einen Weg eröffnen, das GEAS im Einklang mit seiner menschenrechtlichen DNA weiterzuentwickeln und könnte dabei an die aktuellen Reformvorschläge anknüpfen. IPG 28

 

 

 

Antisemitische Vorfälle in Deutschland haben sich vervierfacht

Berlin. Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland ist seit dem Terrorangriff der Hamas drastisch gestiegen. Zwischen den Attacken am 7. Oktober und dem 9. November hat der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) 994 antisemitische Vorfälle registriert. Das sind im Schnitt 29 Vorfälle täglich und damit vier Mal mehr als im gesamten Vorjahresdurchschnitt. Erstmals seit Beginn der Rias-Erhebungen tritt islamistisch und links geprägter Antisemitismus häufiger auf als solcher von rechts. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Rias hervor, der ZEIT ONLINE vorab vorliegt.

Demnach kam es auch an Orten des Alltags von Jüdinnen und Juden vermehrt zu antisemitischen Vorfällen. Den Rias-Meldestellen wurden allein 59 solcher Vorfälle im direkten Wohnumfeld bekannt, darunter Markierungen mit dem Davidstern, aber auch gewalttätige Übergriffe. Auch an Hochschulen hat der Antisemitismus laut Rias zugenommen. Auf die zunehmend antisemitische Stimmung hätten viele Betroffene mit einem Rückzug aus der Öffentlichkeit reagiert, sagte Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz. "Für Jüdinnen und Juden hat das Aushandeln zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit mit der Zäsur vom 07. Oktober eine neue Qualität erreicht. Jüdisches Leben in Deutschland ist seither weniger sichtbar. In ihrem Alltag sind Jüdinnen und Juden verstärkt mit Empathielosigkeit und Antisemitismus konfrontiert.“

Um die Wirkung von Antisemitismus auf die Betroffenen abzumildern, fordert Steinitz mehr Solidarität mit den Jüdinnen und Juden. "Es muss von Seiten der Zivilgesellschaft eine klare Benennung der Gräueltaten der Hamas erfolgen", sagte er. "Wer Zeuge antisemitischer Äußerungen wird, muss den Mut haben zu widersprechen und sich solidarisch mit den Opfern zu zeigen."

Den vollständigen Bericht finden Sie unter: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-11/antisemitismus-deutschland-rias-report-hamas-angriff   Zeit Online 28

 

 

 

 

Nord-Süd-Konflikt verschärft sich

 

Afrikanische Staaten wollen die Rolle der UN in der globalen Steuerpolitik stärken. Doch der Globale Norden stellt sich geschlossen dagegen. Sarah Ganter

In New York knallten nach dem Mehrheitsvotum für eine UN-Steuerkonvention die Sektkorken. Mit dem klaren Ergebnis wurden die Weichen für eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen in der Gestaltung einer inklusiveren und effektiveren internationalen Steuerkooperation gestellt. Damit wird einer jahrzehntelangen Forderung der Gruppe der G77 und der internationalen Zivilgesellschaft Rechnung getragen. Eine wichtige Vorkämpferin für faire internationale Steuerregeln ist auch die Internationale Gewerkschaft der öffentlichen Dienstleister, Public Services International (PSI). PSI-Generalsekretär Daniel Bertossa kommentierte das UN-Votum als eine Bestätigung der unermüdlichen Kampagnenarbeit der Gewerkschaftsbewegung und ihrer Partner sowie der Tatsache, dass „Steuerregeln, die uns alle betreffen, auch alle einbeziehen müssen“. Denn internationale Steuerpolitik ist letztendlich globale Verteilungspolitik, die Fragen nationaler Souveränität berührt. Der Slogan „No taxation without representation“ schallte schon im US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg der britischen Krone entgegen.

Schade nur, dass das historische Votum zu einer Kampfabstimmung zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden wurde. Kenias Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen kommentierte das Ergebnis auf der Onlineplattform X als das klarste Nord-Süd-Votum, das er in jüngster Zeit gesehen habe. Angesichts der zunehmenden Krisen- und Konflikthaftigkeit der internationalen Beziehungen wird gerne von globaler Allianzbildung und der Notwendigkeit von Partnerschaften auf Augenhöhe gesprochen. Doch die Verweigerung der Patentfreigabe von Impfstoff in der Covid-19-Pandemie sowie das Schulterzucken der Industrieländer in Bezug auf die für viele Länder mittleren und niedrigen Einkommens existentielle Bedrohung der internationalen Schuldenkrise haben das Vertrauen in die Verlässlichkeit solcher Partnerschaften längst untergraben.

Die Abstimmung über die UN-Steuerkonvention ist zum nächsten Prüfstein geworden. Mit einem klaren Ergebnis: 125 Länder stimmten für und nur 48 gegen die von der Gruppe afrikanischer Länder in das Zweite Komitee der Generalversammlung eingebrachte Resolution. Gegenstimmen kamen aus den USA, Kanada, Australien, von allen EU-Ländern und EU-Beitrittskandidaten sowie von der Schweiz. Abgesehen von der Enthaltung Norwegens stimmte der Globale Norden geschlossen gegen die Initiative.

Die Unabhängige Kommission für die Reform der Internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) hatte vor der Abstimmung in einem offenen Brief an die EU und die USA appelliert. In dem Schreiben warnen Mitglieder der mit hochrangigen Ökonominnen und Ökonomen aus Nord und Süd besetzten Kommission vor einem „gefährlichen Signal“, das eine „Blockade der Resolution zur Förderung einer inklusiven und effektiven internationalen Steuerkooperation bei den Vereinten Nationen“ aussenden würde. Der Verdacht läge nahe, so die Expertinnen und Experten, „dass diejenigen, die am lautesten die Vorteile einer regelbasierten internationalen Ordnung anpriesen, nicht wirklich an eine solche glaubten“.

Steuern sind eine der wichtigsten Quellen für die Finanzierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen. In den letzten zehn Jahren ist endlich Bewegung in die Diskussion um eine Reform des internationalen Steuersystems gekommen. Doch trotz aller Gespräche und Verhandlungen können multinationale Unternehmen immer noch in großem Umfang Steuern vermeiden. Angesichts der immer stärkeren Konzentration des Reichtums in den Händen weniger Menschen und der Tatsache, dass nur vier Prozent des weltweiten Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern stammen, ist es offensichtlich, bei wem die Hauptfinanzierungslast liegt: Es sind Arbeitnehmende sowie einfache Bürgerinnen und Bürger, nicht Milliardäre. Arbeit wird besteuert, nicht Reichtum und Finanzvermögen.

Die Forderung, die Vereinten Nationen zum zentralen Austragungsort internationaler Steuerkooperation zu machen, ist so alt wie die Debatte um eine Reform des internationalen Steuersystems selbst. Bislang ist mit der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) der Club der Industrieländer federführend im Reformprozess des internationalen Steuersystems. Im Auftrag der G20 erarbeitet die OECD Vorschläge zur Eindämmung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS). Die Gruppe der G77 und zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Global Alliance for Tax Justice fordern schon seit langem eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen, um ein internationales Steuersystem zu gestalten, das an den Zielen der nachhaltigen Entwicklungsagenda orientiert ist und für mehr internationale Steuergerechtigkeit sorgt. Mit dem Slogan „If you are not at the table, you are on the menu“ kritisieren sie, dass Entwicklungsländer bei den OECD-Verhandlungen nicht gleichberechtigt mit am Tisch sitzen. Befürworter versprechen sich von der UN-Steuerkonvention nicht nur eine inklusivere internationale Steuerpolitik, sondern auch mehr Transparenz im Prozess durch eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft. Kritikerinnen und Kritiker befürchten eine Parallelveranstaltung zu bestehenden Reformbemühungen und eine Verwässerung der bisher bei der OECD erzielten Verhandlungserfolge.

In der im Nachgang zur Abstimmung von der ICRICT-Kommission veröffentlichten Presseerklärung schlägt der ehemalige kolumbianische Finanzminister José Antonio Ocampo versöhnliche Töne an. Er nennt die Resolution „einen Schritt in Richtung globaler sozialer Gerechtigkeit“ und sieht darin eine „Stärkung der Institutionen, der Demokratie und der internationalen Stabilität“. Er ruft dazu auf, „aus all den Anstrengungen der Vergangenheit zu lernen und diesen Prozess nicht als Antagonismus zu sehen, sondern als den Beginn einer echten Zusammenarbeit zwischen Ländern und zwischen globalen Institutionen“.

Vor dem Hintergrund der enormen Finanzierungsherausforderungen unserer Zeit muss es darum gehen, zügig gemeinsame Lösungen für eine bessere internationale Besteuerung multinationaler Konzerne zu finden, ohne sich dabei im Institutionenstreit zu verlieren. Eine UN-Steuerkonvention bietet die Möglichkeit, Verhandlungserfolge des OECD-Prozesses eine universelle Legitimationsgrundlage zu geben und genauso auf wichtigen Vorarbeiten des Expertenkomitees der Vereinten Nationen zu internationalen Steuerangelegenheiten aufzubauen, wie zum Beispiel das von der UN erarbeitete Rahmenwerk zu Doppelbesteuerung. Das Inclusive Framework on BEPS der OECD hat mit der Einigung auf eine Globale Mindeststeuer ohne Zweifel einen historischen Verhandlungserfolg erzielt. Die Mindestrate soll dem internationalen Standortwettbewerb um immer niedrigere Steuern einen Riegel vorschieben.

Aus der Perspektive des Globalen Südens ist der Satz von 15 Prozent aber deutlich zu niedrig angesetzt, um erhoffte positive Aufkommenseffekte zu erzielen. Es besteht sogar die Sorge, dass für Länder mit höheren Steuersätzen der Anreiz entsteht, diese nach unten zu korrigieren. Die ICRICT-Kommission fordert deshalb schon lange eine Rate von 22 bis 25 Prozent. Strukturelle Ungerechtigkeiten, wie beispielsweise die Verteilung von Besteuerungsrechten, werden im Zwei-Säulen-Ansatz der OECD kaum adressiert. Kritiker sehen in der Knüpfung von Besteuerungsrechten an den Sitz des Mutterkonzerns eine Benachteiligung der Länder, in denen entlang von Produktionsnetzwerken die tatsächliche Wertschöpfung stattfindet. Kritisiert wird deshalb, dass der OECD-geführte Reformprozess für die Länder des Globalen Südens wenig zu bieten hat, sie gleichzeitig aber daran hindert, eigene Initiativen zu ergreifen, beispielsweise in der Besteuerung der Digitalwirtschaft.

Die Vereinten Nationen, so die Hoffnung, könnten einen effektiveren Interessenausgleich ermöglichen und gleichzeitig Besteuerungsfragen in den größeren Zusammenhang der Finanzierung der Transformation hin zu einem nachhaltigen globalen Entwicklungsmodell stellen. Passend dazu laufen Anfang 2024 die Vorbereitungen zur vierten internationalen Entwicklungsfinanzierungskonferenz (FfD4) an, die 2025 in Madrid stattfinden wird. Zehn Jahre nach der letzten Großkonferenz in Addis Abeba bietet die FfD4-Konferenz den dringend benötigten Rahmen, um Kohärenz zwischen den unterschiedlichen Reformagenden vor allem in den Bereichen Steuern, Schulden und Investitionen herzustellen.

Schon in Addis Abeba stand die Forderung nach der Schaffung einer universellen und intergouvernementalen Steuerinstitution unter dem Dach der Vereinten Nationen auf der Tagesordnung, wurde aber von den Industrieländern abgelehnt. In der Abschlusserklärung des begleitenden Zivilgesellschaftsforums brachten mehr als 600 Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt ihre Enttäuschung über die verpasste Gelegenheit zum Ausdruck. Mit dem neuen Votum über die UN-Steuerkonvention im Rücken ist der Globale Süden jetzt in einer deutlich besseren Verhandlungsposition für die FfD4 in Madrid 2025.  IPG 28

 

 

 

 

Nahost in Deutschland. Ausgegrenzt und angefeindet – Generalverdacht frustriert Muslime

 

Seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel und den Gegenangriffen auf den Gazastreifen sehen sich viele Muslime in Deutschland einem Generalverdacht ausgesetzt. Sie spüren Anfeindungen, es gibt Gesinnungsabfragen. Das Problem betrifft die gesamte Gesellschaft. Von Yuriko Wahl-Immel

 

Amira ist auf dem Weg zur Kita, um ihre Tochter abzuholen, als ein Mann sie als „Terroristenschlampe“ beschimpft, den Kinderwagen umwirft. „Mehrere Personen haben das aus nächster Nähe mitbekommen, sind aber nicht eingeschritten“, schildert die 30-Jährige aus Köln. „Die Attacke war beängstigend, ebenso die Tatsache, dass es keine Zivilcourage gab.“ Amira ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist Rassismusforscherin, selbstbewusst, trägt Kopftuch. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sei das Klima rau und feindselig für viele „muslimisch markierte“ Menschen geworden, die wegen ihres Äußeren als muslimisch gedeutet und deshalb angefeindet würden. Eine in Berlin aufgewachsene Juristin (29) sagt ähnlich, sie werde beleidigt, angepöbelt, fühle sich nicht mehr sicher.

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) oder auch der Islam-Verband Ditib sprechen von einem Generalverdacht, beklagen Angriffe auf Muslime und Moscheen. Amira und viele ihrer Bekannten spüren das im Alltag deutlich. „Es ist eine rassistisch aufgeladene Veränderung in der Gesellschaft spürbar“, beschreibt sie. Amira ist eloquent, schreibt gerade ihre Doktorarbeit – und hört in den vergangenen Wochen immer wieder von Wildfremden, sie solle „erst mal Deutsch lernen“ oder sich an „deutsche Regeln“ halten. Sie weiß von mehreren „muslimisch markierten“ Menschen, die in den letzten Wochen ihre Jobs verloren haben, „weil sie sich irgendwie mitfühlend propalästinensisch geäußert haben“.

Was hat sich nach dem 7. Oktober für Muslime verändert?

Viele Muslime haben das Gefühl, dass sich die Situation nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nun für sie wiederhole, sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Auch damals hat man Druck aufgebaut und von Musliminnen und Muslimen in Deutschland gefordert, sich zu positionieren.“ In der Gesamtbevölkerung gehe der Blick auf die Muslime nun wieder reflexartig auf ihre vermeintlichen Herkunftsländer, als seien sie deren Stellvertreter und quasi mitverantwortlich für dortige Ereignisse und Taten. „Ich erlebe da eine große Frustration.“ Im aktuellen Nahost-Konflikt sehe sie unter den Muslimen hierzulande viel Mitgefühl und tiefe Verbundenheit mit der Bevölkerung auf beiden Seiten.

ZMD-Chef Aiman Mazyek berichtet, Kinder und Jugendliche aus den muslimischen Communities fühlten sich in den Schulen mitunter stigmatisiert. In Einzelfällen habe es „Gesinnungstests“ in Schulen gegeben. Darin sei die Haltung von Schülern mit muslimischem Hintergrund zum Nahostkonflikt und zur Hamas abgefragt worden. Es werde versucht, auch die Einstellung der Eltern auszuhorchen – das sei inakzeptabel. Und er stellt klar: „Antisemitismus ist eine Sünde im Islam.“ In Deutschland leben 5,5 Millionen Muslime, unter den Bundesländern besonders viele in Nordrhein-Westfalen.

Woher kommen solche pauschale Unterstellungen?

El-Menouar zufolge besteht schon seit langem eine große Skepsis gegenüber Muslimen und ihrer Religion. „Der Islam wird weniger als Religion gesehen, sondern in der Nähe von Islamismus und Terror verortet. Muslimen wird unterstellt, dass sie religiös begründeten Extremismus und Terror akzeptieren.“ Islamverbände hätten den Hamas-Terror mehrfach verurteilt, seien vehement für ein sicheres jüdisches Leben eingetreten und würden doch immer wieder an den Pranger gestellt, kritisiert Islamwissenschaftler Jörn Thielmann. „Viele Muslime sind deutsche Staatsbürger, sind hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und sollen sich jetzt rechtfertigen für etwas, wofür sie genauso wenig können wie der katholische Herr Müller oder die evangelische Frau Meyer.“

Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Vor allem bei jüngeren Muslimen sei zu befürchten, dass es längerfristige Folgen haben werde, wenn sie sich stigmatisiert und gekränkt fühlten, sie zu Unrecht als „Terroristen-Versteher oder Terroristen-Sympathisanten gelabelt“ würden, glaubt Thielmann. Von einer gesellschaftlichen Spaltung spricht Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien. Diese komme „in einem immer unverhohlener grassierendem Antisemitismus, aber auch in Muslimfeindlichkeit zum Ausdruck“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte jüngst für ein friedliches Zusammenleben ohne Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu einem Runden Tisch geladen.

Mazyek warnt, gerade bei den Jüngeren könne der Generalverdacht zu einer besorgniserregenden Entfremdung führen. Einige könnten in die Fänge von Extremisten geraten. Amira schildert, es komme gegen sie und viele ihrer Bekannten zu „Mikro-Aggressionen“ – ausgrenzende, abwertende Äußerungen oder Rempeleien. „Wir arbeiten hier, ziehen unsere Kinder groß, gestalten die Gesellschaft mit – und doch wird jetzt vermehrt unsere Zugehörigkeit in Frage gestellt.“ Und die Berlinerin sagt: „Ich habe das Gefühl, einen großen Teil dessen, was meine Identität ausmacht, nämlich palästinensisch zu sein, verbergen zu müssen, aus Angst vor negativen Reaktionen und Konsequenzen.“

Ein differenzierter Blick wird gefordert

Auch unter Muslimen gibt es radikale Einstellungen und Israel-bezogenen Antisemitismus, weiß El-Menouar. Aber: „Wir haben Antisemitismus in Deutschland, der sich quer durch die Gesellschaft zieht, und auch ein Problem in der muslimischen Community ist. Nur diese Gruppe herauszugreifen, wäre falsch und führt zu weiterer Spaltung.“ Einige Kundgebungen würden von Islamisten geschickt für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch von Muslimen habe man islamistische Parolen gehört, seien Hamas-Angriffe lautstark begrüßt worden, ergänzt Thielmann. „Die Islamverbände in Deutschland treten dagegen strikt auf.“

Verbale Attacken, Aggressivität, Abgestempeltwerden – das mache mürbe, sagt die palästinensisch-stämmige Berliner Juristin. Deutschland sei ihre Heimat, aber: „Tatsächlich denke ich erstmals ernsthaft darüber nach, das Land zu verlassen und auszuwandern. Und so geht es nicht nur mir.“ (dpa/mig 28)

 

 

 

Studie zu Karrierewegen internationaler Forschender in Deutschland veröffentlicht

 

Der Forschungsstandort Deutschland zieht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt an: Die Bundesrepublik belegt weltweit gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich den zweiten Platz bei internationalen wissenschaftlichen Beschäftigten. In einer aktuellen Studie hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) nun die Wege internationaler Forschender vom Postdoc bis zur Professur in Deutschland untersucht.

