Webgiornale 1-15
dicembre 2023
Per problemi
redazionali-tecnici non esce in questo numero la parte in italiano. Ce
ne scusiamo con i lettori.
Umfrage. Bevölkerung mehrheitlich für Absenkung von Einbürgerungshürden
Die Ampel-Koalition will das
Staatsangehörigkeitsrecht ändern. Dass die Einbürgerung für ehemalige
sogenannte Gastarbeiter leichter werden soll, findet eine Mehrheit der Menschen
in Deutschland gut. Auch andere Teile der geplanten Reform erhalten
weitestgehend Zuspruch.
Die von der Ampel-Koalition
geplante Absenkung der Hürden für die Einbürgerung hat im Frühjahr etwa die
Hälfte der Bevölkerung überzeugt. Das zeigen die Ergebnisse einer
repräsentativen Umfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und
Migrationsforschung (Dezim). Einzelne Aspekte dieses Gesetzesvorhabens fanden
zum Zeitpunkt der Befragung – zwischen Ende März und Anfang Mai – teils noch
deutlich mehr Zustimmung als andere. Ob sich die Einstellungen zur Reform durch
die jüngsten Entwicklungen und Debatten zu Asylpolitik und
Arbeitskräfteeinwanderung seither womöglich verändert haben, geht aus der
Untersuchung nicht hervor.
Zwischen SPD, Grünen und FDP
gibt es vor der ersten Lesung im Bundestag an diesem Donnerstag noch unterschiedliche
Meinungen zu einigen Details des Gesetzentwurfs, den das Kabinett Ende August
beschlossen hatte. Vor allem die Regel, dass, wer Deutscher werden will, seinen
Lebensunterhalt dauerhaft selbst bestreiten muss, will die FDP nicht aufweichen.
Für seine Fraktion spiele es keine Rolle, ob man fünf oder acht Jahre im Land
ist», sagte der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. „Voraussetzung ist, dass
man seinen Lebensunterhalt sichern kann.“
Mehrheit für
Einbürgerungserleichterungen
Auf die eher allgemein
gehaltene Frage „Wie beurteilen Sie den Vorschlag, dass der deutsche Pass unter
bestimmten Voraussetzungen einfacher erworben werden kann?“ antworteten bei der
Dezim-Umfrage 49 Prozent der befragten Deutschen und Ausländer positiv. 34
Prozent äußerten sich negativ. In der Mitte angesiedelt waren die Antworten von
17 Prozent der knapp 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Zuwanderer sollen laut
Kabinettsbeschluss künftig bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland
Staatsbürger werden können. Bisher müssen sie mindestens acht Jahre im Land
leben. Bei guten Leistungen in Schule oder Job, guten Sprachkenntnissen oder
ehrenamtlichem Engagement soll die Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich
sein.
Wer einen deutschen Pass
haben möchte, soll den alten künftig nicht mehr aufgeben müssen. Das gilt jetzt
schon für EU-Bürger und einige Sonderfälle, aber beispielsweise nicht für
Menschen aus der Türkei oder den Westbalkanstaaten.
Anerkennung von
Lebensleistung findet Zuspruch
Auf schriftliche Deutsch-Prüfungen
und einen Einbürgerungstest soll bei älteren Menschen, die einst über
staatliche Abkommen als Arbeitskräfte ins Land gekommen waren, verzichtet
werden. Sie müssen nur nachweisen, dass sie sich im Alltag ohne nennenswerte
Probleme auf Deutsch verständigen können.
Dass der Entwurf in
Anerkennung ihrer Lebensleistung für ehemalige „Gastarbeiter“ und ausländische
Vertragsarbeiter der DDR Erleichterungen vorsieht, fanden 63 Prozent der vom
Dezim befragten Menschen gut. 16 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen
beurteilten diesen Vorschlag negativ. 22 Prozent der Teilnehmer der Umfrage
entschieden sich auf einer Skala von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ für einen
mittleren Wert.
Mehrheit für Doppelpass
Die Möglichkeit der doppelten
Staatsangehörigkeit für alle Einbürgerungswilligen beurteilten 43 Prozent der
Bevölkerung positiv, 37 Prozent fanden das schlecht. Jeder Fünfte äußerte sich
zu diesem Teil der geplanten Reform weder positiv noch negativ.
Jannes Jacobsen, einer der
Autoren der Studie, meldet grundsätzliche Bedenken an. „Es ist fraglich, ob die
geplante Reform die bestehenden Lücken schließen kann“, sagt er. Sie könne in
einigen Fällen schneller zum deutschen Pass führen – in anderen die Hürden aber
auch erhöhen. Beispielsweise würde der Kreis derjenigen, die bei besonderen
Härten auch dann nach Ermessen eingebürgert werden können, wenn sie ihren
Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, kleiner, sollte der Entwurf in
der aktuellen Form beschlossen werden.