Bonn. „Deutschland ist ein hochattraktives Gastland für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ihr Anteil am gesamten Wissenschaftspersonal an deutschen Hochschulen steigt deshalb seit Jahren kontinuierlich an“, sagte DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee. „Auf dieser Basis sollte es uns in Zukunft noch besser gelingen, internationale Talente erfolgreich auf ihrem Weg zur Professur zu begleiten. Mit der aktuellen Studie wollen wir dazu einen Beitrag leisten und Wege und Möglichkeiten zu mehr Diversität bei den Professuren aufzeigen.“

Die Studie „Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Hochschulen: Von der Postdoc-Phase zur Professur“ des DAAD und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) untersucht Herausforderungen, mit denen internationale Forschende auf dem Weg zur Professur an deutschen Hochschulen konfrontiert sind. Zudem liefert sie Empfehlungen, um mögliche Hürden abzubauen. Für die qualitative Studie befragten DAAD und DZHW internationale Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, neuberufene internationale Professorinnen und Professoren sowie Hochschulleitungen und Hochschulbeschäftigte aus internationalen Bereichen.

Ergebnisse der Studie

Die Befragten nehmen Deutschland bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und bei Möglichkeiten der Forschungsfinanzierung als sehr attraktiv wahr. Die größte Barriere für eine schnelle Karriere internationaler Forschender an deutschen Hochschulen sind laut der Befragung zumeist nicht ausreichende Sprachkenntnisse im Deutschen. Zudem seien die Hochschulen abseits der Forschung an einigen Stellen nur wenig auf die Bedürfnisse internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingestellt. Auch die als kompliziert wahrgenommenen Karrierewege in Deutschland, eine in Teilen fehlende Dienstleistungsorientierung der deutschen Behörden sowie erlebte Fremdenfeindlichkeit, beispielsweise bei der Wohnungssuche, erschweren laut den Befragten eine Entscheidung für einen Daueraufenthalt in der Bundesrepublik.

Handlungsempfehlungen

Die Studie bietet zu den beschriebenen Herausforderungen Handlungsempfehlungen, um mehr internationale Forschende für eine Professur zu gewinnen. So können beispielsweise Hochschulleitungen mit einer klaren Fokussierung auf die Bedeutung des Themas innerhalb der Hochschule zum Aufbau von Kompetenzen und einem Kulturwandel beitragen. Zudem können sprachliche und kulturelle Hürden gut mit erweiterten Sprachkursen für internationale Forschende abgebaut werden. Bestenfalls sollte in den Hochschulen Mehrsprachigkeit stärker etabliert und eine bessere Förderung und Unterstützung internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermöglicht werden. Das schließt auch eine Unterstützung beim „Hineinwachsen“ in die akademische Selbstverwaltung ein, die in vielen Ländern außerhalb Deutschlands wenig bekannt ist. Zudem sollten Wege zur Professur in Deutschland und die verbundenen Anforderungen transparenter dargestellt und Berufungsverfahren stärker international ausgerichtet werden. Weiterhin liegt im Ausbau der Beratungen zur „Dual Career“ eine große Chance zur verbesserten Anwerbung internationaler Talente, für die das Thema oftmals von hoher Relevanz ist.

Hintergrund: Internationale Forschende in Deutschland 

Im Jahr 2021 waren rund 60.000 internationale wissenschaftliche Mitarbeitende an deutschen Hochschulen tätig, darunter etwa 3.700 Professorinnen und Professoren. Während internationale Forschende damit knapp 14 Prozent aller wissenschaftlichen Beschäftigten stellen, beträgt der Anteil unter den Professorinnen und Professoren rund sieben Prozent.

Die Studie zeigt zudem nennenswerte Unterschiede im Anteil internationaler Professorinnen und Professoren je nach Hochschulart: An Kunst- und Musikhochschulen liegt er bei rund 22 Prozent, an Universitäten bei etwa 11 Prozent und an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften bei etwa drei Prozent.

Weitere Informationen

Studie: Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Hochschulen: Von der Postdoc-Phase zur Professur (InWiDeHo)

Aktuelle Zahlen und Fakten zu internationalen Studierenden und Forschenden in Deutschland in der Publikation: "Wissenschaft weltoffen 2023".  Daad 28

 

 

 

 

Interview. BA-Vorstand Terzenbach: Berufstätigkeit ist der Weg zur Integration

 

Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur für Arbeit, soll als Sonderbeauftragter der Bundesregierung möglichst viele Geflüchtete in Jobs bringen. Im Gespräch erklärt er, worauf es ankommt und welche Forderungen er an die Regierung stellt. Von Bettina Markmeyer

 

Herr Terzenbach, Sie sollen ein ehrgeiziges Vorhaben der Bundesregierung in der Migrationspolitik anschieben und helfen, so schnell wie möglich 400.000 geflüchtete Menschen in Arbeit zu bringen. Schaffen die Jobcenter das?

Daniel Terzenbach: Alle Jobcenter arbeiten schon unter hohen Belastungen. Trotzdem glauben wir, dass der Jobturbo zum richtigen Zeitpunkt kommt, um mit intensiver Betreuung mehr Erfolge bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu erzielen. Das ist für eine gewisse Zeit durchführbar, dauerhaft könnten wir das nicht.

Welche Stellen können die Jobcenter den Geflüchteten anbieten?

Wir hatten im letzten Quartal über 1,7 Millionen offene Stellen. Nahezu alle Branchen suchen Fachkräfte, aber in fast allen Branchen kann man auch in Helfertätigkeiten anfangen, wenn noch keine ausreichende Qualifikation oder Sprachkenntnisse vorhanden sind.

Wissen die Jobcenter, welche Qualifikationen es auf Seiten der Geflüchteten gibt?

Die Bildungssysteme sind nicht immer vergleichbar. Eine Buchhalterin in der Ukraine ist nicht sofort auch eine Buchhalterin in Deutschland. Einer der ersten Schritte ist, dass wir mehr Transparenz und Vergleichbarkeit erzielen, um noch gezielter vermitteln zu können.

Die Unternehmen haben sich verpflichtet, Geflüchtete auch dann einzustellen, wenn sie noch nicht gut Deutsch sprechen. Können sich die Jobcenter darauf verlassen?

Viele Unternehmen haben bereits Erfahrung mit Geflüchteten gesammelt. Wir haben bei dem jüngsten Treffen mit Bundesarbeitsminister Heil etliche Beispiele dafür gesehen. Seit der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 haben wir mehr als 650.000 Menschen integriert. Bei den 400.000 Geflüchteten, die kürzlich aus den Integrationskursen kamen oder noch kommen, knüpfen wir an das an, was in vielen Regionen schon vorbildlich läuft.

Sind dann Förderungen für Firmen, beispielsweise Eingliederungszuschüsse, gar nicht nötig?

Doch, häufig kann das insbesondere kleineren Unternehmen helfen, den Aufwand, den man unweigerlich zusätzlich hat, besser zu tragen. Aber wir haben ja nicht nur Eingliederungszuschüsse, wir können Probearbeiten fördern, wir können Unternehmen mit berufsbezogener Sprachförderung helfen – sogar speziell in dem Beruf, in dem die Geflüchteten eingestellt wurden. Da gibt es eine ganze Palette an guten Angeboten, und die will ich bekannter machen.

Werden die Anforderungen an die Sprachkenntnisse gesenkt?

Es ist vielmehr eine Frage des Umgangs damit. Wir haben jetzt eine große Zahl von Menschen, die aus den Integrationskursen kommen. 200.000 sind ukrainische Kriegsflüchtlinge. Wichtig ist jetzt, die Sprachkenntnisse nach dem Integrationskurs im Berufsalltag weiter zu verbessern. Dafür entwickeln das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Bundesarbeitsministerium gerade praxisnahe Sprachmodule – für alle Branchen. Wir haben aus der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 gelernt – da gab es solche berufsbezogenen Sprachkurse – praxisnah und für Unternehmen – noch nicht. Das wollen wir jetzt besser machen.

Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge sind überwiegend Frauen, viele mit Kindern. Haben die Jobcenter das im Blick?

Ja, wir wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zentrales Thema ist. Bei den Frauen, die 2015 und 2016 gekommen sind, wurde es, rückblickend gesehen, nicht ausreichend beachtet. Das sehen Sie heute noch an den Integrationsergebnissen der ersten Fluchtbewegung. Die sind nicht auf dem Niveau, das wir uns wünschen. Frauen weiter die Care-Arbeit machen zu lassen und parallel irgendwie noch einen Deutschkurs anzubieten, das hilft nicht weiter.

Wir müssen die Frauen jetzt erreichen, weil wir wissen, dass Langzeitarbeitslosigkeit später das größte Vermittlungshemmnis ist.

Die Geflüchteten sollen Arbeitsangebote der Jobcenter annehmen müssen. Glauben Sie, dass das klappt?

Wir reden hier über Menschen, die im Arbeitsmarkt ankommen wollen. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben ja – laut unserem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – gute formale Qualifikationen. Da müssen wir ansetzen. Das geht vielleicht nicht gleich mit einem Traumjob – sondern Schritt für Schritt. Wir glauben jedenfalls, dass es nicht hilft, erst ewig Deutsch zu lernen und auf die Anerkennung der Abschlüsse zu warten. Besser ist es, in die Arbeit einzusteigen, im und durch den Job Deutsch zu lernen und sich gezielt weiterzuqualifizieren oder die Anerkennung der vorhandenen Abschlüsse zu betreiben.

Werden die Jobcenter auch mit Sanktionen arbeiten müssen?

Mitwirkungspflichten gab es schon immer, früher in der Grundsicherung, heute im Bürgergeld. Zumutbare Arbeit zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit gehört auch dazu. Wenn die Mitwirkungspflichten nicht erfüllt werden, sind Leistungskürzungen von bis zu 30 Prozent möglich. Gleichzeitig setzen die Jobcenter stärker als früher auf die Ermöglichung von Bildungs- und Berufsabschlüssen, weil 70 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine formale Bildung besitzen.

Lassen Sie uns noch einen Blick werfen auf die aktuelle Lage. Die geplanten Kürzungen für die Jobcenter in Höhe von 700 Millionen Euro wurden von der Ampel-Koalition zurückgenommen. Nun gibt es eine Haushaltssperre und viel Unsicherheit. Die endgültigen Entscheidungen über den Bundeshaushalt 2024 stehen aus. Werden die Jobcenter im kommenden Jahr mit dem Geld rechnen können?

Ich glaube, es muss erst einmal dieses offenbar sehr folgenreiche Urteil auf alle Ebenen heruntergebrochen werden.

Deswegen ist hier einiges noch in Klärung. Aber wir sehen, dass der politische Wille vorhanden ist, eine gute Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose und Geflüchtete zu machen, und dafür brauchen wir diese Mittel. Ich gehe davon aus, dass sich daran auch unter den neuen Bedingungen nichts ändert.

Für das Bürgergeld werden schon in diesem Jahr rund drei Milliarden Euro mehr gebraucht als geplant. Vor dem Hintergrund der Haushaltsnöte: Können Sie als Bundesagentur sagen, wie hoch die Einsparungen wären, wenn beispielsweise 100.000 Menschen in Arbeit vermittelt würden?

Wir können nicht sagen: Wenn wir so und so viele Menschen mehr vermitteln, könnten wir so und so viel einsparen. Die Menschen im Bürgergeld sind in sehr individuellen Lebenslagen. In München beispielsweise sind die Miet- und Lebenshaltungskosten hoch, anders als in Gelsenkirchen – da können Sie nicht pauschal für alle ausrechnen, was ein durchschnittlicher Bedarf wäre und was man entsprechend sparen könnte.

Ein Thema, das die Politik derzeit heftig debattiert, ist das Lohnabstandsgebot. Glauben Sie, dass die Höhe des Bürgergelds Vermittlungen in eine Arbeitsstelle erschwert?

Grundsätzlich: Arbeit lohnt sich immer. Durch die Erhöhung der Freibeträge bei der Bürgergeld-Reform haben auch die Menschen, die nur ein geringes Arbeitseinkommen erzielen und ergänzend Bürgergeld brauchen, mehr Geld zur Verfügung als Menschen, die nur Bürgergeld beziehen.

Wir dürfen aber auch die – auf den ersten Blick – nicht fiskalischen Argumente nicht unterschätzen. Arbeit ist eine zentrale Bedingung für gesellschaftliche und soziale Teilhabe. Wenn man erstmal berufstätig ist, kann man sich schneller weiterentwickeln, auch finanziell: zum Beispiel, weil man den Job wechselt und dann mehr Gehalt bekommt, das normalerweise höher ist als die jährlichen Anpassungen des Bürgergelds. Wenn über das Bürgergeld diskutiert wird, muss man auch wissen, dass es das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum ist, an das sich der Gesetzgeber halten muss. (epd/mig 27)

 

 

 

 

Grüne-Jugend scheitert. Parteitag lehnt Forderung nach Abkehr vom Ampel-Asylkurs ab

 

Am dritten Tag des Bundesparteitages kochen bei den Grünen in der Nacht die Emotionen hoch. Es geht um die Asylpolitik. Zwischen dem Lager „Kein Mensch ist illegal“ und denen, die mehr „Ordnung“ wollen, kommt es zum Streit. Am Ende scheitert ein Aufstand der Parteijugend.

Eine Reihe jüngerer Delegierter hat beim Bundesparteitag der Grünen massive Kritik an der Asylpolitik der Ampelkoalition geäußert. Am Ende setzte sich in der Nacht zum Sonntag allerdings die Parteispitze durch – nach tatkräftiger Unterstützung von Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

„Es ist unehrlich über Begrenzung zu reden, wenn die Welt in Flammen steht“, hatte Vasili Franco, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, am Abend in Karlsruhe kritisiert. Und die Vorsitzende der Grünen Jugend, Katharina Stolla, warnte: „Wer Rechten hinterherläuft, der gerät ins Stolpern.“ Die Co-Vorsitzende der Nachwuchsorganisation fügte hinzu: „Es gibt keinen Grund für weitere Asylrechtsverschärfungen.“ Die Kritiker der Regierungspolitik wurden lautstark bejubelt.

Habeck: Parteitag ist kein Spiel

Habeck hielt dagegen. Handlungsleitend dürfe nicht das Verlangen sein, in dieser Frage „auf der richtigen Seite zu stehen“. Er warnte: „Ein Parteitag einer Regierungspartei ist kein Spiel.“ Die Vorschläge der Grünen Jugend seien in Wahrheit „ein Misstrauensvotum in Verkleidung“ und eine indirekte Aufforderung, die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP zu verlassen.

Habeck warnte davor, dass sich die Grünen hier selbst Fesseln anlegen. Im Antrag der Grünen Jugend hieß es, weiteren Asylrechtsverschärfungen dürften weder Minister noch die Fraktionen im Bund oder in den Ländern zustimmen – konkret etwa „restriktiveren Regelungen für Rückführungen, der Kürzung von Sozialleistungen für Geflüchtete, der Absenkung von Schutzstandards, einer Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten, Schnellverfahren an Außengrenzen sowie der Unterbringung von Flüchtenden in Außengrenzlager und der Zurückweisung von Flüchtenden in vermeintlich sichere Drittstaaten“.

Baerbock: „Ich kann das nicht einhalten“

„Ich kann das nicht einhalten“, sagte Baerbock zu den Vorgaben im Antrag der Grünen Jugend. Sie fragte: „Soll das wirklich der Auftrag von diesem Parteitag sein?“ Am Ende der Debatte fand der Antrag der Nachwuchsorganisation keine Mehrheit im Saal.

Um einen Eklat zu verhindern, hatte sich der Parteivorstand allerdings zu einigen Änderungen an seinem Beschlusstext bereiterklärt. Der stand unter dem Titel „Humanität und Ordnung: für eine anpackende, pragmatische und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik“. So wurde beispielsweise der Satz gestrichen: „Daneben müssen, wo die Kapazitäten erschöpft sind, durch rechtsstaatliche und menschenwürdige Maßnahmen auch die Zahlen sinken.“

Streit um sinkende Zahlen

Die Grünen-Politiker Ricarda Lang und Winfried Kretschmann hatten vor dreieinhalb Wochen in einem gemeinsamen Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ zum Thema Migration nach Deutschland geschrieben: „Wenn die Kapazitäten – wie jetzt – an ihre Grenzen stoßen, müssen auch die Zahlen sinken.“ Die Parteivorsitzende und der baden-württembergische Ministerpräsident betonten, bei aller gebotenen Menschlichkeit gelte: „Steuerung und Rückführung gehören zur Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu.“ Der Bundestag soll am kommenden Donnerstag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten, der das Ziel hat, dass „gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, angepasst werden sollen“.

„Lasst uns nicht schon hier auf dem Parteitag einen Kompromiss mit konservativen Kräften verabschieden“, forderte Sophia Pott aus Lübeck. Zuvor hatte der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour die Delegierten darauf hingewiesen, dass die Grünen als Regierungspartei daran gemessen würden, ob sie Lösungen lieferten oder nicht.

Jugend-Chefin: Kritik in Parteispitze angekommen

Im Nachgang zieht Stolla einen gemischten Fazit: „Von diesem Parteitag geht ein klares Zeichen aus: Die Partei ist unzufrieden über den asylpolitischen Kurs der Ampel, den die Grünen mitverantworten“, erklärte Stolla am Sonntag in Karlsruhe. „Unser Punkt steht: Es braucht ein Ende der Scheinlösungen und endlich eine Politik, die Geflüchtete schützt.“

Gleichwohl sei die Grüne Jugend enttäuscht, dass sich ein Großteil der Delegierten beim Parteitag nicht ihrem Kurs angeschlossen habe. „Wir freuen uns, dass unsere Kritik auch in der Parteispitze angekommen ist, und trotzdem wissen wir, dass wir uns darauf allein nicht verlassen können“, erklärte Stolla. Die Grüne Jugend verstehe es jetzt als ihre Aufgabe, die gesellschaftliche Stimmung zum Thema zu drehen. „Wir werden in den nächsten Wochen mit vielen Verbündeten auf die Straßen gehen und laut gegen den Rechtsruck sein – für Solidarität mit Geflüchteten und eine soziale Politik.“ (dpa/mig 27)

 

 

 

 

Nahost: „Keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung“

 

Ein Verantwortlicher der Kustodie des Heiligen Landes war an diesem Mittwoch beim Papst; dabei hat Ibrahim Faltas Franziskus einen Brief des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas übergeben.