Diskussionsbedarf bei
Sicherung des Lebensunterhalts
Zu den wenigen Ausnahmen, die
es hier auch in Zukunft noch geben soll, zählen die ehemaligen Gast- oder
Vertragsarbeiter. Unter ihnen sind etliche – vor allem Frauen – die aufgrund
langjähriger Beschäftigung im Niedriglohnsektor im Alter teilweise auf
Sozialleistungen angewiesen sind. Nach derzeit geltendem Recht ist
Voraussetzung für die Einbürgerung, dass jemand sich und seine Angehörigen zu
ernähren imstande ist. Davon könne allerdings „zur Vermeidung einer besonderen
Härte“ abgesehen werden.
Zur Anforderung, den
Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, könnten sich die Fraktionen der Grünen
und der SPD vorstellen, im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen
beziehungsweise mehr Ausnahmen vorzusehen – etwa für Alleinerziehende. In der FDP
hält man davon nichts. Ziel der Reform sei „eine erleichterte Einbürgerung von
Menschen, die in Deutschland arbeiten“, betonte der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende, Konstantin Kuhle. „Dazu passen keine Erleichterungen für
Menschen, die von Transferleistungen leben.“
FDP will
Antisemitismus-Klausel
Die FDP ihrerseits überlegt
dem Vernehmen nach, ob man neben dem im Entwurf bereits enthaltenen
Ausschlussgrund Antisemitismus auch noch ein Bekenntnis zum Existenzrecht des
Staates Israel von Einbürgerungswilligen verlangen sollte. Für eine
Konkretisierung sei man an dieser Stelle zwar generell offen, sagte der
innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Eine
Einbürgerungsbehörde habe aber keine Ermittlungskompetenz und werde auch nicht
zum Gericht.
Schon jetzt wird von einem
Einbürgerungswilligen verlangt, „dass seine Einordnung in die deutschen
Lebensverhältnisse gewährleistet ist“. Die Ampel will das noch konkreter
ausführen und dafür – Stand jetzt – folgenden Satz ins Gesetz hineinschreiben:
„Antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte
Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die
Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes.“ Die aktuelle Rechtslage
habe in diesen Fragen zu viel Spielraum gelassen, findet FDP-Fraktionschef
Dürr.
Experte: Reform erhöht
Einbürgerungszahlen nur kurzfristig
Von den in Deutschland
lebenden Ausländern ist laut einer weiteren Erhebung des Dezim etwa jeder
Zweite daran interessiert, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben oder hat
dies bereits beantragt. Eingewanderte Frauen haben demnach ein stärkeres
Interesse am deutschen Pass als eingewanderte Männer. Die Migrationsforscher
hatten dafür rund 430 Menschen befragt, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit
in Deutschland leben.
Niklas Harder, Co-Leiter der
Abteilung Integration am DeZIM, ordnete dieses Ergebnis ein: „Kurzfristig
könnte die Zahl der Einbürgerungsanträge durch die Reform steigen. Langfristig
würde sie unter den aktuellen Bedingungen in erster Linie zu früheren, aber
nicht unbedingt zu mehr Einbürgerungen führen. Es wäre wichtig, die zuständigen
Behörden bei der Reform mitzunehmen. Bereits jetzt gibt es teilweise sehr lange
Wartezeiten. Um die Zahl der Einbürgerungen zu erhöhen, müsste die
Leistungsfähigkeit der Verwaltung gestärkt werden.“ (dpa/mig 30)
Klimawandel verschärft Konflikte, Hunger und Flucht in ärmsten Ländern
Friedrichsdorf – Ein im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP28
veröffentlichter Bericht der internationalen Kinderhilfsorganisation World
Vision zeigt auf, wie Menschen in stark betroffenen ärmeren Ländern den
Zusammenhang zwischen Klimawandel, Konflikt, Hunger und Vertreibung erleben. 86
Prozent der in neun Ländern befragten Menschen haben nach eigenen Angaben
bereits mit den Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen. Über die Hälfte gibt
an, dass der Klimawandel Konflikte in ihrem Umfeld verschärft. Und sogar 99
Prozent, dass es zu klimabedingter Vertreibung und Flucht kommt.
"Diese Untersuchung macht die Folgen jahrzehntelanger
Untätigkeit seitens der internationalen Gemeinschaft deutlich, erklärt Fiona
Uellendahl, Expertin für Ernährungssicherung bei World Vision. „Am stärksten
trifft es die Kinder. Sie müssen die Folgen der verfehlten Klimapolitik auch
langfristig tragen und sind besonders verletzlich. Die Klimakrise zwingt immer
mehr Menschen, ihre Heimat zu verlassen, auf der Suche nach Weideland, Nahrung
und Sicherheit. Für Kinder bedeutet dies den Verlust ihrer Freunde und oft auch
den Abbruch ihrer schulischen Ausbildung.“
80 Prozent der Befragten sind aufgrund des Klimawandels mit einer
schlechteren wirtschaftlichen Situation konfrontiert. Etwa 60 Prozent sehen
sogar ein erhöhtes Hunger-Risiko. Die Folgen der Klimakrise setzt vor allem
Bauern und Hirten zu. Sie sind gezwungen, neue Möglichkeiten zu finden, um ihre
Familien weiterhin versorgen zu können. Dadurch wiederum erhöhen sich soziale
Spannungen in ihren Gemeinden und in betroffenen Regionen.
Fast einhellig wurde angegeben, dass die Klimakrise zu
ungewollter Migration führt. Entweder kommen Klimaflüchtlinge in die Gemeinden
der Befragten, oder die Menschen müssen ihr Zuhause verlassen und dahin gehen,
wo sie noch Perspektiven für sich sehen. Mehr als ein Drittel der Befragten gab
an, in den letzten 12 Monaten Konflikte erlebt zu haben, die mit Konkurrenz um
Land oder Wasser verbunden waren.
Uellendahl warnt in diesem Zusammenhang vor weiteren
negativen Folgen für Umwelt und Klima: "Wenn Konflikte aufflammen und
Menschen vertrieben werden, besteht die Gefahr, dass die natürlichen Ressourcen
noch ungezügelter ausgebeutet werden. Fast ein Drittel der von uns befragten
Menschen gab an, dass die Abholzung von Sträuchern und Wäldern zugenommen hat.
Der Rückgang der Ernteerträge zwang die Menschen, nach neuem Land für den
Nahrungsmittelanbau zu suchen oder sich dem Bergbau zuzuwenden, um ihre
Familien ernähren zu können."
Auch diese Tendenz hat vor allem für Kinder und Jugendliche
schwerwiegende Konsequenzen, da ihnen dadurch perspektivisch die
Lebensgrundlage entzogen wird. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das
Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt, so World Vision.
Uellendahl: "Die Industrie-Nationen müssen endlich ihre
Versprechen zur Klima-Finanzierung einhalten. Die Menschen im globalen Süden
brauchen Unterstützung, um den Folgen der Klimakrise entgegenwirken zu können.
Die Umwelt darf nicht noch weiter zerstört und Konflikte dürfen nicht weiter
verschärft werden. Wir sind es unseren Kindern schuldig, den Planeten zu
schützen. Wenn wir das jetzt nicht tun, wird die Welt nicht nur heißer, sondern
auch blutiger und hungriger."
Der Bericht zum download: https://www.worldvision.de/sites/worldvision.de/files/pdf/WorldVision_Bericht_Rising_Storms_2023.pdf.
World Vision Deutschland e.V. 29
Flüchtlingspolitik. EU will globale Allianz gegen Schleuser
Mehrere Hundert Delegierte aus knapp 60 Ländern haben auf
Einladung der EU-Kommission über die Bekämpfung internationaler Schleuser
beraten. Kommissionspräsidentin von der Leyen strebt eine globale Allianz an.
Die Europäische Union (EU) will ein globales Netzwerk im
Kampf gegen Schleuserkriminalität aufbauen. Auf Einladung von
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kamen am Dienstag 415 Delegierte
aus 57 Ländern für eine Konferenz über dieses Thema in Brüssel zusammen. Das
Treffen soll künftig jährlich stattfinden. Teilnehmen sollen Mitgliedstaaten,
Partnerländer, internationale Organisationen, aber auch Online-Plattformen, wie
von der Leyen bei der Eröffnung erklärte.
Schleuser würden von Natur aus grenzübergreifend arbeiten,
darum müssten sich auch ihre Gegner international vernetzen. Die EU arbeite
schon an bilateralen Abkommen entlang aller Migrationsrouten. „Aber wir
brauchen auch eine globale Allianz“, sagte von der Leyen. Das Bündnis müsse im
geografischen Sinne umfassend sein, aber auch im Hinblick auf die Akteure.
Ein neuer Fokus sei das sogenannte „digitale Schleusen“,
erklärte die Kommissionspräsidentin. Schlepper und Schleuser würden ihre
Dienste meist in den sozialen Medien anbieten, sie würden sich mithilfe von
Nachrichtendiensten organisieren und online von den Migranten bezahlt.
Schleuserkriminalität könne man daher nur international und in Zusammenarbeit
mit Internetkonzernen bekämpfen.
Legale Fluchtwege
Wichtigstes Ziel sei die Prävention. Migranten sollten sich
gar nicht erst in die Hände von Schleppern und Schleusern begeben, sagte von
der Leyen. International müssten Rechtsvorschriften gegen Menschenschmuggel
überarbeitet werden. Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften müssten
besser zusammenarbeiten.
Zusätzlich müsse es mehr legale Wege für Migrantinnen und
Migranten geben. In der EU sei der Fachkräftemangel auf einem Rekordhoch. Die
EU brauche Migration. „Aber Migration muss von Recht und Gesetz gesteuert
werden und nicht von Kriminellen“, erklärte von der Leyen. Ob und welche
legalen Fluchtwege für Menschen in Not geschaffen werden sollen, ließ die
Kommissionspräsidentin allerdings offen. (epd/mig 29)
Verbände fürchten bei CDU/SPD-Koalition Rückschritte bei Integration in Hessen
Ein Sondierungspapier der hessischen CDU und SPD ruft
Menschenrechtler auf den Plan. Sie befürchten eine restriktive Integrationspolitik.