Außerdem informierte der Franziskaner den Papst über die Lage in Jerusalem. „Der Papst, und nur er, hat immer wieder dazu aufgerufen und gesagt, dass dieser Krieg beendet werden muss“, sagte uns Faltas nach der Begegnung. „Und ich sage, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um Frieden zwischen Palästinensern und Israelis zu schließen, und dass die internationale Gemeinschaft jetzt handeln muss, weil dies der wirklich passende Moment ist. Es sind mehr als 70 Jahre vergangen, wir können nicht immer wieder zu einer Kriegssituation, zum Tod unschuldiger Menschen, zu Hass und Gewalt zurückkehren… Es ist an der Zeit, zu sagen: Genug ist genug.“

Ein von Anfang an verlorener Krieg

Die Zahl der Toten im Gaza-Krieg, der im Moment wegen der Befreiung von Geiseln lediglich pausiert, gehe in die Tausende, so Ibrahim Faltas. „Es könnten bis zu 15 Tausend sein, und dann gibt es noch die vielen Verwundeten, über die nicht gesprochen wird, die Menschen unter den Trümmern der zerstörten Häuser. Die Lage im Gazastreifen ist furchtbar, aber auch in Bethlehem, in Jerusalem, in Tel Aviv, überall ist sie furchtbar. Niemand gewinnt, niemand, dies ist von Anfang an ein verlorener Krieg… Diejenigen, die die Folgen dieses Krieges zu tragen haben, sind die Kinder, die Frauen, die Behinderten, die Alten.“

Ibrahim Faltas macht sich Sorgen, ob jetzt nicht eine neue Welle der Abwanderung von Christen aus dem Heiligen Land einsetzen wird. Es gebe für sie dort keine richtige Zukunft mehr. „Denn die Christen arbeiten im Tourismus, und der Tourismus ist jetzt blockiert, die Menschen sind arbeitslos, und wenn man arbeitslos ist, ist das erste, was man tut, wegzugehen. Es gibt nur noch sehr wenige Christen, sowohl in Jerusalem als auch in Bethlehem und im Gazastreifen. Unsere Sorge ist, dass sie alle gehen…“

„Es muss ein Datum für einen palästinensischen Staat geben“

Was in dem Schreiben von Mahmoud Abbas drinsteht, das er dem Papst zugesteckt hat, will der Franziskaner nicht sagen. „Dieser Brief ist ein privater Brief des Präsidenten an den Papst, in dem er natürlich über die Situation spricht. Sie sind Freunde, der Heilige Vater und der Präsident, sie schätzen sich und sie schreiben sich.“ Die einzig mögliche Zukunft für Israelis und Palästinenser liege in der viel beschworenen Zwei-Staaten-Lösung: „Ja, natürlich! Es gibt keine andere Lösung, alle reden seit 70 Jahren davon, aber sie müssen es in die Tat umsetzen. Es muss ein Datum geben, an dem es einen palästinensischen Staat geben wird, den alle anerkennen müssen – so würde das Problem beendet.“

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Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine bis 2025 verlängert

 

Die Aufenthaltserlaubnisse in Deutschland von Geflüchteten aus der Ukraine gelten bis zum 4. März 2025 fort. Der Bundesrat stimmte am Freitag einer entsprechenden Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums zu. Die Betroffenen müssen damit keinen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltsstatus stellen. Grundlage für die Verlängerung des vorübergehenden Schutzes ist ein Beschluss der EU-Mitgliedstaaten Ende September 2023.

 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte die Entscheidung. „Wer vor Putins mörderischem Krieg fliehen musste, wird bei uns auch weiter in Sicherheit sein und Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt haben.“ Das sei eine große Entlastung für die Ausländerbehörden und gebe Sicherheit und eine klare Perspektive für die Betroffenen.

„Wir werden weiterhin die Leben vieler Menschen aus der Ukraine schützen - so lange wie dieser furchtbare Krieg andauert. Wir stehen weiter eng an der Seite der Ukraine“, sagte Faeser.

Nach Angaben des Ministeriums leben derzeit in Deutschland rund 1,1 Millionen Menschen, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereist sind. Rund 350.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Unter den erwachsenen Geflüchteten sind rund zwei Drittel Frauen. (kna 24)

 

 

 

 

Europäischer Gerichtshof. Kein automatischer Schutzstatus für Eltern von Flüchtlingskindern

 

Eltern von als Flüchtling anerkannten Kindern haben keinen Anspruch Schutz, sondern „nur“ einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel. Das hat der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Belgien entschieden.

Die EU-Staaten sind nicht verpflichtet, den Eltern eines als Flüchtling anerkannten Kindes ebenfalls internationalen Schutz zu gewähren. Familienangehörige, die selbst nicht die Voraussetzungen erfüllen, um als Flüchtling anerkannt zu werden, können diesen Status nicht über ihre Kinder ableiten, erklärten die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Donnerstag.

Im Sinne des Kindeswohls hätten sie allerdings Anspruch auf die Ausstellung eines Aufenthaltstitels und den Zugang zu Beschäftigung oder Bildung.

Kein Schutzanspruch

Im vorliegenden Fall geht es um einen aus Guinea stammenden Mann, der 2007 nach Belgien kam. Dort beantragte er mehrfach vergeblich internationalen Schutz. 2019 stellte er erneut einen Antrag und erklärte, er sei Vater zweier 2016 und 2018 in Belgien geborener Kinder, die ebenso wie ihre Mutter als Flüchtlinge anerkannt worden seien. Das zuständige Gericht lehnte seinen Antrag auf internationalen Schutz ab.

Die Richter in Luxemburg bestätigten dieses Urteil. Das Gericht habe zutreffend entschieden, dass dem Kläger kein internationaler Schutz gewährt werden müsse, weil er selbst nicht die Voraussetzungen erfülle. (epd/mig 24)

 

 

 

 

Massiver Rechtsruck. Islamhasser Wilders klarer Wahlsieger in den Niederlanden

 

Seit fast 20 Jahren mischt der Rechtsaußen Wilders mit seiner islamfeindlichen Partei die Niederlande auf – zuletzt mit dem Thema Migration. Jetzt ist er der große Wahlsieger. Doch allein regieren kann er nicht. Auch wenn andere Rechtspopulisten in Europa schon jubeln. Sein Wahlsieg dürfte auch in Deutschland Alarmglocken schrillen lassen. Von Annette Birschel und Christoph Driessen

 

Geert Wilders, einziges Mitglied seiner „Partij voor de Vrijheid“, kann seinen Triumph selbst nicht fassen. Als am Mittwochabend die erste Prognose des niederländischen Fernsehens seinen sensationellen Wahlsieg verkündet, schlägt er die Hände vors Gesicht. „35!“, ruft er. 35 Sitze im Parlament – am Ende sollen es sogar 37 für die Partei für die Freiheit werden.

Das Ergebnis sei „historisch“, heißt es am Donnerstag übereinstimmend in den Medien. In Teilen der niederländischen Gesellschaft ist der Schock groß. „Ich schäme mich zutiefst – auch ein bisschen dafür, Niederländerin zu sein“, sagt eine Bürgerin aus Enschede im Fernsehen. Muhsin Kökta?, Vorsitzender eines muslimischen Verbands sagt, Muslime hätten jetzt Angst, ihre Religion nicht mehr frei ausüben zu dürfen. „Als praktizierender Muslim mache ich mir Sorgen“, sagte er am Donnerstag im niederländischen Fernsehen. „Ich hatte dieses Ergebnis wirklich nicht erwartet. Auf Muslime kommt eine schwierige Zeit zu.“ Wilders pocht schließlich seit 20 Jahren auf ein Koran-Verbot und die Schließung aller Moscheen. Der Wahlsieg schockte auch Flüchtlingsräte.

Rechtspopulisten in Europa hingegen bejubelten Wilders‘ Triumph. „Herzlichen Glückwunsch zu diesem großen Erfolg. Ganz Europa will die politische Wende!“, schrieb AfD-Chefin Alice Weidel im Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und die französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen gratulierten Wilders.

Holland – stand das nicht mal für Flower Power und das von Chansonnier Herman van Veen besungene „zärtliche Gefühl“? War das nicht mal das Land, in dem gerade Deutsche das Gefühl hatten, freier durchatmen zu können? Weil alles etwas lockerer und toleranter zugeht?

Rechtspopulisten gibt es schon 20 Jahre

Dieses Bild traf so wohl immer nur auf die Hauptstadt Amsterdam zu. Schon vor über 20 Jahren gab es erstmals einen kräftigen Rechtsruck, als der Soziologie-Professor Pim Fortuyn als erster Populist durchstartete. Kurz vor seinem vorausgesagten Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl von 2002 wurde er von einem militanten Tierschutz-Aktivisten auf einem Parkplatz erschossen. Seine Partei zerlegte sich danach selbst und verschwand in der Versenkung.

Das Erbe Fortuyns trat ein anderer Rechtspopulist an, ein Mann mit einer platinblonden Haartolle und dem Dialekt seiner Heimatstadt Venlo: Geert Wilders. Um einem Chaos wie in Fortuyns Partei vorzubeugen, wandte er einen einfachen Trick an: Bis heute ist er das einzige Mitglied seiner Partei PVV. Gefolgsleute können sich nur als Sympathisanten oder Förderer anmelden.

Seit ihrer ersten Teilnahme an einer Wahl 2006 ist die PVV immer eine feste Größe in der Parteienlandschaft und eine starke Kraft im Parlament in Den Haag gewesen. Warum aber ist sie jetzt plötzlich so groß geworden?

Migration als Wahlkampfthema Nummer 1

Es gab ein Thema, das den Wahlkampf dominierte: Migration. Alle Parteien auf der Rechten überboten sich geradezu mit Versprechungen, die Asylzahlen zu verringern. „Unser Land ist voll“, hieß es. Dabei wurde vielfach der Eindruck erweckt, die Zuzügler seien die Hauptursache für die bestehende Wohnungsnot. Tatsache ist: Das Land mit etwa 18 Millionen Einwohnern ist eines der am dichtest besiedelten der Welt. Im vergangenen Jahr kamen 224.000 Menschen, doch nur eine Minderheit davon, etwa 46.000, waren Asylsuchende und ihre Angehörigen. Der Rest bestand aus Arbeitsmigranten und Auslandsstudenten.

Rutte-Nachfolgerin macht Wilders salonfähig

Eine weitere Ursache für Wilders‘ Wahlsieg dürften die Annäherungsversuche der bisher größten Partei, der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), gewesen sein. Der scheidende Ministerpräsident Mark Rutte hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders immer ausgeschlossen. Auch aus eigener schlechter Erfahrung. Denn Ruttes erstes Kabinett, eine Minderheitsregierung, war von Wilders toleriert worden, aber dann vorzeitig an dessen Kompromisslosigkeit gescheitert. Seitdem hatte Rutte jedes Vertrauen in ihn verloren.

Seine Nachfolgerin als VVD-Chefin, Dilan Ye?ilgöz, wollte sich aber viel rechter als Rutte positionieren und änderte deshalb den Kurs. Sie erklärte gleich zu Beginn des Wahlkampfes, sie wolle Wilders als Koalitionspartner nicht ausschließen. Davon ging die Botschaft aus: Wilders hat jetzt erstmals eine echte Chance auf Regierungsbeteiligung. So habe Ye?ilgöz – die türkeistämmig ist –, Wilders „salonfähig“ gemacht, sagte ein Fernsehkommentator unter Verwendung des deutschen Begriffs. Plötzlich gab es keine Hemmungen mehr, sich öffentlich als Wilders-Fan zu outen.

Nach 13 Jahren unter dem rechtsliberalen Rutte ist Wilders für viele Wähler „neue Politik“. Denn Ruttes Langzeitregierung wird auch für die Misere im Gesundheitssystem verantwortlich gemacht, für zunehmende Armut und für mehrere Affären und Skandale der vergangenen Jahre. Wilders setzt dagegen Einzeiler wie: „Die Niederländer müssen wieder Nummer 1 sein.“

Emotionale Rede von Timmermans kommt zu spät

Aber auch andere Spitzenkandidaten müssen sich fragen, ob sie alles richtig gemacht haben. So hielt Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans vor seinem Anhang aus Grünen und Sozialdemokraten in der Wahlnacht zwar eine emotionale Rede mit dem Aufruf, die Niederländer müssten jetzt „die Demokratie verteidigen“. Allerdings musste er sich sofort kritisch fragen lassen, warum er das nicht früher getan habe.

Die von Wilders ausgehende Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat war im Wahlkampf kaum je thematisiert worden – übrigens auch nicht von den Medien, die den Rechtsaußen schon lange wie einen ganz normalen Politiker behandeln. Alles andere sei doch elitär und undemokratisch, heißt es zur Begründung. Dass man doch „jeden mit ins Boot nehmen“ wolle, ist in den Niederlanden eine politische Maxime.

Jetzt, nach der Wahl macht sich der Journalistenverband große Sorgen über mögliche negative Folgen für die Medien. Wilders schüre Feindseligkeit und Bedrohungen von Journalisten, sagte der Generalsekretär des Verbandes, Thomas Bruning, am Donnerstag in Amsterdam. Der Rechtspopulist hatte nach Aussagen von Bruning in der Vergangenheit einige „alarmierende Aussagen“ gemacht. So hatte er bei Twitter 2021 Journalisten als „gesellschaftlichen Abschaum“ beschimpft. Man habe gesehen, dass dies Auswirkungen für die Berufsgruppe habe, auf die Sicherheit bei der Arbeit. Wilders habe die Aussagen dennoch nicht zurücknehmen wollen. Wilders Partei will zum Beispiel auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht länger mit Steuergeldern finanzieren. „Unterm Strich will er damit den öffentlich-rechtlichen Journalismus abschaffen“, sagte Bruning.

Was wird aus der EU-Beziehung?

Die große Herausforderung für Wilders ist nun, andere Parteien als Koalitionspartner an sich zu binden. Dies erscheint schwierig, aber keineswegs unmöglich. Sowohl Ye?ilgöz als auch der zweite Sieger des Wahlabends, der frühere Christdemokrat Pieter Omtzigt, zeigen sich offen für Gespräche. Alle Parteien müssten jetzt „über ihren Schatten springen“, sagte Omtzigt, der erst vor zwei Monaten seine eigene Patei „Neuer Sozialer Vertrag“ gegründet hatte. Damit holte er bei der Wahl auf einen Schlag 20 der 150 Parlamentssitze. Und auch die Protestpartei Bauernbürgerbewegung BBB will gerne mit dem Rechtsaußen regieren.

So könnten die Zeiten, in denen die Niederlande auch für die Bundesregierung einer der engsten Partner innerhalb der Europäischen Union waren, bald vorbei sein. Zwar ist der von Wilders angestrebte „Nexit“ – ein Austritt aus der EU nach britischem Vorbild – mit den anderen Parteien nicht zu machen. Doch auf vielen Gebieten würden die Niederlande mit Wilders als Regierungschef künftig einen anderen Kurs fahren. Er lehnt zum Beispiel den Klimaschutz ab und will auch die Hilfe für die Ukraine drastisch zurückfahren.

All das wird in Deutschland wohl genau registriert werden und dürfte teilweise die Alarmglocken schrillen lassen. Die oft gehörte Beschwichtigung, gute Umfragewerte für extreme Parteien bedeuteten noch lange nicht, dass die Leute dann auch wirklich so wählen würden, hat sich zumindest für die Niederlande als Wunschdenken herausgestellt.  (dpa/mig 24)

 

 

 

 

Gefährlicher Vertrauensverlust

 

Angesichts der Reaktionen auf den Gazakrieg verliert die feministische Außen- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung massiv an Glaubwürdigkeit. Lydia Both

 

Wer sich vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Israel und der Hamas und im Angesicht der humanitären Katastrophe in Gaza zwischen unterschiedlichen Realitäten und ihren Diskursen bewegt, bleibt oft sprachlos zurück. In Deutschland rückten Politik und Medien die Sicherheit und das Selbstverteidigungsrecht Israels nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober ins Zentrum der Debatte. Gleichzeitig wächst in der arabischsprachigen Welt und darüber hinaus die Wut und die Trauer angesichts des schier unfassbaren Leids, das die israelische Armee derzeit in Gaza anrichtet. 

Das Einzige, was diese beiden unterschiedlichen Positionen vereint, ist das Fehlen jeglicher Empathie für die jeweils andere Seite. Die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Realitäten und Wahrnehmungen, der Israelis, wie auch der Palästinenser, muss erkannt und ausgehalten, und darf nicht a priori delegitimiert werden.

Dabei helfen könnten die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbarte feministische Außenpolitik und die feministische Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die nicht nur Handlungsanweisungen, sondern auch eine Sprache bereithalten, die unterschiedslos für alle außenpolitischen Krisen gelten sollte und der wir uns bedienen könnten, um auf den Krieg im Gazastreifen zu reagieren.

Doch an welcher Stelle wurden diese Leitlinien seit dem 7. Oktober angewandt? Sicher nicht, als die deutsche Zusammenarbeit in den palästinensischen Gebieten und mit der dortigen Zivilgesellschaft automatisch unter Terrorverdacht und damit auf den Prüfstand gestellt wurde. Wie feministisch war es, in einem zweiten (weitaus weniger hörbaren) Atemzug nachzuschieben, dass die Unterstützung von Frauen und Kindern prioritär sei und daher schnell überprüft werde?

Sie galten auch nicht, als Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in der EU geradezu reflexhaft, aber wenig feministisch, gegen einen humanitären Waffenstillstand in Gaza stimmte, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, das Selbstverteidigungsrecht Israels, das davon nicht betroffen wäre, in Frage zu stellen.

Dabei gilt das Ruhen von Waffen zur Ermöglichung humanitärer Hilfe als einer der Grundsätze feministischer Außenpolitik. Und so löste das Abstimmungsverhalten Deutschlands bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen bei denjenigen im Globalen Süden, die die Entwicklung der feministischen Außenpolitik der Bundesregierung und ihrer Leitlinien einst enthusiastisch verfolgt hatten, ungläubiges Kopfschütteln und Empörung aus. Zumal auch sämtliche internationale Organisationen und die UN schon früh einen humanitären Waffenstillstand gefordert haben, darunter auch UN Women mit einem besonderen Fokus auf Frauen und Kindern. Jetzt für Feuerpausen einzutreten, kommt verspätet und wird nicht helfen, das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit an deutscher feministischer Politik zu erhalten.

Wie sähe ein feministischer Umgang mit dem Nahost-Konflikt dagegen aus, welche Möglichkeiten hätte die Bundesregierung, sich durch ihre bedingungslose Solidarität mit Israel nicht vollends international ins Abseits zu stellen, sondern entlang der selbst auferlegten Werte einen gerechten und wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der Situation zu leisten?

Herzstück feministischer Außen- und Entwicklungspolitik ist ihr menschenrechtsbasierter Ansatz mit der Grundüberzeugung, dass alle Menschen inhärente Rechte und Würde besitzen. Internationales und humanitäres Recht muss für alle gelten. Definitionen, wer als Zivilistin und wer als Kombattant gilt, dürfen nicht aufgeweicht und ganze Bevölkerungsgruppen dürfen nicht kollektiv bestraft werden.

Wenn der Zugang zu Strom, Wasser, Benzin und Medizin eingeschränkt oder komplett blockiert ist, wie es seit Beginn des Krieges in Gaza passiert, müssten Vertreterinnen und Vertreter feministischer Außen- und Entwicklungspolitik aufschreien. Denn somit sind auch die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen und anderen Minderheiten eingeschränkt, wenn nicht gar verwehrt. 15 Prozent der schwangeren Frauen in Gaza werden Komplikationen bei den Geburten erleiden, das Leben vieler Neugeborener ist gefährdet. Wenn feministische Politik für die Rechte von Frauen und anderen Marginalisierten eintreten will, dann muss sie dies konsequent und konsistent tun. Aber während Expertinnen und Experten, darunter auch feministische, warnen, dass internationales Recht gerade durch die israelische Regierung ausgehebelt wird, halten sich deutsche Vertreterinnen und Vertreter von vermeintlich feministischer Politik bislang bedeckt.

Sie sollten sich außerdem an den simplen wie einleuchtenden Grundsatz erinnern, dass feministische Außenpolitik politische statt militärische Lösungen fördern sollte. Ihr erklärtes Ziel ist die Förderung der Repräsentation von Frauen – in Konfliktsituationen geht es hier vor allem um die Beteiligung von Frauen und marginalisierten Gruppen an Friedensverhandlungen. Wenn aber niemand nach einer politischen Lösung sucht, stellt sich auch die Frage nach der Beteiligung von Frauen an dieser erst gar nicht.

Das Verhalten und die Rhetorik deutscher Politik macht dagegen vielmehr den Eindruck, dass der militärischen Supermacht Israel in ihrem Kampf gegen die Terrororganisation Hamas nach den Gräueltaten vom 7. Oktober freie Hand gelassen wird. Das ist alles andere als deeskalierend, sondern begünstigt die Durchsetzung militärischer Macht.

Apropos Macht: Feministische Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit haben gemeinsam, dass das Hinterfragen von Machtstrukturen ihre theoretische Grundlage bildet. Das würde bedeuten, die Gewaltdynamik im Nahen Osten zu kontextualisieren und anzuerkennen, dass der Konflikt nicht erst am 7. Oktober begonnen hat. Das heißt explizit nicht, den Massenmord an und die Entführung von Zivilistinnen und Zivilisten zu rechtfertigen oder kleinzureden. Um wirklich dauerhaft für die Sicherheit Israels, der viel beschworenen Staatsräson Deutschlands, zu sorgen, müssen die Ursachen der Gewalt angegangen werden – eine Kontextualisierung ist dafür essentiell und stünde im Einklang mit den feministischen Ansätzen, derer sich das Auswärtige Amt und das BMZ verschrieben haben.

Ein großer Streitpunkt ist derzeit der mit Machtfragen verbundene postkoloniale Ansatz. Das BMZ hat postkoloniale und antirassistische Entwicklungspolitik in seine Strategie aufgenommen. Den Hamas-Terror als antikolonialen Widerstand zu framen, ist fatal und komplett irreführend. Es widerspricht jeglichem humanistischen Ansatz, das Verletzen, Entführen und Töten von Zivilisten mit Widerstand zu rechtfertigen. Jeglichen postkolonialen Diskurs allerdings unter Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, wie kürzlich durch Habecks „Rede an die Nation“ geschehen, erlaubt jedoch keinen produktiven Austausch.

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik muss eine Debatte ermöglichen, die die strukturelle Asymmetrie der Machtverteilung zwischen einer militärischen Supermacht und einer zunehmend fragmentierten und entrechteten Gesellschaft benennt. Feministische Organisationen aus dem Globalen Süden, gemeinsam mit Geberorganisationen, zeigen, wie es gehen kann, jahrzehntelange Vertreibung, Besatzung und Belagerung als Gewaltursache anzusprechen und sich gleichzeitig mit allen zivilen Opfern dieses Konflikts sowie den Opfern von zunehmenden Hasskampagnen zu solidarisieren.

Ein weiteres Kernziel feministischer Außenpolitik ist die Bekämpfung sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten Konflikten. Dementsprechend müssen belegte Taten der Hamas als Verstoß gegen internationales humanitäres Recht verurteilt werden.

Vorsicht ist angebracht, wenn eine ausschließliche Viktimisierung von Frauen, die ihnen ihre Handlungsfähigkeit abspricht, dazu führt, dass Kriege begründet werden mit dem vermeintlich feministischen Ziel, Frauen, Kinder und Minderheiten zu schützen. Dieser sogenannte „Securo-feminism“ macht sich auch in der Rhetorik zum Gazakrieg bemerkbar, wenn Vergewaltigungsvorwürfe ungeprüft für das Verteidigungsrecht herangezogen werden oder ein israelischer Soldat mit einer Regenbogenflagge auf Ruinen in Gaza verkündet, er handle „im Namen der Liebe“. Zugespitzt könnte man von „empowerment through bombing“ sprechen. Wenn Frauen und LGBTIQ erst befreit und ermächtigt werden können, wenn die patriarchalen Regime, in deren Schlingen sie sich befinden, militärisch plattgemacht wurden – und sie selber gleich mit –, hat das wenig mit den feministischen Grundsätzen von Frieden, menschlicher Sicherheit und Gewaltfreiheit zu tun.

Schon vor dem jetzigen Krieg wurden die feministischen Strategien in der internationalen Politik kritisch beäugt und dahingehend geprüft, inwieweit sie Machtstrukturen tatsächlich ändern können, wo diese doch so sehr in historisch gewachsene Ungleichheiten zwischen Globalem Norden und Süden eingebettet sind. Angesichts der jetzigen humanitären Katastrophe in Gaza verliert Deutschland massiv an Glaubwürdigkeit im Globalen Süden und ganz besonders bei progressiven sowie feministischen Akteurinnen und Akteuren sowie Bewegungen, die wertvolle Partner für die Umsetzung deutscher Außen- und Entwicklungspolitik hätten sein können.

Feministische Entwicklungs- und Außenpolitik muss den Hamas-Terror verurteilen, darf aber nicht alle Palästinenserinnen und Palästinenser als vermeintliche Terroristen kollektiv bestrafen. Gleichzeitig muss Israel als sicherer Staat für Jüdinnen und Juden geschützt werden, und gerade deshalb muss erkannt werden, dass die derzeitige Reaktion des Flächenbombardements Gazas nicht zu dieser Sicherheit beiträgt, sondern viel wahrscheinlicher gleich die nächste Welle von Hass und Gewalt erzeugt.

Feministische Außen- und Entwicklungspolitik sollte progressive Stimmen auf beiden Seiten fördern und Räume für diese schaffen. Was klar ist: Weder Antisemitismus im Namen eines vermeintlich antikolonialen Widerstandes noch islamophober und antiarabischer Rassismus im Namen sogenannter unbedingter Israelsolidarität haben in diesen Räumen einen Platz. Aber feministische Außen- und Entwicklungspolitik darf nicht in die Falle tappen, das eine wichtiger als das andere zu nehmen. Beides gilt es gleichermaßen zu identifizieren und zu verbannen, während andere Stimmen nicht vorverurteilt und ausgeschlossen werden dürfen. Feministische Aufrufe zum Waffenstillstand skandalisieren sowohl antisemitische als auch antimuslimische Gewalt, die im Zuge des Krieges überall auf der Welt, und besonders im Westen, drastisch angestiegen sind.

Feministische Ansätze bieten die Sprache, die vielen derzeit fehlt, um angemessen auf die humanitäre Katastrophe in Gaza zu reagieren. Sie bieten auch Handlungsanweisungen für eine gerechte, für alle gleichermaßen geltende Politik. Derzeit scheint aber die deutsche politische Öffentlichkeit und die Bundesregierung an der Anwendung dieser im Fall des Krieges in Gaza zu scheitern. IPG 24

 

 

 

 

Klimakonferenz. „Die Verschmutzer säubern ihr Gewissen“

 

Dürren, Fluten und Stürme bedrohen jetzt schon die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen in Afrika. Die Erwartungen an die in wenigen Tagen beginnende Klimakonferenz in Dubai sind groß - ebenso der Vorwurf an reiche Staaten. Von Birte Mensing

 

Die Erwartungen afrikanischer Staaten vor der Weltklimakonferenz in Dubai sind groß. Es brauche „ehrgeizige, ausgewogene, faire und gerechte Ergebnisse, um die Welt auf Kurs zu bringen“, erklärte der Leiter der afrikanischen Verhandlungsgruppe, Ephraim Shitima, im Internetdienst X, ehemals Twitter.

Es sind immer wieder die gleichen Sätze, in der Hoffnung, dass sie irgendwann wirken. Afrika trägt nur etwa vier Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei, aber die Folgen des Klimawandels sind auf dem Kontinent bereits deutlicher zu spüren als anderswo. Dürren und Fluten werden häufiger, wie zuletzt in Teilen Ostafrikas. Millionen von Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage.

Die Denkfabrik „Global Center on Adaption“ schätzt, dass afrikanischen Volkswirtschaften bis 2035 bis zu sechs Billionen US-Dollar an Wirtschaftswachstum einbüßen werden, weil Geld fehlt, um sich an den Klimawandel anzupassen.

Der wunde Punkt

Der Kenianer George Tsitati forscht an der Universität im schottischen Edinburgh dazu, wie unter lokaler Führung Maßnahmen gegen die vom Klimawandel verursachten humanitären Krisen in Ostafrika gefunden werden können. „Der wunde Punkt ist Armut“, sagt er. „Die Auswirkungen von Klimakrise und Armut verstärken sich gegenseitig.“

Ein Drittel der etwa 1,4 Milliarden Menschen auf dem afrikanischen Kontinent lebt unterhalb der Armutsgrenze, also von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag. Und die Wirtschaft vieler Länder ist extrem von der Natur und ihren Ressourcen abhängig. Etwa Dreiviertel der Menschen leben von der Landwirtschaft, der Großteil ist auf Regen angewiesen, um die Felder zu bewässern. Die Regenzeiten aber werden immer unvorhersehbarer. Es müsse dringend in Bildung investiert werden, damit Menschen anders als mit Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sagt Tsitati.

CO2 als Geschäftsmodell

Im September hatte Kenias Präsident William Ruto zum ersten Afrikanischen Klimagipfel nach Nairobi eingeladen. Er präsentiert sich als wichtige Stimme Afrikas in der Klimapolitik, vor allem zum Thema erneuerbare Energie. Kenia will bis 2030 seine gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen – und ist tatsächlich nicht weit vom Ziel entfernt. Doch nicht alle Staaten waren beim Gipfel vertreten. Südafrika und Uganda zum Beispiel fehlten. Beides Länder, in denen fossile Energieträger gefördert werden.

Bei der Konferenz in Nairobi wurde auch über CO2-Kompensation als Geschäftsmodell für den Kontinent diskutiert. Die Idee: Firmen oder Länder bezahlen Geld dafür, dass CO2 anderswo eingespart wird, etwa indem Flächen für die Aufforstung genutzt oder der Renaturierung überlassen werden. Der Klimawissenschaftler Tsitati sieht das Thema, das auch in Dubai auf der Tagesordnung stehen wird, kritisch. Große Flächen dafür zu blockieren, gefährde die Lebensgrundlage der ärmsten Bevölkerungsgruppen.

Verschmutzer säubern ihr Gewissen

Gerade mit Blick auf die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung des Kontinents sei es wichtig zu überlegen, ob afrikanische Länder Flächen für den CO2-Ausgleich anderer Länder freigeben wollen. „Die Verschmutzer säubern ihr Gewissen und machen einfach weiter“, sagt Tsitati. Und so werde weiter Klimapolitik gemacht, die am Ende vor allem reichen Ländern nutze.

Tsitati kritisiert auch, dass die Delegationen afrikanischer Länder zumindest zum Teil nur als Bittsteller auf den Klimakonferenzen wahrgenommen würden. Afrika werde nur als Klimaopfer dargestellt. Dass Menschen auf dem Kontinent Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel entwickeln, werde übersehen. (epd/mig 23)

 

 

 

 

Schreckgespenst Schuldenkrise

 

Schulden und Vermögen sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine kluge Politik muss an beiden Seiten ansetzen – und die Hochzinspolitik beenden. Michael Dauderstädt

 

Mit dem Anstieg der Zinsen sind die Sorgen um die Schulden gewachsen. Der Economist befürchtet eine Weltwirtschaftskrise, oder jedenfalls eine große Rezession, wenn die Zinsen länger hoch bleiben und so viele Schuldner (Staaten, Unternehmen, Haushalte) in Schwierigkeiten geraten. Denn diese müssen nun höhere Zinsen zahlen, wenn sie ihre Schulden verlängern wollen. Zinszahlungen werden in der Folge einen wachsenden Anteil der Einnahmen der Schuldner verschlingen und sie zwingen, andere Ausgaben zu kürzen. Umgekehrt sinken die Werte (Kurse) von Anlagen mit festen Erträgen, damit ihre Rendite dem höheren Zinsniveau entspricht. Das hat schon einige Banken in die Insolvenz getrieben, deren Aktiva im Marktwert dramatisch schrumpften. Den Schuldnern nutzen diese Kursverluste allerdings wenig, da sie mit den nominalen Werten in der Pflicht sind.

In Deutschland hat das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Versuch unterbunden, wichtige Zukunftsinvestitionen und andere Ausgaben über ein Sondervermögen zu finanzieren, das ursprünglich zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise vorgesehen war. Kritiker haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei den diversen Sondervermögen (etwa auch für die Aufrüstung der Bundeswehr) um zusätzliche Staatsschulden handelt, die die Schuldenbremse umgehen sollten.

Tatsächlich sind die Schulden weltweit bis 2020 stark angestiegen. Der Globale Schuldenmonitor des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigt ein Wachstum von einem Niveau von unter 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den 1950er und 1960er Jahren auf 180 Prozent in den 1990ern und 258 Prozent im Jahr 2020. Dieser lange Anstieg war sowohl durch zunehmende Staatsschulden verursacht als auch durch wachsende private Schulden, die etwa drei Fünftel der globalen Schulden ausmachen. Und es waren vor allem die privaten und öffentlichen Schuldner in den reichen Ländern, die für diesen Anstieg verantwortlich waren.

Seitdem ist ein leichter Rückgang auf 238 Prozent in 2022 zu beobachten, welcher der Zinspolitik geschuldet sein dürfte. Dieser Wert liegt aber immer noch deutlich über dem Vorpandemieniveau von 229 Prozent. Er deutet einen Weg an, Schulden real abzubauen, nämlich sie abzuschreiben beziehungsweise niedriger zu bewerten. Damit verringern sich allerdings gleichzeitig die Vermögen der Gläubiger wie etwa der eingangs erwähnten Banken. Der andere Weg besteht darin, dass die Gläubiger den Schuldnern höhere Einnahmen verschaffen, indem sie mehr von ihnen kaufen, als sie an sie verkaufen. Die so bei den Schuldnern entstehenden Überschüsse können Tilgung und Schuldendienst finanzieren. So läuft es bei erfolgreichen Unternehmen, die mit kreditfinanzierten Investitionen Umsatz und Gewinn erzielen.

Ausgeblendet bleibt bei der Fokussierung auf den Schuldenberg oft die Kehrseite der Schulden- und Zinslast: das Vermögen und die Einkommen der Gläubiger. Denn den gewachsenen Schulden stehen entsprechend gestiegene Vermögen gegenüber. Der Globale Vermögensbericht der Schweizer Bank UBS weist für 2000 ein Weltvermögen von 118 BillionenUS-Dollar auf, das bis 2010 auf 252 Billionen und bis 2021 auf 465 Billionen angewachsen ist. 2022 lag es wieder um zehn Billionen niedriger – im Gleichschritt mit den Schulden. Die höheren Zinsen mögen zu Wertberichtigungen führen, bedeuten aber auch höhere Einnahmen für Vermögensbesitzer.

Sparer, die ihre Ersparnisse zum Zwecke der Alterssicherung oder für diverse Investitionen anhäufen, können nun mit höheren Erträgen rechnen, die inzwischen sogar oft die Wertverluste durch Inflation mehr als kompensieren. Daher ist es auch falsch, bei Schulden von einer Last für die künftigen Generationen zu sprechen. Die entsprechenden Vermögenszuwächse sowie Tilgungszahlungen und Zinsen kommen ebenfalls den künftigen Generationen zu, nur eben den Vermögensbesitzern und Gläubigern unter ihnen.

Wenn allein die Zinsausgaben aus dem deutschen Bundeshaushalt von knapp vier Milliarden im Jahr 2020 auf knapp 40 Milliarden 2023 steigen, bedeutet das, dass sich die diesbezüglichen Einkommen ebenfalls verzehnfachen. Deutschland ist ein Land mit relativ zum BIP geringen Staatsschulden und dank hoher Bonität niedrigem Zinsniveau. In anderen Ländern (USA, Italien und vielleicht demnächst Japan) können Sparer mit üppigeren Einnahmen rechnen. Dieser Geldsegen geht überwiegend auf schon reiche Menschen nieder – denn die Vermögen sind noch deutlich ungleicher als die Einkommen verteilt, deren Verteilung voraussichtlich so auch noch ungleicher wird.

Was werden diese Gewinner der Zinswende mit ihren Gewinnen machen? Als mehrheitlich reichere Haushalte haben sie eine hohe Sparquote und die neuen Einkommen tragen nur begrenzt zu einer höheren Nachfrage bei. Damit verstärkt sich der Rezessionstrend, den die Hochzinspolitik – neben anderen Faktoren wie sinkenden Reallöhnen – ausgelöst hat. Staat und Unternehmen müssten diese Ersparnisse nachfragen und ausgeben, um eine Rezession zu vermeiden. Aber gerade in Deutschland tun sie das in zu geringem Umfang: der Staat wegen der Schuldenbremse, die Unternehmen dank hoher Selbstfinanzierung. So fließen die Ersparnisse ins Ausland, wie am deutschen Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von circa acht Prozent des BIP sichtbar ist (Ausnahme 2022 mit 4,2 Prozent). Auch hier gilt, dass Überschussländer wenigstens temporär zu Defizitländern werden müssen, um den Schuldnern die Überschüsse zu ermöglichen, mit denen sie ihre Schulden tilgen und bedienen können.

Die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung, Demografie und geopolitische Spannungen, vor denen nicht nur Deutschland, sondern die meisten Länder stehen, erfordern massive öffentliche (und private) Investitionen. Wenn die potenziellen Investoren (Staaten oder Unternehmen) ihre Einnahmen mehr und mehr für den Schuldendienst ausgeben müssen, fehlen diese Mittel für die Bewältigung der vielfältigen Krisen. Eine angemessene Wirtschaftspolitik sollte die Zinsen rasch senken – zumal die Inflation nachlässt – und die Vermögen und die aus ihnen resultierenden Einkommen stärker besteuern, soweit sie nicht in die Krisenbekämpfung investiert werden. Kapitalerträge sollten nicht niedriger, sondern höher als Arbeitseinkommen besteuert werden. IPG 23

 

 

 

Amnesty-Deutschland-Report. Versäumnisse in der Strafverfolgung rasstischer Verbrechen

 

Amnesty International kritisiert Deutschland: mangelnde Anerkennung von strukturellem Rassismus. Ein neuer Bericht deckt Probleme bei der Polizei und im Umgang mit Hassverbrechen auf. Deutschland muss handeln, so die Menschenrechtsorganisation.