Das schwarz-rote Papier atme fast ausschließlich den Geist von Desintegration
und Restriktion.
Verbände und Initiativen fürchten nach Veröffentlichung
eines Sondierungspapiers von CDU und SPD, dass die mögliche kommende
Landesregierung eine restriktive Integrationspolitik verfolgen könnte. „Die
sich hier andeutende hessische Integrationspolitik atmet fast ausschließlich
den Geist von Desintegration und Restriktion statt auf positive Anreize zu
setzen“, teilten die unterzeichnenden Organisationen des Aufrufs „Hessen
braucht eine Integrationsoffensive“ am Dienstag mit. In den Eckpunkten werde
kein Wort verloren über Fördervorhaben für eine gesellschaftliche und
arbeitsmarktorientierte Integration.
Die Unterzeichner fordern eine verantwortungsvolle
Integrationspolitik von der nächsten hessischen Landesregierung. Sie dürfe
völker- und menschenrechtliche Verpflichtungen nicht aushöhlen, sondern müsse
die Menschenwürde und die Rechte aller Geflüchteten und Migranten schützen. Zu
den Unterzeichnern gehören unter anderem die Diakonie, der Deutsche
Gewerkschaftsbund und der hessische Flüchtlingsrat.
Unterzeichner fordern Integrationsoffensive
Um seinen Wohlstand auch nur annähernd zu halten und
zukunftsfähig zu werden, brauche Hessen deutlich mehr Zuwanderung in den
Arbeitsmarkt sowie massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, so
die Unterzeichner weiter. „Von der nächsten hessischen Landesregierung erwarten
wir daher, nicht mehr gegen Migrant:innen und Flüchtlinge und das unabhängige zivilgesellschaftliche
Engagement zu agieren, sondern mit uns zusammen eine echte
Integrationsoffensive zu starten“, heißt es in der Erklärung.
CDU und SPD hatten sich auf Eckpunkte für eine Koalition
geeinigt. Ihr sechs Seiten langes Papier soll eine Grundlage für den möglichen
schwarz-roten Koalitionsvertrag sein. Die beiden Parteien bekennen sich zu
einer Begrenzung der Migration und zum Schutz der europäischen und deutschen
Außengrenzen unter anderem mit stationären Grenzkontrollen. Zudem ist eine Rückführungsoffensive
verankert. Gemeinsam mit den Kommunen soll eine Bezahlkarte für Geflüchtete
eingeführt werden. (dpa/mig 29)
Aufruf: Hessen braucht eine Integrationsoffensive
Die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (agah)
ist Teil eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses, welches sich für eine
zukunftsorientierte und humanitäre Migrations- und Flüchtlingspolitik einsetzt.
Viele hessische Verbände und Initiativen zeigen sich besorgt
angesichts des am 11.11.2023 veröffentlichten Sondierungspapiers zwischen der
CDU und der SPD und den darauf basierenden Koalitionsverhandlungen im Bereich
„Migration und Integration“. Die sich hier andeutende hessische
Integrationspolitik atmet fast ausschließlich den Geist von Desintegration und
Restriktion statt auf positive Anreize zu setzen. Kein Wort wird in den
Eckpunkten verloren über fördernde Vorhaben gesellschaftlicher und
arbeitsmarktorientierter Integrationsangebote und -rechte.
Dem setzen die unterzeichnenden Organisationen ihren Aufruf
für eine Integrationsoffensive entgegen. Statt Diskurse der Begrenzung und
Entrechtung zu bedienen, fordern wir eine verantwortungsvolle
Integrationspolitik von der nächsten hessischen Landesregierung, die völker-
und menschenrechtliche Verpflichtungen nicht auszuhöhlen sucht, sondern die
Menschenwürde und die Rechte aller in unserem Land lebenden Geflüchteten und
Migrant*innen schützt - statt sie in Gefahr zu bringen.
Die agah erwartet darüber hinaus, dass es in den
Koalitionsverhandlungen auch um die Stärkung der demokratischen Teilhabe von
Migrant*innen geht. Dazu hat die agah im Juni 2023 eine Broschüre
veröffentlicht, die Empfehlungen zur Modernisierung und Weiterentwicklung der
kommunalen Ausländerbeiräte enthält. Dieses Positionspapier ist unser Beitrag zu
der Frage, welche Strukturen erforderlich sind, um eine institutionalisierte,
demokratisch legitimierte Form der politischen Partizipation von Migrant*innen
ohne deutschen Pass sicher zu stellen.