Deutschland tut nach Auffassung von Amnesty International nicht genug gegen systemischen Rassismus und erkennt Ursachen nicht ausreichend an. Ein neuer Amnesty-Bericht benenne strukturelle Probleme unter anderem bei der Polizei, im Umgang mit Hassverbrechen und der Wiedergutmachung für Kolonialverbrechen, teilte die Menschenrechtsorganisation am Mittwoch in Berlin mit.

Hintergrund sind laut Amnesty für Donnerstag und Freitag geplante Beratungen im Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen über den Schutz vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt in Deutschland. Der Bericht liegt dem Ausschuss den Angaben zufolge vor.

Rassismus in der Strafverfolgung

Die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Julia Duchrow, erklärte, Deutschland habe sich bereits in den 1960er Jahren zum Schutz aller Menschen vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt verpflichtet. „Die Behörden scheitern aber immer wieder daran“, betonte sie unter Hinweis auf die rechtsextreme Mordserie der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und rassistische Anschläge in München, Halle und Hanau.

Der deutschen Polizei wirft die Organisation vor, rassistische Stereotype durch Kategorisierungen wie „Clankriminalität“ zu reproduzieren. Amnesty fordert, Rassismus in der Strafverfolgung zu untersuchen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Deutschland müsse garantieren, dass alle Vorwürfe von rassistischem Handeln durch die Polizei unabhängig untersucht und konsequent geahndet werden. Dafür seien unabhängige Beschwerdestellen auf Bundes- und Landesebene nötig. (epd/mig 23)

 

 

 

 

50 Organisationen appellieren. Menschenrechtler befürchten Kriminalisierung der Seenotrettung

 

Ein Bündnis von Menschenrechtsorganisationen wendet sich gegen die Regierungspläne für eine einfachere Abschiebung von Flüchtlingen. In einer Erklärung von mehr als 50 Organisationen wird davor gewarnt, die humanitäre Hilfe für Geflüchtete zu kriminalisieren.

Rund 50 Organisationen haben von der Bundesregierung die Rücknahme einer Gesetzesänderung gefordert, die die Seenotrettung kriminalisieren könnte. Die geplante Änderung des Aufenthaltsgesetzes widerspreche dem Koalitionsvertrag, erklärten Seenotrettungs- und Menschenrechtsorganisationen sowie Hilfswerke am Dienstag. Die Ampel-Parteien hätten sich dort zur Pflicht zur Seenotrettung bekannt. Das Bundesinnenministerium müsse seine Vorlage ändern.

Bei dem kürzlich vom Bundesinnenministerium vorgestellten Gesetzesentwurf handle es sich um den bisher weitreichendsten Versuch, in Deutschland die Seenotrettung zu kriminalisieren, kritisierten die Organisationen. Demnach solle die Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter Strafe gestellt werden, wenn sie „wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“ erfolgt. Zudem würde durch die Änderung auch die Hilfe zur Einreise von unbegleiteten Minderjährigen unter Strafe gestellt.

Bis zu zehn Jahre Haft

Bestraft werden könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Seenotrettungsorganisationen, aber auch Menschenrechtsverteidiger, humanitäre Organisationen und die Geflüchteten selbst. Helferinnen und Helfern drohen laut den Organisationen bis zu zehn Jahren Haft.

Zahlreiche deutsche Organisationen beteiligen sich an der Rettung von Geflüchteten in Seenot im Mittelmeer. Die Überquerung des Mittelmeers gilt als eine der gefährlichsten Fluchtrouten w

eltweit. Nach UN-Angaben starben dabei in diesem Jahr bereits fast 2.500 Menschen.

Innenministerium: Kriminalisierung der Seenotrettung nicht beabsichtigt

In einer Klarstellung des Bundesinnenministeriums habe es geheißen, die Kriminalisierung der Seenotrettung sei nicht beabsichtigt. Die Formulierungshilfe rechtfertigt nach Einschätzung der Hilfsorganisationen aber eindeutig eine strafrechtliche Verfolgung dieser im Falle vieler Rettungen. In fast allen Einsätzen würden mehrere Personen zum europäischen Festland gebracht. Zudem befänden sich unter den Geretteten regelmäßig unbegleitete Minderjährige.

Die Ampel-Regierung hat die Änderung des Paragrafen 96 des Aufenthaltsgesetzes, der das Einschleusen von Ausländern betrifft, bereits im Oktober im Kabinett beschlossen. Sie muss noch durch den Bundestag, bevor sie in Kraft tritt. Mit den geplanten Gesetzesänderungen würde sich Deutschland in eine repressive Politik einreihen, die europaweit zu beobachten sei, kritisierten die Organisationen. (dpa/mig 21)

 

 

 

 

Leitkultur und Obergrenze. CSU präsentiert Stammtisch-Papier zu Integration

 

Leitkultur, Obergrenze, Deutschpflicht und Kopftuch-Verbot an Schulen: Das Positionspapier der CSU zu Integration liest sich wie eine Auflistung rechtspopulistischer Debatten vergangener Jahre - präsentiert mit Islamkritiker Mansour.

Leitkultur, Obergrenze, mehr Bildungs- und Wertevermittlung, keine Auslandsfinanzierung für Moscheen, harte Sanktionen gegen Antisemiten: In einem betont konservativen Positionspapier fordert die CSU im bayerischen Landtag ein Umdenken für die Integrationspolitik in Deutschland. Der Entwurf des zweiseitigen Papiers, der der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt, greift dabei viele Punkte auf, die die CSU bereits in den vergangenen Jahren zur Migrationspolitik vertreten hat.

„Wir müssen Integration völlig neu denken – denn Islamismus und Antisemitismus auf unseren Straßen zeigen, dass wir hier mit dem Multi-Kulti-Kuschelkurs von Rot-Grün gescheitert sind“, sagte der CSU-Fraktionschef im Landtag, Klaus Holetschek, in München.

„Wir müssen von den zu uns kommenden Migranten einfordern, dass sie unsere Leitkultur akzeptieren“, heißt es Entwurf des Papiers. Das Papier soll an diesem Dienstag in der CSU-Fraktionssitzung mit Islamkritiker Ahmad Mansour diskutiert werden. Zur Leitkultur gehörten „insbesondere Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat, Gleichberechtigung, Toleranz und ein positives Bekenntnis zu unserem Land und natürlich auch das unverbrüchliche Existenzrecht Israels“. Integration bedeute, die Werte des Einwanderungslandes anzunehmen.

„Leitkultur“

„Der Bund muss endlich unsere Leitkultur und unsere Werte in den Mittelpunkt stellen und als Basis für unser Zusammenleben einfordern – so wie wir es bereits im Bayerischen Integrationsgesetz verankert haben“, sagte Holetschek.

Die Zuwanderungszahlen müssten derart begrenzt werden, „dass ausreichend Kapazitäten aber auch ein hohes Maß an Akzeptanz für die Aufnahme und Hilfe vorhanden sind“, heißt es weiter im Papier. Zudem müsse „illegale Migration“ mit allen zulässigen Mitteln bekämpft werden.

Ausbürgerung

Gegenüber Antisemiten vertritt die CSU im Papier einen harten Kurs samt Grundgesetzänderung. „Wer antisemitische Straftaten begeht, kann nicht deutscher Staatsbürger werden“, heißt es. Straftätern mit doppelter Staatsbürgerschaft müsse die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt werden, „wenn sie sich in erheblicher Weise strafbar gemacht haben“. „Mit allen Mitteln des Rechtsstaates“ müsse gegen Antisemitismus vorgegangen werden. Dazu gehörten härtere Strafen und wenn möglich Änderungen des Versammlungsrechts, „um judenfeindliche Demonstrationen leichter beschränken und verbieten zu können“.

Für die Finanzierung von Moschee-Gemeinden forderte die CSU im Papier mehr Transparenz: „Die Auslandsfinanzierung von Moscheen und kulturellen Einrichtungen muss verhindert werden. Es darf nicht sein, dass fremde, teils diktatorisch regierte Staaten, ihre Propaganda in Deutschland verbreiten.“

Deutsch zu Hause

Für ausländische Kinder, die in Deutschland lebten, brauche es eine gezielte Sprachförderung und Wertevermittlung auch außerhalb der Schulen. Auch die Eltern seien gefordert, zuhause solle Deutsch gesprochen und die deutsche Kultur vermittelt werden, heißt es. „Wir brauchen eine politische Bildungsoffensive für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.“

Holetschek kann sich noch weitere Schritte vorstellen: „Wer zu uns kommt, muss unsere Werte nicht nur akzeptieren, sondern bereit sein, nach diesen zu leben.“ Dabei dürfe es keine Denkverbote geben. „Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir auch das Tragen von Kopftüchern an Schulen kritisch hinterfragen.“ (dpa/mig 22)

 

 

 

UNICEF: Sudan ist eine Hölle für Millionen Kinder geworden

 

Auf die dramatische Situation der Kinder angesichts des eskalierenden Konflikts in Darfur weist das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF hin. Mindestens fünf Millionen Kinder sähen sich schwerwiegenden Verletzungen ihrer grundlegenden Rechte ausgesetzt, so UNICEF-Generaldirektorin Catherine Russell in einer Aussendung von Montag.

Seit dem Ausbruch des Krieges am 15. April seien in dem Land mehr als 3.130 schwere Verletzungen der Rechte von Kindern gemeldet, mindestens die Hälfte davon in der Region Darfur, wobei die tatsächlichen Zahlen aufgrund fehlender Meldestrukturen weit höher seien, betont UNICEF.

Die Zahl der gemeldeten schwerwiegenden Verletzungen der Rechte von Kindern in Darfur ist seit 2022 um 550 Prozent gestiegen. Von allen im Sudan gemeldeten Fällen von Tötung und Verstümmelung betrafen 51 Prozent Kinder aus Darfur. Darüber hinaus ereignen sich 48 Prozent der gemeldeten Fälle von sexueller Gewalt im Sudan in Darfur. Auch erreichten Berichte über die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in den Kriegshandlungen UNICEF. Mittlerweile sei der Sudan für Millionen von Kindern eine Hölle geworden.

„Das muss aufhören“, so Generaldirektorin Russell. „Kinder leiden unter immer neuer Gewalt, während ihre Eltern und Großeltern noch immer die Narben früherer Gewaltzyklen tragen. Wir können nicht zulassen, dass sich dies wiederholt. Alle Konfliktparteien müssen das Völkerrecht achten und Kinder und Zivilisten schützen. Kinder brauchen Frieden“.

Zwei bewaffnete Gruppierungen schalten sich ein

Der vergessene Krieg im Sudan ist eskaliert, nachdem sich zwei bewaffnete Formationen in Darfur, die sich bisher neutral verhalten hatten, auf die Seite der Armee gegen die Schnellen Eingreiftruppen (RSF) gestellt haben.

Am 17. November hatten Finanzminister Jibril Ibrahim, Führer der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM), und Minni Arko Minawi, Gouverneur von Darfur und Führer der Sudanesischen Befreiungsbewegung/Armee (SLA/M), erklärt, dass die von ihnen geführten Gruppen sich der regulären Armee schließen wollten und beschuldigten die RSF, in Darfur Gräueltaten begangen zu haben.

Wie Minawi erklärte, habe er sich zu einer Absage an die Neutralität entschieden, nachdem er zu der Überzeugung gelangt sei, dass „das Ziel des Krieges darin besteht, den Sudan zu spalten“.

Jibril Ibrahim erklärte auf einer Pressekonferenz, seine Organisation habe „zu Beginn des Krieges eine neutrale Position eingenommen, um zu vermitteln“, beschuldigte aber die RSF, „in Zusammenarbeit mit ausländischen Milizen und Söldnern zu versuchen, das Land zu fragmentieren und zu spalten, um eine ausländische Agenda umzusetzen“.

Schwere Vorwürfe

Der Bürgerkrieg im Sudan brach am 15. April mit einem Zusammenstoß zwischen der regulären Armee und RSF-Milizionären aus. Die Kämpfe konzentrierten sich in und um die Hauptstadt Khartum sowie in Darfur, der Region im Westen des Landes, aus der die Mitglieder der RSF stammen. Bisher hatten sich die meisten anderen bewaffneten Gruppen des Landes nicht an den Kämpfen zwischen den beiden Fraktionen beteiligt. Die Entscheidung der JEM und der SLA/M, sich der Armee anzuschließen, wurde von einer anderen in Darfur aktiven Formation, der Revolutionären Demokratischen Strömung (RDC) der SPLM-N, kritisiert. Der von der Armee und der RSF gemeinsam durchgeführte Putsch vom 25. Oktober hat die Hoffnungen auf einen demokratischen Durchbruch im Sudan zunichte gemacht und zur Bildung einer Militärjunta geführt, deren interne Unstimmigkeiten zum Bürgerkrieg eskalierten.

Krieg weitet sich aus

Eine weitere besorgniserregende Entwicklung war der Angriff in Abyei, einem ölreichen, umstrittenen Grenzgebiet zwischen Sudan und Südsudan, bei dem 32 Menschen ums Leben kamen. Bulis Koch Aguar Ajith, Abyeis Informationsminister und südsudanesischer Sprecher für die Region, verurteilte den Angriff in einer am Abend des 19. Novembers veröffentlichten Erklärung, wonach der Angriff von einer Dinka-Fraktion gegen eine rivalisierende Fraktion verübt wurde. Abyei hat einen besonderen Verwaltungsstatus und wird von einer Verwaltung regiert, die sich aus von Juba und Khartum ernannten Beamten zusammensetzt. Der Ausbruch der Kämpfe in Abyei birgt die Gefahr einer Destabilisierung dieser ohnehin schon instabilen Region, während die anhaltende Krise im Sudan die Gespräche zwischen den beiden Ländern über dieses seit langem umstrittene Gebiet „faktisch ausgesetzt“ habe, warnte der UN-Beauftragte für die Region.

Der sudanesische Konflikt berge daher die Gefahr, dass er auch auf Nachbarstaaten übergreife. Auch droht ein „libysches“ Szenario mit der Bildung von zwei Regierungen, die um die Kontrolle des Landes kämpfen. Erst jüngst hatte sich Papst Franziskus nach dem sonntäglichen Mittagsgebet geäußert und an den Krieg erinnert: „Seit einigen Monaten herrscht im Sudan ein Bürgerkrieg, der keine Anzeichen für ein Nachlassen zeigt und zahlreiche Opfer, Millionen von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen in den Nachbarländern sowie eine sehr ernste humanitäre Lage verursacht. Ich bin dem Leid des sudanesischen Volkes nahe und appelliere von Herzen an die lokalen Verantwortlichen, den Zugang für humanitäre Hilfe zu erleichtern und mit dem Beitrag der internationalen Gemeinschaft auf friedliche Lösungen hinzuarbeiten. Vergessen wir nicht unsere leidgeprüften Brüder und Schwestern!“ (pm/fides 21)

 

 

 

Heiliger Stuhl: Zwei-Staaten-Lösung Weg zum Frieden zwischen Israel und Palästina

 

„Der Heilige Stuhl bleibt der Förderung von Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina voll und ganz verpflichtet“: Mit diesen Worten wandte sich der Vatikandiplomat Ettore Balestrero an diesem Mittwoch in Genf an die Teilnehmer an der 74. Sitzung des UNCTAD-Ausschusses für Handel und Entwicklung. Die Zwei-Staaten-Lösung könnte dabei einen gangbaren Weg darstellen, so der Erzbischof. Bei der Sitzung ging es um die humanitäre Unterstützung für das palästinensische Volk.

Angesichts des „tragischen Blutvergießens in der Region“ betonte der Vatikandiplomat bei der Sitzung des Leitungsgremiums der Welthandels- und Entwicklungskonferenz, dass der Heilige Stuhl „unmissverständlich und unwiderruflich“ den „unmenschlichen Terroranschlag“ der Hamas am 7. Oktober gegen „unschuldige Zivilisten in Israel“ verurteilt habe. Der Angriff habe zur Ermordung und Verletzung tausender Menschen geführt, während Hunderte von Geiseln, darunter auch Kinder und ältere Menschen, genommen wurden. „Meine Delegation bekräftigt den Aufruf von Papst Franziskus zur sofortigen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln“, so Balestrero, der weiter darauf hinwies, dass „Terrorismus und Extremismus Hass, Gewalt und Rache schüren und gegenseitiges Leid verursachen“.

Völkerrecht achten

Zwar erkenne der Heilige Stuhl das Recht auf Selbstverteidigung an, doch alle Parteien müssten sich an das Völkerrecht halten und die Verhältnismäßigkeit ihrer Handlungen beachten, so die Mahnung des Vatikandiplomaten. In diesem Zusammenhang verlieh er der „tiefen Sorge“ des Vatikans über die „katastrophale humanitäre Situation im Gaza-Streifen“ Ausdruck, die zum Tod „tausender unschuldiger Palästinenser“, darunter „mehr als 5.000 unschuldige Kinder“, führte. „Dieses unterschiedslose Leiden der Bevölkerung ist nicht hinnehmbar“, so Balestrero, der im Namen des Heiligen Stuhls erneut die Öffnung humanitärer Zugänge in den Gaza-Streifen forderte und auch an die über 100 UNRWA-Mitarbeiter erinnerte, die seit Beginn der Kampfhandlungen in Gaza ums Leben gekommen sind.

Dank für die Hilfe von UNCTAD für Palästina

Der vorgelegte Bericht zur Unterstützung für das palästinensische Volk durch die UNCTAD zeige, wie außerordentlich wertvoll diese Hilfe sei, hatte der Erzbischof eingangs mit Blick auf wirtschaftliche Strategien, technische Zusammenarbeit und Projekte zum Kompetenzaufbau im privaten wie öffentlichen Sektor, die durch UNCTAD gefördert werden, gewürdigt. Der Heilige Stuhl bleibe seinerseits seiner Verpflichtung treu, Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina mit größtmöglichem Einsatz zu unterstützen.

Die Zwei-Staaten-Lösung für den Frieden

Schließlich erneuerte der Vatikandiplomat den Appell von Papst Franziskus an „alle Parteien, unverzüglich die Waffen niederzulegen“, denn „jeder Krieg ist eine Niederlage“, der nicht zu Lösungen führe. Die israelischen und palästinensischen Behörden forderte er auf, „mutig ihr Engagement für einen Frieden zu erneuern, der auf Gerechtigkeit beruht und die legitimen Bestrebungen beider Parteien respektiert“. Der Dialog, so begrenzt er auch erscheinen mag, sei „die einzige praktische Lösung, um der Gewalt in der Region langfristig ein Ende zu setzen“ und einen Frieden zu erreichen, der auf einer Zwei-Staaten-Lösung als „gültige Option“ für den Heiligen Stuhl beruhen könnte. Seine Ansprache schloss Balestrero erneut mit den Worten des Papstes, der wiederholt dazu aufgerufen hatte, „den Einsatz von Waffen zu stoppen“, der „niemals zum Frieden“ führen werde. (vn 21)

 

 

 

Krieg in Nahost - Antisemitismus in Deutschland. Was tun gegen den Hass?