Der oben erwähnte Aufruf befindet sich im Anhang dieser Mail
und ist darüber hinaus online abrufbar unter: Integrationsoffensive
28.11.23.pdf (paritaet-hessen.org) oder https://t.ly/6gRKV
Die Broschüre „Demokratische Teilhabe stärken“ befindet sich
ebenfalls im Anhang dieser Mail und kann darüber hinaus in gedruckter Form in
der Landesgeschäftsstelle der agah bestellt werden. Agah 28
Asylpolitik. Konzeptionelle Leerstelle
Hohe Antragszahlen belasten das Asylsystem der EU. Eine
Begrenzung des Zustroms unter Wahrung des humanitären Schutzes Bedürftiger ist
unerlässlich. Winfried Kluth
In der Asylpolitik ist in den letzten acht Jahren der
humanitär-solidarische Grundton, als dessen markanteste Ausdrucksform sich in Deutschland
der Slogan „Wir schaffen das!“ von Angela Merkel in das kollektive Gedächtnis
eingebrannt hat, durch populistisch und rassistisch geprägte
Bedrohungsszenarien abgelöst worden. Im Vordergrund der politischen Rhetorik
stehen derzeit Gefährdungs- und Abschottungsszenarien, die früh in den
Schriften von Thilo Sarrazin sichtbar wurden und inzwischen in vielfältigen
semantischen Varianten die politischen Programme von Parteien und Regierungen
jeder Couleur in ganz Europa prägen.
Auch die sogenannten bürgerlichen Parteien diskutieren
inzwischen über Modelle, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern
(„Ruanda-Modell“) und formulieren eine Fundamentalkritik an der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) vor allem bezüglich der menschenrechtlichen Anforderungen an
Zurückweisungen an den Außengrenzen und auf hoher See, einschließlich der
Seenotrettung durch NGOs.
Was hat sich in den letzten Jahren geändert und zu der
überwiegend kritisch-ablehnenden Haltung gegenüber dem geltenden Gemeinsamen
Europäischen Asylsystem geführt (GEAS)? Die Beantwortung dieser zentralen Frage
verlangt zwar eine komplexe Lageanalyse, lässt aber gleichwohl eine
Fokussierung auf zwei wesentliche Gesichtspunkte zu, denen eine zentrale
Bedeutung zugewiesen werden kann.
Erstens, die dauerhaft hohe Zahl der Asylbewerber: In der
Vergangenheit ebbten hohe Antragstellerzahlen, die vor allem nach dem Beginn
von Kriegen und Bürgerkriegen auftraten, nach einiger Zeit wieder ab und es
stellte sich ein niedriges bis mittleres Niveau ein, das die Staaten mit den
vorhandenen Ressourcen bewältigen konnten. In den letzten Jahren ist durch die
Kumulation von fluchtauslösenden Ereignissen ein solcher Rückgang nicht mehr zu
verzeichnen und die Prognosen deuten auch für die kommenden Jahre auf anhaltend
hohe Antragszahlen hin. Dies hat jedenfalls in den Hauptzielstaaten zu einer
dauerhaften hohen Belastung, beziehungsweise Überlastung geführt.
Diese Entwicklung führte zweitens dazu, dass das Fehlen
einer fairen Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union sowie eines
Begrenzungsmechanismus vor allem die Hauptankunftsländer und deren
Nachbarstaaten dazu bewegte, die Zuständigkeitsordnung der
Dublin-III-Verordnung zu „ignorieren“ und die Sekundäremigration in andere,
nicht zuständige Mitgliedstaaten, unter anderem nach Deutschland, zu tolerieren
oder gar zu fördern. Versuche dieser Mitgliedstaaten, eine Überführung in die
zuständigen Länder durchzuführen, wurden wegen der dort bestehenden
systemischen Mängel unter anderem durch den EuGH untersagt. Dadurch wurde die
Politik der Obstruktion (in Gestalt der Nichtbeachtung von Unionsrecht)
rechtlich legitimiert.
Verstärkt werden diese beiden Hauptfaktoren immer wieder
durch kulturkritische antimuslimische, nationalistische und rassistische
Elemente als Grundlage einer gegen Einwanderung und die Gewährung von Asyl
ausgerichteten politischen Strategie, die in den letzten Jahren in immer mehr
Mitgliedstaaten die offizielle Regierungspolitik beeinflusste.
Die Europäische Union hat weder auf die Dysfunktionalitäten
im Bereich der Zuständigkeitsordnung (Dublin-Verordnung) noch auf die fehlenden
wirksamen Mechanismen für eine faire Lastenverteilung reagiert. Die in ihren
praktischen Wirkungen unfaire Zuständigkeitsordnung, die ab 2015 vor allem die
Mittelmeerstaaten überproportional belastete, wurde im Wege einer
„Selbstregulierung durch Obstruktion“ korrigiert, die zunächst durch die
Rechtsprechung und anschließend den Gesetzgeber legitimiert wurde. Damit wurde
aber mit Blick auf die unveränderte Ausgangslage für alle Beteiligten auf Dauer
ein Anlass für Kritik und neue Obstruktion geschaffen.