 

Der Krieg in Nahost schreitet voran, das Leid nimmt zu. In Deutschland breitet sich parallel Antisemitismus weiter aus. Demonstranten fordern ein Kalifat. Dieser Entwicklung widmet der Bayerische Rundfunk am Mittwoch einen Themenabend mit Hintergründen und Expertengesprächen im BR Fernsehen und Online auf BR24.

 

Der 7. Oktober 2023: Hamas-Terroristen greifen völlig überraschend aus dem Gaza-Streifen an, ermorden 1.200 Menschen in Israel und verschleppen über 230 Geiseln. Israel spricht vom schlimmsten Massaker an Juden an einem Tag seit dem Holocaust. Israel greift als Reaktion die Terrororganisation Hamas massiv an - zahlreiche Zivilisten, unter ihnen viele Frauen und Kinder, werden dabei im Gazastreifen getötet. Als Reaktion gibt es weltweit pro-palästinensische Demonstrationen, aber auch einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Angriffe und Anfeindungen in Europa, Deutschland - und auch Bayern.     

Wo liegen die Ursachen dafür? Wie konnte der Antisemitismus so schnell

noch aggressiver werden? Wie sind die Wechselbeziehungen zwischen dem Nahost-Konflikt und dem gesellschaftlichen Klima in Deutschland? Welche Rolle spielen Vorurteile und Nichtwissen über den Konflikt in Nahost? Wieviel Kritik an der israelischen Regierung und Kriegsführung ist möglich? Und: Was kann gegen diesen Hass getan werden?

 

In Reportagen, Gesprächen und Schalten in die Krisenregion werden diese Fragen ausführlich in einem großen Themenabend im BR Fernsehen analysiert und diskutiert. Gäste sind die deutsch-israelische Unternehmerin Jenny Havemann, der Vorsitzende des Palästina-Forums Bonn, Aref Hajjaj, der Psychologe und Publizist Ahmad Mansour und Andreas Reinicke, ehemaliger EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess und jetziger Direktor des deutschen Orient-Instituts. Es moderieren BR-Chefredakteur Christian Nitsche und die Leiterin der BR-Auslandsredaktion und langjährige Korrespondentin in Tel Aviv, Susanne Glass. BR 20

 

 

 

Argentinien. Der Mann mit der Kettensäge

 

Die Wahl des ultralibertären Javier Milei erzeugt ein politisches Erdbeben in Argentinien. Der neue Präsident will das Land radikal verändern. Svenja Blanke

 

Mit dem überwältigenden Sieg von Javier Milei hat in Argentinien eine neue politische Ära begonnen. Die große Mehrheit hat die Nase voll. Die Wut auf das System, auf die Dauerkrise und die wachsende Armut hat sich durchgesetzt. Am 10. Dezember 2023, wenn der neue Präsident sein Amt antreten wird, beginnt eine neue Zeitrechnung: Milei will die versprochene Kettensäge an den öffentlichen Ausgaben ansetzen, was bedeutet, dass die ökonomisch bereits Abgehängten noch stärker verlieren werden. Der Peso könnte durch eine gewollte Hyperinflation so absacken, um irgendwann zu „dollarisieren“. Der neue Präsident wird den menschengemachten Klimawandel leugnen. Wissenschaft und Kultur werden ohne staatliche Unterstützung in Gefahr gebracht werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arbeitswelt werden negiert werden. Erkämpfte Rechte wie gleichgeschlechtliche Ehen oder legale und nicht gesundheitsgefährdende Abtreibungen werden in Frage gestellt. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit der letzten Militärdiktatur kleingeredet und nivelliert. 

Der Sieg von Milei übertraf die Prognosen aller Umfragen. Es ist der Erfolg eines Kandidaten ohne Struktur, der erst vor fünf Jahren mit ultralibertären Ideen an die Öffentlichkeit trat und seither mit dem Slogan von 2001 „alle sollen abhauen“ herumwettert, der im Zusammenhang des damaligen Staatsbankrotts aufkam. Argentinien reiht sich mit dem neuen Präsidenten ein in die Gruppe jener demokratisch verfassten Länder, die von Protesten gegen „das System“, „die Elite“ oder gegen „die da oben“ geprägt sind und wo man sich mit einer Stimme für ultrarechte, nationalistische oder rechtsextreme Systemsprengerà la Donald Trump oder Jair Bolsonaro abreagiert. Mileis Erfolg stellt nach vier Jahrzehnten demokratischer Erfahrung die gesamte politische Klasse in Frage. Denn nicht nur hat Milei in der Stichwahl die wichtigste politische Bewegung des Landes – den Peronismus – besiegt, sondern er hatte bereits in der ersten Wahlrunde am 22. Oktober die bürgerlich-konservative Allianz Juntos por el Cambio abgehängt. 

Die Gründe dafür sind zahlreich. Einer davon ist zweifellos die wirtschaftliche Stagnation, die mittlerweile eine anhaltende Dauerkrise mit 140-prozentiger Inflation ist, und die sich stetig verschlechternde soziale Lage einer Mehrheit der Wähler in den vergangenen zehn Jahren. Diese Situation erklärt die Wut auf das, was ist: Das Gehalt, das nicht bis zum Monatsende reicht, das Krankenhaus, das keinen Termin freigibt, der Bus, der ausfällt. Milei gelang es, in diesem bedrückenden Kontext einen Funken bei einer breiten Masse der Wählerinnen und Wähler zu entzünden. Erklärungen oder Details bot er nicht. Er zog es vor, mit einfachen Slogans zu überzeugen, er schrie, er beleidigte unflätig alle und jeden, er gestikulierte, zog durch Instagram und TikTok und bot der breiten von der bisherigen Politik enttäuschten Masse ein Ventil für ihren enormen Frust. Er verstand es, das Unbehagen der Öffentlichkeit aufzugreifen und in Stimmen zu verwandeln, in einer für den populistischen Impuls typischen Operation.

Nach der ersten Wahlrunde wurde Milei betont moderater, weil er durch die Unterstützung des traditionell konservativen Lagers die Interessen der bürgerlichen Eliten mit bedienen musste. Und diese sind nicht durch Radikalvorschläge wie den freien Handel von menschlichen Organen oder Rockästhetik zu überzeugen. Während er anfangs mit einer Kettensäge und einfachen Sprüchen Wahlkampf betrieb, versuchte er in den vergangenen vier Wochen von bestimmten radikalen Vorschlägen Abstand zu nehmen: keine Privatisierung der Bildung oder Gesundheit zum Beispiel. Sein Wahlsieg vom Sonntag ist nicht mehr allein durch das populistische rechte Spektakel zu erklären, sondern durch das nach der ersten Wahlrunde rasch entstandene Bündnis zwischen der gescheiterten Kandidatin Patricia Bullrich, dem ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri (der 2018 das IWF-Megadarlehen aufnahm) und Milei. Etwa ein Viertel der 55,7 Prozent Wählerstimmen für Milei kamen in der Stichwahl daher von klassischen bürgerlichen und konservativen Wählerinnen und Wählern, die den Peronismus grundlegend ablehnen. 

Doch was wird sich nun genau verändern? Welche Ankündigungen kann er überhaupt durchsetzen? Mileis Programm steht für radikalen marktwirtschaftlichen Umbau, der durch Abbau staatlicher Funktionen sowie durch Privatisierung und einen freien Markt ohne soziale Abfederungen Wohlstand für den Einzelnen generieren möchte. Einer solchen Politik unterzog sich Argentinien bereits in den 1990er Jahren, damals mündete sie in Staatsbankrott und Regierungskollaps. Seine ersten Maßnahmen als Präsident, so verkündete Milei am Tag nach der Wahl, werden die Privatisierung aller öffentlichen Medien sein, die er als Propaganda-Instrumente bezeichnet, sowie die erneute Privatisierung des 2012 teil-verstaatlichten Ölunternehmens YPF. Die „Märkte“ nahmen diese Ankündigungen wohlwollend auf. Die Wall Street reagierte mit einem bis zu 40-prozentigen Kursanstieg verschiedener argentinischer Aktien. Milei scheint eine Hyperinflation befeuern zu wollen, um seinen Plan voranzutreiben, den US-Dollar einzuführen. Je billiger der Peso, desto besser für ihn – und man rechnet mit dem Ärgsten: eine Entwertung von 1050 Prozent im günstigsten und bis zu 3150 Prozent im gravierendsten Fall. Die verheerenden Auswirkungen auf die ärmsten und mittleren Einkommensgruppen kann man sich ausmalen. Die nächsten Tage werden chaotisch, viele werden versuchen, ihre Pesos noch zu halbwegs günstigen Kursen zu verkaufen. 

Die politische Landschaft – die Dominanz eines progressiven und eines konservativen Lagers – ist durch den Wahlsieg bereits aufgebrochen. Während der progressive und moderate Peronismus seine Niederlage begreifen und aufrichtige Schlüsse daraus ziehen muss, ist das bürgerliche Lager schon zerfallen. Ein Teil wird mitregieren, in der Hoffnung, Milei einzunorden, der andere Teil wird spontane Bündnisse im Kongress eingehen. Eine eigene Mehrheit hat Mileis Partei nicht, mit 39 Abgeordneten stellt sie nur die drittgrößte Fraktion. Findet er keine Mehrheit, bleibt Milei im Präsidialsystem das Regieren per Dekret. 

Außenpolitisch wird es unter Milei einen Richtungswechsel geben. Traditionell reist ein neu gewählter Präsident Argentiniens als erstes zum großen Nachbarn Brasilien. Milei hat bereits bekannt gegeben, dass seine erste Auslandsreise noch vor Amtsantritt in die USA gehe und im Anschluss nach Israel. Der Klimawandelleugner Milei betont, dass die „freie westliche Welt“ sein bevorzugter Bündnispartner sei, von unabhängigen Positionen eines Landes des Globalen Südens hält er nichts. Brasiliens Präsident Lula ist für Milei „korrupt und kommunistisch“ und ein Treffen mit diesem demnach kein prioritäres Ziel (obwohl Brasilien Argentiniens Haupthandelspartner ist). Der brutale Angriff der Hamas auf Israel und der Krieg im palästinensischen Gazastreifen hat im argentinischen Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt, obwohl 21 entführte Geiseln den argentinischen Pass besitzen. Nur einmal kritisierte der ultralibertäre Javier Milei seinen Kontrahenten Massa wegen der zu „weichen“ Haltung der aktuellen Regierung in diesem Konflikt. Milei versprach hingegen, die Hamas als terroristische Organisation einzustufen.

China ist für Milei kommunistisches Teufelszeug – dass China Argentiniens zweitwichtigster Handelspartner ist und in den letzten Monaten mit Krediten half, scheint irrelevant oder wird vom Outsider Milei erst in der Regierungs-Realität wahrgenommen werden. In Unkenntnis seiner Funktionsweise glaubt Milei, der internationale Handel gehöre in private Hände. Jair Bolsonaro hatte bereits die unvermeidliche Last der Realpolitik zu spüren bekommen. Als er 2019 Präsident wurde, dauerte es nicht lange, bis er seine aufrührerische Rhetorik gegenüber Peking beiseitelegte und Xi Jinping sogar einen offiziellen Besuch abstattete. 

Argentinien wird unter Milei trotz der ausgesprochenen Einladung nicht den BRICS+ beitreten. Unklar ist die Politik gegenüber dem Mercosur. Die Krise des Mercosur könnte sich unter Milei daher verschärfen: Er möchte gerne austreten, seine designierte Außenministerin Diana Modino (die keine diplomatischen Erfahrungen hat) hingegen nicht. Wenn sie sich durchsetzt, könnte die neue Regierung getreu ihrer libertären Maxime eine Debatte über die Erneuerung des Blocks und eine stärkere Liberalisierung des Handels innerhalb des Mercosurs anstoßen. 

Kulturell-politisch hat Milei schon während des langes Wahlkampfs Veränderungen angestoßen. Argentiniens Aufarbeitung der menschenverachtenden Verbrechen der Militärdiktatur und die entsprechende Erinnerungskultur sind vorbildlich und demokratischer Konsens. Doch die neue Vizepräsidentin, Victoria Villaruel, Tochter eines Militärs aus der Zeit der Diktatur, stellt diesen provozierend in Frage: Sie relativiert die Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Militärdiktatur und setzt sie mit den gewaltsamen Aktionen der linksgerichteten Guerrilla der 1970er Jahre gleich. Die Kultur der Erinnerung und Aufarbeitung von Verbrechen des eigenen Landes, die in Demokratien zum Kulturgut gehören, ja, zum Qualitätsmesser, das ist Milei fremd. Milei spricht stets von Freiheit, nie von Demokratie. Auch mangelt es an Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Die argentinische Demokratie ist stark aufgrund ihrer aktiven und resilienten Zivilgesellschaft. Doch wie groß wird der Spielraum für Proteste auf der Straße sein? Milei tritt an, Argentinien radikal zu verändern. Zu erwarten sind im 40. Jubiläumsjahr der Demokratie in Argentinien eine noch stärkere Polarisierung der Gesellschaft, soziale Misere und die marktradikale Plünderung aller Ressourcen ohne Umweltstandards. IPG 20

 

 

 

 

Jusos fordern von Scholz Kursänderung in der Flüchtlingspolitik

 

Unter Kevin Kühnert galten die Jusos als Krawalltruppe. Doch zuletzt wurde es still um den SPD-Nachwuchs. Nun gibt es einen neuen Vorsitzenden: Philipp Türmer. Für Kanzler Scholz könnte es unbequem werden. Ein Streitthema: Die Flüchtlingspolitik. Von Kilian Genius

 

Viel gehört hat man von den Jusos in den letzten Jahren nicht – bis vor ein paar Wochen. Da fanden sie deutliche Worte – und die richteten sich ausgerechnet an ihren Genossen, an Bundeskanzler Olaf Scholz. Der hatte im „Spiegel“ Abschiebungen „im großen Stil“ in Aussicht gestellt. Die Jusos waren erzürnt: „Eine Forderung direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs“, postete die SPD-Jugend auf X (vormals Twitter). „Ich könnte kotzen bei diesem Zitat“, schrieb der damalige Juso-Vize Philipp Türmer.

Zum ersten Mal seit Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt wurde, gehen die Jusos, und damit überhaupt Teile der SPD, den Kanzler so laut an. Kann dieses neue Selbstverständnis zwei Jahre vor der Bundestagswahl ein Problem für Scholz werden – ähnlich wie es der frühere Juso-Chef Kevin Kühnert mit seiner „No GroKo“-Kampagne einst war?

Der neue Juso-Chef, der an diesem Freitag in Braunschweig gewählt wurde, spricht dafür. Türmer, 27, aus Hessen scheut keine Kritik am Kanzler. In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe kündigte er einen scharfen Kurs gegen Scholz an: „Ich halte es für dringend notwendig, dass wir Jusos den Kanzler und seine Linie ab sofort deutlich kritischer begleiten.“

Jusos als linkes Korrektiv

Türmer sei „laut, kritisch und links“, sagt Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze der Deutschen Presse-Agentur. Heinze ist Sprecherin des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) und Akademische Rätin an der Universität Trier. Inhaltlich verfolge er das Ziel, die Jusos als klar linkes Korrektiv in der SPD zu positionieren.

Türmer, ein Juso-Urgestein, will die Verteilungsfrage stellen. Dafür brauche es eigenständige Jusos, die mehr Konflikt mit der Partei suchten, meint er. „Wenn ich den Eindruck habe, dass der Kanzler keine sozialdemokratische Politik macht, dann werde ich mich auch hart von ihm abgrenzen.“

Kurswechsel

Das ist ein ganz anderer Kurs als der von Jessica Rosenthal, der bisherigen Juso-Chefin. Sie stand für einen deutlich ruhigeren Führungsstil als etwa ihr Vorgänger Kühnert. 2021 zog Rosenthal in den Bundestag ein, führte die Jugendorganisation aber weiter. „In einer solchen Konstellation ist es viel schwieriger Kritik zu äußern als ohne Mandat“, sagt Heinze.

Es gibt Leute in der SPD, die sagen, Kühnerts Fußstapfen seien zu groß gewesen. Unter Rosenthal habe eine klare Linie gefehlt. Sie habe die Chance verpasst, die „49ers“ im Bundestag zu organisieren. 49 der 206 SPD-Abgeordneten waren zum Zeitpunkt der Bundestagswahl unter 35 Jahren alt – also Jusos. Doch der Effekt der jungen Wilden verpuffte, die vermeintlich linke Revolution im Parlament blieb aus.

Rosenthal zieht sich als Juso-Vorsitzende zurück, weil sie ein Kind bekommt. Mit ihrer Leistung an der Spitze der SPD-Jugendorganisation ist sie zufrieden: „Wir haben deutlich gemacht: Es reicht uns nicht, dass andere über unsere Zukunft entscheiden. Wir wollen mitentscheiden“, sagt sie. Forderungen der Jusos hätten sich auch im Koalitionsvertrag wiedergefunden: die Abschaffung des Paragrafen 219a, die Cannabis-Legalisierung, die Einführung des Bürgergelds oder die Ausbildungsplatzgarantie.

Streitpunkt Migrationspolitik

Nun aber stehen die Jungsozialisten nicht nur vor einem Führungswechsel, sondern auch vor einem Richtungswechsel. „Ich gehe davon aus, dass von den Jusos wieder mehr Krawall kommen wird, spätestens auf dem Parteitag im Dezember“, sagt Heinze. Die größten Streitpunkte dürften die Migrations- und Asylpolitik sowie der Umgang mit den starken Umfragewerten der AfD sein. „Dass die Jusos mit der Forderung des Bundeskanzlers nach mehr Abschiebungen nicht einverstanden sind, haben sie ja bereits deutlich gemacht.“ In den Programmen von Jusos und SPD gebe es deutliche Unterschiede – so dass Reibereien zwischen Jugend und Mutterpartei abzusehen seien.

SPD-Chefin Saskia Esken verteidigte die Migrationspolitik von Scholz. Das „Spiegel“-Cover habe sie auch erschreckt, sagte Esken am Samstag beim Bundeskongress der SPD-Jugend in Braunschweig. „Aber wenn man das ganze Interview des Kanzlers liest, dann kann man den ganzheitlichen Ansatz der Migrationspolitik der Ampel schon erkennen. Die Sprache, die Sprache ist unser Problem“, sagte Esken. Sie betonte, die migrationsfeindliche Stimmung sei eine große Gefahr für Deutschland. Nun brauche es mehr Ordnung und Humanität. „Unser Problem ist nicht die Migration, unser Problem ist die große Ungleichheit im Land“, betonte Esken.

Keine Annäherung in Sicht

Bundeskanzler Scholz stellt sich dieser Konfrontation vorerst nicht. Zum zweiten Mal in Folge schwänzt er den Juso-Bundeskongress – die Einladung nach Braunschweig hat der Kanzler aus terminlichen Gründen ausgeschlagen. Dass er nicht kommt, spreche ebenfalls „für die konflikthafte Beziehung zwischen Jusos und SPD“, sagt Wissenschaftlerin Heinze.

Viele Jusos sind nicht begeistert. Doch Scholz werde den neuen Wind schon spüren, meint Türmer. Er sei sich sicher, „dass die Botschaften und Forderungen der Jusos von diesem Kongress so laut sein werden, dass er sie – egal wo er gerade ist – wahrnehmen wird“. (dpa/mig 20)

 

 

 

DAAD und Bundesbildungsministerium starten Fachkräfte-Initiative

 

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) startet eine Initiative zur Anwerbung internationaler Studierender und Graduierter und ihrer Qualifizierung als zukünftige Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die neue Initiative bis 2028 mit insgesamt knapp 120 Millionen Euro.Bonn, Berlin. „Deutschland steht auf Platz drei im weltweiten Ranking der beliebtesten Studienländer. Für eine Vielzahl internationaler Studierender waren die guten Aussichten auf einen späteren beruflichen Verbleib bereits in der Vergangenheit ein wesentlicher Faktor bei der Entscheidung für Deutschland als Studienort. Mit der ‚Campus Initiative internationale Fachkräfte‘ wollen wir internationale Studierende in ihrem Studium und beim Übergang auf den deutschen Arbeitsmarkt passgenau unterstützen. Denn wir brauchen dringend mehr kluge Köpfe und fleißige Hände für Wachstum und Wohlstand in unserem Land“, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.

„Die deutschen Hochschulen sind nachweislich hochattraktive Leuchttürme für die Fachkräftezuwanderung aus aller Welt: Deutschland ist inzwischen das drittattraktivste Land weltweit für internationale Studierende und Promovierende. Mit der Initiative weiten wir die Möglichkeiten unserer Mitgliedshochschulen aus, internationale Talente während des Studiums, beim Studienabschluss und dem Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren und zu betreuen. Damit stärken wir die Integration internationaler Studierender an den Hochschulen und in unserer Gesellschaft. Zugleich tragen wir dafür Sorge, dass junge Menschen aus aller Welt nach einem erfolgreichen Studienabschluss bessere Karrieremöglichkeiten in Deutschland erhalten und zur Linderung des Fachkräftemangels beitragen“, sagte DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee.

Hintergrund

Die Initiative umfasst zwei Programme: Im Programm FIT – Förderung internationaler Talente zur Integration in Studium und Arbeitsmarkt können Hochschulen internationalen Studierenden in den verschieden Phasen des Studiums passgenaue Unterstützungsmaßnahmen anbieten. Möglich sind beispielweise Studienvorbereitungskurse, begleitende Angebote für den Studienerfolg und zur Integration in Hochschule und Gesellschaft sowie Angebote für den Einstieg ins Berufsleben. Nach der Auswahl der teilnehmenden Hochschulen sollen ab Frühjahr 2024 bis zu 70 Projekte gefördert werden. Pro Projekt stehen bis 2028 rund eine Million Euro zur Verfügung. 

Das zweite Programm Profi plus – Akademische Anpassungsqualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt richtet sich an internationale Akademikerinnen und Akademiker, die bereits einen ausländischen Hochschulabschluss und oftmals Berufserfahrung mitbringen. Sie sollen bei der Anpassung ihrer Qualifikationen an die Erfordernisse des deutschen Arbeitsmarktes unterstützt werden und so bessere Chancen für ihre Karriere erhalten. Neben einer zusätzlichen Fachausbildung umfasst dies Bewerbungscoachings oder berufsbezogene Sprach- und Kommunikationstrainings. Zudem sollen Teilnehmende im Programm Praxiserfahrung in Unternehmen der jeweiligen Hochschulregion sammeln und so berufliche Ein- oder Aufstiegsmöglichkeiten erhalten. Geplant ist die Förderung von bis zu 25 Hochschulprojekten, pro Projekt können bis 2028 rund 700.000 Euro beantragt werden. 

Der DAAD wird die Initiative zudem mit thematisch passenden Studien und Tagungen wissenschaftlich begleiten. Daad 20

Was sich mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ändert

Der Fachkräftemangel ist riesig und der Arbeitsmarkt angespannt. Das soll sich nun mit einem neuen Gesetz ändern. Doch was verbirgt sich dahinter? Und was sagen Verbände dazu? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick. Von Kilian Genius

Fachkräfte werden in Deutschland dringend gebraucht. Die Lücke auf dem Arbeitsmarkt muss auch durch Zuwanderung geschlossen werden, da sind sich Politik, Wirtschaft und Fachleute einig. Helfen soll das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das am 18. November 2023 in Kraft getreten ist.

„Wir schaffen ein modernes Einwanderungsgesetz auf der Höhe der Zeit und stehen damit im weltweiten Vergleich ganz vorne“, sagte die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem Alabali-Radovan (SPD), der Deutschen Presse-Agentur. Das Gesetz sei überfällig gewesen, mutige Reformen seien zu lange versäumt worden. „Jetzt ist es 5 vor 12.“

Doch was verbirgt sich hinter dem Gesetz? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick:

Gab es so etwas nicht schon?

Ja, seit März 2020 hat Deutschland ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Das Gesetz war von der schwarz-roten Koalition beschlossen worden, um den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten zu erleichtern. Jetzt wurde es reformiert, weil immer noch vielerorts Personal fehlt, vor allem Fachkräfte.

Dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 nicht die gewünschte Wirkung entfaltet hat, lag auch an der Corona-Pandemie, sagte Pau Palop-García vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Außerdem sei der bürokratische Aufwand für Ausländer, die als Erwerbsmigranten nach Deutschland kommen wollen, immer noch hoch.

Was ändert sich nun?

Neu ist die Einführung einer sogenannten Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems. Zu den Auswahlkriterien für arbeitswillige Einwanderer, die diesen Weg wählen, gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Ausländische Fachkräfte müssen künftig ein Mindestgehalt von rund 43.800 Euro erreichen, statt wie zuletzt 58.400 Euro brutto jährlich.

Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und eine Qualifikation sowie ein Jobangebot haben, sollen – wenn sie ihren Asylantrag zurücknehmen – eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen können. Bislang musste man dafür erst ausreisen und sich dann vom Ausland aus um ein Arbeitsvisum bemühen.

Wer als hochqualifizierte Fachkraft aus dem Nicht-EU-Ausland nach Deutschland kommt, soll künftig nicht nur den Ehepartner und die Kinder mitbringen dürfen, sondern auch Eltern und Schwiegereltern. Voraussetzung für den Familiennachzug ist aber, dass der Lebensunterhalt für die Angehörigen gesichert ist. Sozialleistungen beantragen können die Eltern nicht.

Wie ernst ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt?

Aktuell können Deutschlands Unternehmen rund 1,73 Millionen offene Stellen nicht besetzen, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seiner Quartalsabfrage. Allein bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind im Oktober 748.665 unbesetzte Stellen gemeldet. Laut der BA liegt derzeit die durchschnittliche abgeschlossene Vakanzzeit, um eine Stelle zu besetzen, bei 153 Tagen. Das spiegele laut BA die Schwierigkeiten vieler Betriebe wider, trotz steigender Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zeitnah passende Arbeits- und Fachkräfte zu finden.

Was sagen Verbände dazu?

In der Pflege und im Handwerk wird händeringend Personal gesucht. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht im Gesetz aber keine Lösung für das Fachkräfteproblem. „Einerseits, weil der Fachkräftemangel in den Pflegeberufen weltweit ein Problem ist, andererseits, weil die Rahmenbedingungen für Pflegefachpersonen in Deutschland nicht attraktiv sind“, sagte DBfK-Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper.

„Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie zu bewältigen ist, und wenn es an der Umsetzung hapert“, sagte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich. Vor allem den kleinen und mittelständischen Betrieben fehle es an konkreten Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen bei der Suche und Rekrutierung handwerklich qualifizierter Fachkräfte im Ausland sowie bei der Integration vor Ort.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) mahnte, für Zugewanderte müssten ausreichend bezahlbarer Wohnraum sowie Schul- und Kitaplätze für den Familiennachzug zur Verfügung gestellt werden. „Hier darf es nicht zu neuen Verteilungskämpfen kommen“, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier. Nicht aus dem Blick verlieren dürfe man die Menschen, die bereits hier sind. Sie müssten besser in Arbeit integriert werden. Dazu zählten Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Ältere, bereits Zugewanderte und auch Frauen.

Geht das Gesetz weit genug?

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weise in die richtige Richtung, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Wo es große Fachkräftelücken gibt, bestehen meist aber auch strukturelle Probleme wie schlechte Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen.“ Nun gelte es, vorhandene Potenziale besser auszuschöpfen.

„Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiges Willkommens-Signal“, teilte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit. Es könne aber nur ein erster Schritt sein. Die Migrationsverwaltung sei schon jetzt völlig überlastet. „Arbeitskräfte, die bereits einen Arbeitsvertrag haben und morgen anfangen könnten, warten monatelang darauf loszulegen.“

Wie groß ist das Interesse?

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bietet Beratungen für Menschen im Ausland an, die sich für eine Arbeit in Deutschland interessieren. Im vergangenen Jahr gab es nach Angaben des BAMF 71.409 Beratungen zur Fachkräfteeinwanderung – eine Steigerung von 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Deutschland sei – trotz der schwierigen Sprache – bei Fachkräften im Ausland sehr beliebt, sagte Sekou Keita vom IAB. In Umfragen lande Deutschland häufig auf dem dritten Platz, knapp hinter Kanada und den USA. „Deutschland zehrt sehr vom Image der starken Wirtschaft mit guten beruflichen Möglichkeiten“, sagte Keita. (dpa/mig 20)

 

 

 

 

Tag der Kinderrechte: Gesundheit von Kindern durch die Klimakrise massiv gefährdet? 

 

Kinderärztinnen und -ärzte fordern sofortiges Handeln für mehr Klimaschutz 

Klimawandel gefährdet nicht nur die Gesundheit von Älteren und kranken Menschen. Auch und gerade Kinder und Ungeborene sind durch die zunehmende Erderwärmung gefährdet. Todesursache Hitze, so lautet schon jetzt immer öfter die Diagnose. Jede Hitzewelle lässt die Zahl der Früh- und Totgeburten ansteigen und kann Ungeborene schon im Mutterbauch schädigen. Die steigende Erderwärmung, aber auch Luftverschmutzung und Extremwetterereignisse beeinträchtigen Kinder gesundheitlich deutlich stärker als Erwachsene. Den genauen Zusammenhängen gehen Kinderärztinnen und -ärzte der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) auf den Grund. Sie stellen am Tag der Kinderrechte auf der Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in Berlin ihr Positionspapier „Kinder vor den Folgen der Klimakrise schützen“ vor. Dieses zeigt auf, wie massiv die kindliche Gesundheit durch die Klimakrise bedroht ist und was aus kinderärztlicher Sicht politisch dagegen getan werden muss. 

Sich für das Recht von Kindern auf eine gesunde Lebenswelt einsetzend, fordern die Kinderärztinnen und -ärzte am 20. November, dem Tag der Kinderrechte, die Politik zum sofortigen Handeln auf: „Gesunde Kinder gibt es nur auf einer gesunden Erde. Nur konsequenter Klimaschutz in allen Bereichen kann die Gefahren für Kinder mindern“, betont Dr.Michael Hubmann, der zukünftige Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen e.V. (BVKJ). 

Das Positionspapier zeigt beispielsweise, dass die durch Hitze steigende Feinstaub- und Ozonbelastung Organschäden bei Kindern verursachen kann, wie Chemikalien Ungeborene schädigen und welche gravierenden Folgen die starke UV-Strahlung für die Haut von jungen Menschen hat. Verschiedene Infektionskrankheiten, Allergien und Asthma, Übergewicht, aber auch psychische Belastungen wie Depressionen und Angststörungen werden durch den Klimawandel deutlich zunehmen. Weder auf diese gesundheitlichen noch auf die psychischen Folgen bei Kindern und Jugendlichen ist unser Gesundheitssystem ausreichend vorbereitet. Bereits jetzt sorgen sich 80% der Kinder und Jugendlichen angesichts der Klimakrise um ihre Zukunft.  

„Wir Kinderärztinnen und -ärzte sind für die Gesundheit der Kleinsten in diesem Land verantwortlich. Dieser Verantwortung werden wir nur gerecht, wenn wir uns für deutlich mehr Klimaschutz stark machen“ sagt Dr. Antje Herbst, Oberärztin an der Kinderklinik Leverkusen. Daher setzt sich die Gruppe im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, wonach Kinder ein Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit haben, für konsequente Klimaschutz- und Klima-Anpassungsmaßnahmen ein.

Zu den Forderungen gehören die drastische Minderung der Treibhausgasemissionen durch eine rasche und gerechte Energiewende, die sofortige Umgestaltung der Mobilität zugunsten von ÖPNV, Fahrrad und des Zufußgehens und die Beschränkung der Verwendung verschiedener Chemikalien und Plastikstoffe. Die Ärztinnen und Ärzte machen sich in ihrem Positionspapier zudem die Förderung einer pflanzenbasierten und fleischreduzierten Ernährung stark, weil diese zugleich klimaschonend und gesundheitsfördernd ist. Zur Klima-Anpassung seien zudem konsequente Hitze- und UV-Schutz-Maßnahmen für Kitas, Schulen, Kinder- und Jugendkliniken sowie die Sicherstellung einer adäquaten medizinischen und psychologischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen dringlich. Notwendig sei auch die Aus- und Fortbildung des dort tätigen Personals zu den Themen Klima- und Gesundheitsschutz.  

Unterstützt werden die Forderungen von 25 Fachgesellschaften und Verbänden, unter anderem dem Vorstand des BVKJ. Die Verbände repräsentieren zusammen über 15.000 Mitglieder. Auch das Netzwerk Kinderrechte mit seinen über 100 Mitgliedsverbänden steht hinter den Forderungen des Papiers.?„Kinder und künftige Generationen werden die Folgen der heutigen politischen Entscheidungen und unseres Fehlverhaltens in Zukunft tragen müssen. Wir sind dafür verantwortlich, den Raubbau an ihrer Zukunft und ihren künftigen Lebensgrundlagen sofort zu stoppen.“ – so Bianka Pergande, Sprecherin des Netzwerks Kinderrechte.? 

Am 20.11.2023 wird das Positionspapier auf der Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Anschließend wird es Herrn Prof. Dr. Lauterbach überreicht. Zum Ziel der Gruppe, schärfere Klimaschutzmaßnahmen zum Schutze der Kinder politisch zu verankern, erklärt AG-Mitglied Dr. Thomas Lob-Corzilius: „Es kommt auf jedes vermiedene Zehntel Grad an. Das sind wir den Kindern und allen nachfolgenden Generationen schuldig“.? 

Unterstützende Verbände: 

Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung im Kindes- & Jugendalter e.V., Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter e.V., Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e.V., Berufsverband der niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands e.V., Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e.V., Bundesverband der Kinderzahnärzte, Deutsche Akademie für Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter e.V., Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeit in der Dermatologie (AGN) e.V., Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V., Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie e.V., Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V., Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie, Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e.V., Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie e.V., Health for Future, Junge Pädiatrie Baden-Württemberg GbR, Kindernetzwerk e.V., Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V., Konsensusgruppe Adipositasschulung für Kinder und Jugendliche e.V., Konsensusgruppe Kontinenzschulung im Kindes- und Jugendalter (KgKS) e.V., National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e.V., Stiftung Kind und Jugend, Verband medizinischer Fachberufe e.V., Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit e.V., Association francaise de pédiatrie ambulatoire, Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinderärzte Schweiz. P4F 19

 

 

 

Voll, laut, gefährlich. Kritik an Zuständen in Flüchtlingsunterkünften

 

Es herrschen Lärm, Enge, Unruhe und Angst - Flüchtlinge sind bei ihrer Ankunft in Landesunterkünften hohen Belastungen ausgesetzt. Verbände fordern nun bessere Bedingungen für die Asylsuchenden. Von Dorothea Hülsmeier

Hunderte Menschen auf beengtem Raum, Zelte ohne Privatsphäre und eine unsichere Bleibeperspektive – der Flüchtlingsrat NRW und die Freie Wohlfahrtspflege haben die Zustände der Unterbringung von Geflüchteten in Landesunterkünften angeprangert. „Es herrschen Überfüllung, Unruhe, Angst“, sagte die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, Birgit Naujoks, am Mittwoch in Düsseldorf. Teilweise würden europäische und internationale Standards nicht eingehalten.

In NRW sind nach Angaben des Flüchtlingsministeriums rund 30.600 Plätze in 45 Sammelunterkünften des Landes belegt. Darunter sind 12 Notunterkünfte. In diesem Jahr haben demnach bereits mehr als 55.500 Menschen (Stand 31.10.) in Nordrhein-Westfalen Schutz gefunden.

Bei den Landeseinrichtungen handelt es sich laut Flüchtlingsrat zumeist um Großeinrichtungen mit mehr als 400 Plätzen. Besonders die Unterbringung in den Notunterkünften des Landes belaste die Menschen körperlich und psychisch und führe bei vielen zu Frustration. In der Erstaufnahmeeinrichtung Mönchengladbach sind nach Angaben der Verbände knapp 1.800 Menschen untergebracht, in Soest mehr als 1.300, in der Notunterkunft in Castrop-Rauxel mehr als 900.

Lage in Notunterkünften besonders belastend

In überbelegten Unterkünften würden auch Räume für Freizeitangebote regelmäßig zu Schlafsälen umfunktioniert, sagte Naujoks. In der Erstaufnahme in Köln/Bonn seien sogar in der Mensa Betten aufgestellt worden. Eine private Unterbringung bei Verwandten oder Freunden sei nicht erlaubt.

In NRW müssten Schutzsuchende teilweise von ihrer Ankunft bis zur Zuweisung in eine Kommune, also mehrere Monate, in Notunterkünften leben, sagte Naujoks. In der Zeltstadt Herne zum Beispiel gebe es keine Türen, sondern nur Vorhänge. Der Lärmpegel sei hoch. Einige Menschen berichteten von Gewalt, „und das kriegen die Kinder auch ungefiltert mit“. Die Zelte seien undicht. Frauen hätten Angst, gerade nachts ihre Kabinen zu verlassen, um etwa zur Toilette zu gehen. Es gebe keine Spinde, um persönliche Sachen zu verwahren.