Zwar hatte die Europäische Kommission bereits im Jahr 2016
erste Vorschläge für eine Reform des GEAS entwickelt und zur weiteren Beratung
vorgelegt. Die Lagerbildung innerhalb der Mitgliedstaaten aufgrund von
grundlegenden politischen Differenzen und Interessengegensätzen hatte aber zur
Folge, dass bis Mitte 2022 keine substanziellen Verhandlungen stattgefunden
haben. Erst die Veränderungen sowohl der Belastungen als auch der
Interessenlage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit
verbundene (vorübergehende) größere Bereitschaft zu solidarischem Verhalten hat
dazu geführt, dass die Verhandlungen innerhalb des Rats ernsthaft
vorangetrieben und im Juni und Oktober 2023 ein deutlich weiterentwickelter
gemeinsamer Standpunkt beschlossen werden konnte.
Die wesentliche Veränderung im Bereich der Migrationspolitik
der letzten zehn Monate dürfte darin bestehen, dass auch im humanitär und
menschenrechtlich ausgerichteten politischen Lager erkannt wurde, dass
Maßnahmen für eine Begrenzung des Zustroms von Schutzsuchenden unerlässlich
ist, wenn der humanitäre Schutz als solcher nicht zur Disposition gestellt
werden soll.
Eine solche Position unterscheidet sich grundlegend von
Standpunkten, die Einwanderung und humanitäre Aufnahme aus nationalistischen
und rassistischen Motiven grundsätzlich ablehnen. Die Herausforderung besteht
allerdings darin, diesen Unterschied auch in der Ausgestaltung und der Wahl der
Instrumente zum Ausdruck zu bringen. Hier offenbart sich eine Schwäche im
Bereich des humanitär ausgerichteten Lagers, das sich mit den Fragen der
Migrationssteuerung im Sinne einer Begrenzung kaum beschäftigt hat.
Hinzu kommt, dass etwa in Deutschland nach der Aufnahme von
einer Million Menschen aus der Ukraine nicht so sehr die Finanzierung von
Maßnahmen, sondern zunehmend auch die personellen Engpässe bei den Aufnahme-
und Integrationsmaßnahmen die entscheidende Kapazitätsgrenze markieren. Vor dem
Hintergrund eines wachsenden Fachkräftemangels in der öffentlichen Verwaltung
ist hier auch nicht mit einer kurz- oder mittelfristigen Erweiterung der
Aufnahmekapazitäten zu rechnen.
Die aktuell zur abschließenden Beratung mit dem Europäischen
Parlament vorliegenden Vorschläge zur Reform der GEAS-Rechtsakte stellen vor
allem deshalb einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar, weil sie
erstmalig einen ausgestalteten Solidaritätsmechanismus enthalten. Dieser sieht
auch eine jährliche Kapazitätsberechnung vor und führt diesen Aspekt damit
erstmalig in das GEAS-Normensystem ein. Daran knüpfen sowohl die Feststellung
von Überlastungen als auch die solidarischen Unterstützungsmaßnahmen an
(Resettlement, Übernahme von Verfahren, finanzielle Unterstützung), die neu
eingeführt werden sollen.
Da aber keine Änderung bei der Zuständigkeitsordnung
vorgesehen ist, wird die grundsätzliche Problematik der fairen Lastenverteilung
weiterhin nicht wirklich gelöst, sondern auf die Ebene eines
verfahrensrechtlich aufwendigen Solidaritätsmechanismus verschoben. Hinzu
kommen die erweiterten Instrumente der Zurückweisung in den Verfahren an den
Außengrenzen, deren praktische Effekte indes noch schwer zu prognostizieren
sind, da sie ganz wesentlich von der Aufnahmebereitschaft von Drittstaaten
abhängen. Die Reformvorschläge enthalten deshalb kaum wirksame Elemente, die zu
einer Begrenzung der Zahl von Anträgen auf internationalen Schutz in der
Europäischen Union führen.
Es verwundert deshalb nicht, dass inzwischen auch in
Deutschland Forderungen nach einer grundlegenderen Reform des GEAS auch aus der
Mitte der bürgerlichen Parteien formuliert werden. Dazu gehören unter anderem
eine Abkehr vom Verbot der Kollektivausweisung sowie die Verlagerung der
Durchführung von Asylverfahren in sichere Drittstaaten vor allem in Afrika
(„Ruanda-Modell“), die der britische Supreme Court kürzlich untersagt hat.
Diese und viele noch weitergehende Vorschläge sind mit einem
mehr oder weniger weitreichenden Abbau bestehender menschenrechtlicher
Standards verbunden. Sie bringen zudem deutlich zum Ausdruck, dass Migranten
aus anderen Kontinenten grundsätzlich in der Europäischen Union nicht erwünscht
sind. Damit stehen sie im Widerspruch zu den grundlegenden Werten des
Primärrechts zur Asylpolitik und insbesondere der EU-Grundrechte-Charta.
Es ist aber auch davon auszugehen, dass eine auf
Abschreckung ausgerichtete Politik deshalb nicht erfolgreich sein wird, weil
sie die Menschen nicht davon abhält, sich auf den Weg an die europäischen
Außengrenzen zu begeben und internationalen Schutz zu beantragen. Das dürfte
nur mit einem Steuerungsmodell gelingen, das auf positive Verbindlichkeit
setzt.
Bei einem solchen Modell könnten zum Beispiel halbjährliche
Aufnahmekapazitäten so ausgewiesen werden, dass für Personen mit geklärter
Identität, die nicht aus sicheren Herkunftsländern kommen, eine Wahl des
Zielstaates im Rahmen der ausgewiesenen Kapazitäten ermöglicht wird. Die damit
eröffnete, begrenzte und an Bedingungen geknüpfte Wahlmöglichkeit soll als
Anreiz dafür dienen, die Migration in zeitlicher Hinsicht an den ausgewiesenen
Kapazitäten auszurichten und dadurch Überlastungen der aufnehmenden Staaten zu
vermeiden. Sie würde zugleich eine strengere Vorgehensweise an den Außengrenzen
legitimieren, weil ein sicherer Zugangsweg eröffnet wurde.
Ein solches Modell wäre auf Transparenz angewiesen, die mit
Hilfe von zusätzlichen digitalen Instrumenten hergestellt werden kann. So
müssten über das Internet Anmelde- und Wartelisten installiert werden, die als
Grundlage für die Eröffnung eines sicheren Zugangs, auch mit humanitären Visa,
Anreize für die Schutzsuchenden etablieren, sich an den ausgewiesenen
Kapazitäten zu orientieren. Ein solches System kann zugleich für die Migration
von Fachkräften und gering qualifizierten Arbeitskräften nach dem Vorbild der
Westbalkanregelung genutzt werden, so dass die auch im Rahmen von
Migrationsabkommen verfolgte Strategie einer Verbindung verschiedener
Interessen und Steuerungszwecke berücksichtigt werden kann.
An den Einzelheiten eines solchen Modell muss noch intensiv
gearbeitet werden, um es in den Details auszugestalten. Es würde aber einen Weg
eröffnen, das GEAS im Einklang mit seiner menschenrechtlichen DNA
weiterzuentwickeln und könnte dabei an die aktuellen Reformvorschläge
anknüpfen. IPG 28
Antisemitische Vorfälle in Deutschland haben sich vervierfacht
Berlin. Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland ist
seit dem Terrorangriff der Hamas drastisch gestiegen. Zwischen den Attacken am
7. Oktober und dem 9. November hat der Bundesverband der Recherche- und
Informationsstellen Antisemitismus (Rias) 994 antisemitische Vorfälle
registriert. Das sind im Schnitt 29 Vorfälle täglich und damit vier Mal mehr
als im gesamten Vorjahresdurchschnitt. Erstmals seit Beginn der Rias-Erhebungen
tritt islamistisch und links geprägter Antisemitismus häufiger auf als solcher
von rechts. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Rias hervor, der ZEIT
ONLINE vorab vorliegt.
Demnach kam es auch an Orten des Alltags von Jüdinnen und
Juden vermehrt zu antisemitischen Vorfällen. Den Rias-Meldestellen wurden
allein 59 solcher Vorfälle im direkten Wohnumfeld bekannt, darunter
Markierungen mit dem Davidstern, aber auch gewalttätige Übergriffe. Auch an
Hochschulen hat der Antisemitismus laut Rias zugenommen. Auf die zunehmend
antisemitische Stimmung hätten viele Betroffene mit einem Rückzug aus der
Öffentlichkeit reagiert, sagte Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz.
"Für Jüdinnen und Juden hat das Aushandeln zwischen Sichtbarkeit und
Sicherheit mit der Zäsur vom 07. Oktober eine neue Qualität erreicht. Jüdisches
Leben in Deutschland ist seither weniger sichtbar. In ihrem Alltag sind
Jüdinnen und Juden verstärkt mit Empathielosigkeit und Antisemitismus
konfrontiert.“
Um die Wirkung von Antisemitismus auf die Betroffenen
abzumildern, fordert Steinitz mehr Solidarität mit den Jüdinnen und Juden.
"Es muss von Seiten der Zivilgesellschaft eine klare Benennung der
Gräueltaten der Hamas erfolgen", sagte er. "Wer Zeuge antisemitischer
Äußerungen wird, muss den Mut haben zu widersprechen und sich solidarisch mit
den Opfern zu zeigen."
Den vollständigen Bericht finden Sie unter: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-11/antisemitismus-deutschland-rias-report-hamas-angriff Zeit Online 28
Nord-Süd-Konflikt verschärft sich
Afrikanische Staaten wollen die Rolle der UN in der globalen
Steuerpolitik stärken. Doch der Globale Norden stellt sich geschlossen dagegen.
Sarah Ganter
In New York knallten nach dem Mehrheitsvotum für eine
UN-Steuerkonvention die Sektkorken. Mit dem klaren Ergebnis wurden die Weichen
für eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen in der Gestaltung einer
inklusiveren und effektiveren internationalen Steuerkooperation gestellt. Damit
wird einer jahrzehntelangen Forderung der Gruppe der G77 und der internationalen
Zivilgesellschaft Rechnung getragen. Eine wichtige Vorkämpferin für faire
internationale Steuerregeln ist auch die Internationale Gewerkschaft der
öffentlichen Dienstleister, Public Services International (PSI).