In den Notunterkünften gebe es zwar Sanitätsstationen, jedoch mangele es an direktem Zugang zu niedergelassenen Ärzten. Die Freizeit- und Sportangebote für die Geflüchteten sind laut Flüchtlingsrat minimal. Die Menschen berichteten auch oft, dass sie keine Informationen über Beratungsangebote bekämen. „In den Notunterkünften gelten nicht die gleichen Standards wie in den anderen Unterkünften, obwohl die Aufenthaltszeit der Menschen genauso lang ist“, kritisierte Naujoks.

Die Unterbringung in solchen Unterkünften für viele Monate mache Schutzsuchende „mürbe, ohnmächtig, krank“, kritisierte auch Eva van Keuk vom Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete Düsseldorf. Auch fehle eine „Willkommenskultur“ und Solidarität wie bei der Flüchtlingsankunft 2015/16.

Kinder kommen zu kurz

Nach Ansicht der Freien Wohlfahrtspflege kommen auch die Belange von Kinder und der Kinderschutz in den Landesunterkünften zu kurz. Es gebe „nicht einmal kindgerechte Beschwerdemöglichkeiten“, sagte Michael Mommer vom Arbeitsausschuss Migration. Bildung, Erziehungsberatung und Jugendsozialarbeit würden von den Behörden oft nicht gewährt. Auch die gesundheitliche Versorgung von Kindern sei eingeschränkt, und es fehle oft ein schulnahes Bildungsangebot. Wegen schlechter Finanzierungsbedingungen, Befristungen und Fachkräftemangels könnten Beratungsstellen in Notunterkünften oft nicht besetzt werden.

Die Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften der Kommunen sind nach Darstellung des Flüchtlingsrats dagegen besser als in den Landesunterkünften. Zwar seien die Menschen dort auch eine gewisse Zeit in prekären Verhältnissen untergebracht. Aber es gebe Angebote vor Ort und Kontakt zu Einheimischen, sagte Naujoks. Die Menschen könnten sich um Arbeit kümmern. Die gesundheitliche Versorgung sei sichergestellt.

Kritik am Flüchtlingsministerium

Die Verbände forderten die Landesregierung auf, die Flüchtlinge in kleineren Unterkünften und dort auch nur wenige Wochen unterzubringen. Außerdem müssten ihnen ausreichend Angebote zur Orientierung, Bildung und für ihre Asylverfahren gemacht werden.

Die Verweildauer in den Landesunterkünften ist gesetzlich bestimmt auf bis zu 24 Monate. Die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen NRW-Landesregierung vereinbarte Verkürzung der Unterbringungszeit auf sechs Monate sei dagegen nicht in Sicht, sagte Naujoks. Nach Angaben des Ministeriums beträgt die Aufenthaltsdauer in den zentralen Unterbringungseinrichtungen und Notunterkünften des Landes in der Regel zwischen 3 und 16 Monaten. In Einzelfällen könnten es auch bis zu 24 Monate sein.

Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag habe Anlass zur Hoffnung gegeben, dass sich bestimmte Zustände verbesserten, sagte Naujoks. Aber die Landesregierung befinde sich nach eigener Aussage jetzt „im Krisenmodus“. Deswegen würden die Pläne nicht umgesetzt. Naujoks vermutete, dass Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) zwar „eine andere Einstellung dazu“ habe. Sie halte den von Paul eingeschlagenen Weg zur Entlastung der Kommunen aber für falsch.

Ministerin Paul räumt Defizite ein

Das Flüchtlingsministerium verwies darauf, dass in diesem Jahr der „Runde Tisch Migration“ gebildet worden sei, der auch Aspekte der Unterbringung beleuchte. „Klar ist, ein gewisses Maß an Privatsphäre ist Voraussetzung, um den Menschen ein Ankommen in Ruhe zu ermöglichen“, erklärte Ministerin Paul. Angesichts der aktuellen Flüchtlingszugänge sei die erste Voraussetzung aber, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Daher sei auch die kurzfristige Unterbringung in Form von Notunterkünften unerlässlich.

Paul räumte ein, dass in den Notunterkünften nicht alle Standards des Landesgewaltschutzkonzepts zu jeder Zeit eingehalten würden, weil etwa Frauencafés und Mädchentreffs, Spiel- und Sportmöglichkeiten in manchen Fällen schwierig kurzfristig zu realisieren seien. Das Land arbeite „mit Hochdruck“ daran, auch die Aufnahmekapazitäten in den regulären Unterkünften zu erhöhen.

Zum Regelangebot gehörten für Geflüchtete auch psychosoziale Erstberatung, ärztliche und zahnärztliche Behandlungen bei akuten Erkrankungen, Schutzimpfungen sowie medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen. Für Kinder seien in allen regulären Landeseinrichtungen sowie in den meisten Notunterkünften Kinderspielstuben eingerichtet und Betreuungsangebote vorhanden. Das Land arbeitet derzeit an einer Weiterentwicklung. (dpa/mig 17)

 

 

 

 

Krachende Niederlage. Gericht stoppt Sunaks Asyl-Pakt mit Ruanda

 

Er werde Flüchtlinge stoppen, hatte Premierminister Sunak versprochen. Doch sein Plan, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern, wird vom Obersten Gericht zerpflückt. Nun dürfte der Druck auf den Regierungschef aus den eigenen Reihen weiter steigen. Von Benedikt von Imhoff und Christoph Meyer

 

Bei einem seiner wichtigsten politischen Projekte hat der britische Premierminister Rishi Sunak eine krachende Niederlage vor Gericht erlitten. Der Oberste Gerichtshof verwarf am Mittwoch die Pläne des konservativen Regierungschefs als rechtswidrig, „irregulär“ eingereiste Menschen – gemeint sind Geflüchtete, die mangels legaler Fluchtwege ohne gültige Einreisedokumente ins Land kommen – ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben und dort einen Asylantrag stellen zu lassen.

Als wahrscheinlich gilt, dass Rufe des rechten Flügels von Sunaks Konservativer Partei nach einem Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nun lauter werden. Der Premier kündigte an, er werde alle Gesetze und internationalen Verpflichtungen im Lichte der Entscheidung prüfen.

Gericht sieht erhebliche Probleme für Flüchtlinge in Ruanda

Das oberste britische Gericht machte in seiner Urteilsbegründung umfassend deutlich, dass es das ostafrikanische Ruanda nicht als sicheres Drittland betrachtet. Dabei berief sich der Supreme Court vor allem auf Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sowie frühere britische Angaben über außergerichtliche Hinrichtungen, Todesfälle in Haft sowie Folter und eine hohe Ablehnung von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien.

Es besteht demnach die Gefahr, dass Geflüchtete keine Chance auf ein faires Asylverfahren in Ruanda haben und ihnen eine Abschiebung in ihr Heimatland droht. Das Gericht betonte, nicht nur die EMRK, sondern auch die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen und andere Abkommen würden die Rückführung von Asylsuchenden verbieten.

Stopp der irregulären Migration ist ein zentrales Versprechen

Sunak hat versprochen, die kleinen Boote zu stoppen, mit denen Menschen über den Ärmelkanal das Land erreichen. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 45.000 Personen auf diesem Weg nach Großbritannien. Zwar ist 2023 die Zahl bislang niedriger als im Vorjahresvergleich, doch das Versprechen gilt noch nicht als eingelöst. Der Ruanda-Plan war ein zentraler Bestandteil von Sunaks Regierungsprogramm – das Urteil ist daher für den Premier ein weiterer Rückschlag. Seine Tories liegen in Umfragen weit hinter der Oppositionspartei Labour. Die nächste Parlamentswahl findet spätestens im Januar 2025 statt.

Vorgesehen war, Geflüchtete künftig ohne Prüfung eines Asylantrags direkt nach Ostafrika abzuschieben und dort um Schutz suchen zu lassen. Eine Rückkehr nach Großbritannien war demnach ausgeschlossen. Das Vorhaben, für das die britische Regierung bereits mehr als 140 Millionen Pfund an Ruanda gezahlt hat, war im In- und Ausland auf heftige Kritik gestoßen. Das UNHCR hatte das Vorgehen als Bruch internationalen Rechts verurteilt. Englands Bischöfe sprachen von einer „Schande für Großbritannien“. Zudem gibt es Zweifel, ob der erhoffte Abschreckungseffekt tatsächlich eintreten würde.

Rechter Tory-Flügel ist bereits sauer auf Sunak

Die Gerichtsentscheidung setzt Sunak auch in seiner Partei verstärkt unter Druck. Hardliner wie Vize-Geschäftsführer Lee Anderson forderten, die Regierung solle das Urteil kurzerhand ignorieren und Geflüchtete ins nächste Flugzeug setzen. Anderson sprach von einem „schwarzen Tag für die Briten“. Der rechte Flügel ist ohnehin in Aufruhr, weil Sunak am Montag die bisherige Innenministerin Suella Braverman gefeuert hatte. Die Rechtsaußen-Politikerin warf dem Premier daraufhin vor, er habe die Wähler belogen und das Land betrogen. Braverman will nach Ansicht von Kommentatoren nach der erwarteten Wahlschlappe selbst Tory-Chefin werden.

Im Parlament kündigte der neue Innenminister James Cleverly nun einen neuen Vertrag mit Ruanda an. Dabei solle etwa verankert werden, dass Asylsuchende nicht in ein anderes Land weitergeschoben werden können, sagte Cleverly. In einem Telefonat betonten Sunak und der ruandische Präsidenten Paul Kagame, sie wollten alle Schritte unternehmen, um eine „robuste und rechtmäßige Politik“ sicherzustellen. Doch gilt es selbst im Falle eines neuen Vertrags als unwahrscheinlich, dass bald ein Flugzeug nach Ruanda abhebt. Kommentatoren betonten, der Supreme Court habe institutionelle Probleme in Ruanda kritisiert.

Britische Regierung verweist auf Debatte in Deutschland

Cleverly sagte, dass andere Länder in ihrer Asylpolitik dem britischen Beispiel folgen würden und verwies auch auf Deutschland. Zuletzt hatte es in der EU und in Deutschland Forderungen nach der Auslagerung von Asylverfahren in Drittländer gegeben. Der Bund bekräftigte dabei auch auf Drängen der Ministerpräsidenten, er wolle Asylverfahren außerhalb Europas prüfen. Ein Bund-Länder-Beschluss geht hier allerdings nicht ins Detail. Die SPD-Ministerpräsidenten machten aber deutlich, sie könnten sich allenfalls vorstellen, dass Asylgesuche noch vor der Einreise geprüft werden. Ein One-Way-Ticket nach Ruanda, wie es Großbritannien plant, lehnten sie ab.

Italien vereinbarte kürzlich mit Albanien den Aufbau von zwei Zentren in dem Balkanstaat zur Aufnahme von Geflüchteten. Menschen, die von Schiffen der italienischen Behörden gerettet werden, sollen in Albanien ihr Asylverfahren zu durchlaufen. Nur Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird, sollen dann nach Italien gebracht werden. (dpa/mig 16)

 

 

 

 

ifo Institut: Die meisten Unternehmen wollen aktuelle Homeoffice-Vereinbarungen behalten

 

München  – Die meisten Unternehmen in Deutschland, 84 Prozent, wollen ihre gegenwärtigen Regeln zum Homeoffice beibehalten. Das geht aus einer Umfrage des ifo Instituts hervor. „Dies gilt in allen Wirtschaftszweigen sowie bei kleineren, mittleren wie größeren Unternehmen gleichermaßen“, sagt ifo-Forscher Simon Krause. Nur jeweils 8 Prozent der Firmen möchte ihre Homeoffice-Regeln noch verändern. „Trotz der öffentlichen Debatte um die Rückkehr ins Büro hat sich das Homeoffice in der Arbeitswelt fest etabliert“, fügt Krause hinzu.

 

Weitere Flexibilisierung beim Homeoffice sind vor allem in der Medienbranche (23,9 Prozent) und in der Warenherstellung (19,4 Prozent) beabsichtigt. Beschränkungen planen insbesondere die Textilhersteller (19,6 Prozent), die Pharmaindustrie (16,3 Prozent) und Informationsdienstleister (16,2 Prozent).

 

„Wir ermitteln seit April 2022 eine gleichbleibende Quote von einem Viertel aller Beschäftigten im Homeoffice“, ergänzt ifo-Forscher Jean-Victor Alipour. „Angesichts der neuen Umfrageergebnisse erwarten wir keinen Rückgang.“ Denn aktuell haben 34,1 Prozent aller Firmen eine Betriebsvereinbarung zu Homeoffice geschlossen und weitere 15,4 Prozent nutzen Regelungen auf Bereichs- oder Teamebene. 29,1 Prozent arbeiten mit individuellen Vereinbarungen. 31,2 Prozent haben keine Regelung oder gar kein Homeoffice.

 

Hinter den Durchschnittszahlen verbergen sich große Unterschiede. Eine Betriebsvereinbarung haben 49 Prozent der Industrieunternehmen und 32,6 Prozent der Dienstleister, aber nur 12,3 Prozent der Firmen im Handel und 17,1 Prozent in der Baubranche. Regelungen auf Teamebene und individuelle Vereinbarungen finden sich in etwa gleichmäßig in allen Wirtschaftsbereichen. In der Baubranche (54 Prozent) und im Handel (50,8 Prozent) ist der Anteil der Firmen mit keiner Regelung bzw. keiner Homeoffice-Möglichkeit deutlich höher als im Dienstleistungssektor (31,2 Prozent) und in der Industrie (18,1 Prozent).

 

Großunternehmen haben mit 55,3 Prozent deutlich häufiger eine Betriebsvereinbarung als kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) mit 23,8 Prozent. Spiegelbildlich liegt der Anteil der KMUs ohne Homeoffice-Regelung oder -Möglichkeit mit 39,4 Prozent über dem der Großunternehmen (13,1 Prozent). Die Regelungen auf Teamebene sind verbreiteter in Großunternehmen (23,2 Prozent) als in KMUs (12,1 Prozent), während KMUs (31,9 Prozent) eher als Großunternehmen (23,3 Prozent) auf individuelle Regelungen setzen.

 

Die repräsentative Umfrage wurde unter mehr als 9.000 Unternehmen in Deutschland im August 2023 durchgeführt.

Aufsatz: „Kein Homeoffice ist auch keine Lösung“, von Jean-Victor Alipour, in: ifo Schnelldienst 10/23: https://www.ifo.de/publikationen/2023/aufsatz-zeitschrift/kein-homeoffice-ist-auch-keine-loesung  ifo 16

 

 

 

 

Newsletter VERSO SUD und besondere italienische Filmvorführungen

 

Seit Mitte letzter Woche liegt der gedruckte Verso-Sud-Katalog bei uns aus, und übermorgen am Freitag 24.11. startet die 29. Ausgabe des Festivals! Der Eröffnungsfilm ist ausverkauft und es wird allenfalls noch einzelne Restkarten geben. Für sämtliche anderen Vorführungen gibt es derzeit allerdings noch Karten! Manche davon füllen sich aber zunehmend, und wir freuen uns, dass das diesmal besonders vielfältige und umfangreiche Programm auf positive Rückmeldungen stößt.

 

Besonders möchten wir Ihnen empfehlen, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, am Samstag 25.11. um 15:30 Uhr den selten gezeigten ATTO DI DOLORE (1990) zu sehen, in dem Claudia Cardinale als verwitwete Mutter, die ihren jugendlichen Sohn vor der Drogensucht bewahren will, eine ihrer eindrucksvollsten schauspielerischen Leistungen zeigt! Ihre Tochter Claudia Squitieri wird anwesend sein, eine Einführung halten und den sehr schönen neuen Kurzfilm UN CARDINALE DONNA (mit und über Cardinale, mit Eindrücken aus Vergangenheit und Gegenwart) persönlich vorstellen. Nicht verpassen!

Außerdem wird am Samstag 25.11. abends sowohl um 18:30 Uhr als auch um 21:15 Uhr der junge Regisseur Fulvio Risuleo, dessen IL COLPO DEL CANE (Der ganz große Coup) vor einigen Jahren bei Verso Sud zu sehen war, seinen neuen Film NOTTE FANTASMA (Ghost Night) persönlich präsentieren.

 

Auf zwei Filme aufstrebender Regisseurinnen möchten wir am ersten Wochenende besonders hinweisen: Am Freitag, 24.11., um 21:30 Uhr zaubert BEATA TE (Der Erzengel und ich) von Paola Randi aus einer absurd-märchenhaften Ausgangssituation mit charmanter Leichtigkeit eine Komödie, die bereits Publikumspreise gewonnen hat.

Am Sonntag, 26.11., um 19 Uhr in IL PARADISO DEL PAVONE (Das Pfauenparadies) von Laura Bispuri, die schon mit VERGINE GIURATA und FIGLIA MIA bei Verso Sud vertreten war, lässt durch Zufall ein Pfau die Geheimnisse einer Familie ans Licht kommen.

 

Bei der Hommage an Claudia Cardinale möchten wir auf zwei besondere Werke von herausragenden Regisseuren, die heute zu Unrecht nicht mehr so bekannt sind wie die ganz großen Regie-Namen, besonders hinweisen:

Am Montag, 27.11. um 20:30 Uhr zeigt Mauro Bologninis subtile Studie der Leidenschaften SENILITÀ (Hörig, 1962) eine freigeistige junge Claudia Cardinale, die einem Büroangestellten gehörig den Kopf verdreht.

Am Donnerstag, 30.11., um 20:30 Uhr steigert sich in Antonio Pietrangelis herrlich bissiger und wunderbar gespielter Satire IL MAGNIFICO CORNUTO (Der große Hahnrei, 1964) ein überspannter Ugo Tognazzi in einen absurde Blüten treibenden Wahn, dass ihn seine Frau Claudia Cardinale betrügen könnte, und malt sich in seiner Fantasie immer verrücktere Situationen aus, wie und wo das passieren könnte.

Das gesamte Festivalprogramm mit allen Filmbeschreibungen und Vorführterminen finden Sie in unserem Festivalkatalog, der gedruckt ausliegt und den Sie online als PDF hier finden: https://www.dff.film/wp-content/uploads/2023/11/WEB_dff_versosud29_programmheft-2023.pdf

 

Das gesamte Programm mit Kurzbeschreibungen und der Option zum direkten Kauf von Online-Tickets finden Sie hier: https://www.dff.film/kino/kinoprogramm/filmreihen-specials-november-2023/29-verso-sud/

 

Abholfrist für reservierte Tickets: Für die lediglich an der Kasse reservierten Tickets gilt, dass diese wie in den letzten Jahren mindestens zwei Tage vor der Vorstellung abgeholt werden müssen. Nicht abgeholte Tickets gehen am Vortag der Vorführung wieder in den freien Verkauf.

 

Diesen Freitag geht es los - begleiten Sie uns auf eine Reise durch das italienische Kino der Gegenwart und durch die vielseitige Karriere von Claudia Cardinale!

das Kinoteam des DFF