PSI-Generalsekretär Daniel Bertossa kommentierte das UN-Votum als eine
Bestätigung der unermüdlichen Kampagnenarbeit der Gewerkschaftsbewegung und
ihrer Partner sowie der Tatsache, dass „Steuerregeln, die uns alle betreffen,
auch alle einbeziehen müssen“. Denn internationale Steuerpolitik ist
letztendlich globale Verteilungspolitik, die Fragen nationaler Souveränität
berührt. Der Slogan „No taxation without representation“ schallte schon im
US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg der britischen Krone entgegen.
Schade nur, dass das historische Votum zu einer
Kampfabstimmung zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden wurde.
Kenias Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen kommentierte das Ergebnis
auf der Onlineplattform X als das klarste Nord-Süd-Votum, das er in jüngster
Zeit gesehen habe. Angesichts der zunehmenden Krisen- und Konflikthaftigkeit
der internationalen Beziehungen wird gerne von globaler Allianzbildung und der
Notwendigkeit von Partnerschaften auf Augenhöhe gesprochen. Doch die
Verweigerung der Patentfreigabe von Impfstoff in der Covid-19-Pandemie sowie
das Schulterzucken der Industrieländer in Bezug auf die für viele Länder
mittleren und niedrigen Einkommens existentielle Bedrohung der internationalen
Schuldenkrise haben das Vertrauen in die Verlässlichkeit solcher Partnerschaften
längst untergraben.
Die Abstimmung über die UN-Steuerkonvention ist zum nächsten
Prüfstein geworden. Mit einem klaren Ergebnis: 125 Länder stimmten für und nur
48 gegen die von der Gruppe afrikanischer Länder in das Zweite Komitee der
Generalversammlung eingebrachte Resolution. Gegenstimmen kamen aus den USA,
Kanada, Australien, von allen EU-Ländern und EU-Beitrittskandidaten sowie von
der Schweiz. Abgesehen von der Enthaltung Norwegens stimmte der Globale Norden
geschlossen gegen die Initiative.
Die Unabhängige Kommission für die Reform der
Internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT) hatte vor der Abstimmung in
einem offenen Brief an die EU und die USA appelliert. In dem Schreiben warnen
Mitglieder der mit hochrangigen Ökonominnen und Ökonomen aus Nord und Süd
besetzten Kommission vor einem „gefährlichen Signal“, das eine „Blockade der
Resolution zur Förderung einer inklusiven und effektiven internationalen
Steuerkooperation bei den Vereinten Nationen“ aussenden würde. Der Verdacht
läge nahe, so die Expertinnen und Experten, „dass diejenigen, die am lautesten
die Vorteile einer regelbasierten internationalen Ordnung anpriesen, nicht
wirklich an eine solche glaubten“.
Steuern sind eine der wichtigsten Quellen für die
Finanzierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen. In den letzten zehn
Jahren ist endlich Bewegung in die Diskussion um eine Reform des
internationalen Steuersystems gekommen. Doch trotz aller Gespräche und
Verhandlungen können multinationale Unternehmen immer noch in großem Umfang
Steuern vermeiden. Angesichts der immer stärkeren Konzentration des Reichtums
in den Händen weniger Menschen und der Tatsache, dass nur vier Prozent des
weltweiten Steueraufkommens aus vermögensbezogenen Steuern stammen, ist es
offensichtlich, bei wem die Hauptfinanzierungslast liegt: Es sind
Arbeitnehmende sowie einfache Bürgerinnen und Bürger, nicht Milliardäre. Arbeit
wird besteuert, nicht Reichtum und Finanzvermögen.
Die Forderung, die Vereinten Nationen zum zentralen
Austragungsort internationaler Steuerkooperation zu machen, ist so alt wie die
Debatte um eine Reform des internationalen Steuersystems selbst. Bislang ist
mit der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
der Club der Industrieländer federführend im Reformprozess des internationalen
Steuersystems. Im Auftrag der G20 erarbeitet die OECD Vorschläge zur Eindämmung
von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS). Die Gruppe der G77 und
zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Global Alliance for Tax Justice
fordern schon seit langem eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen, um ein
internationales Steuersystem zu gestalten, das an den Zielen der nachhaltigen
Entwicklungsagenda orientiert ist und für mehr internationale
Steuergerechtigkeit sorgt. Mit dem Slogan „If you are not at the table, you are
on the menu“ kritisieren sie, dass Entwicklungsländer bei den
OECD-Verhandlungen nicht gleichberechtigt mit am Tisch sitzen. Befürworter
versprechen sich von der UN-Steuerkonvention nicht nur eine inklusivere internationale
Steuerpolitik, sondern auch mehr Transparenz im Prozess durch eine stärkere
Einbindung der Zivilgesellschaft. Kritikerinnen und Kritiker befürchten eine
Parallelveranstaltung zu bestehenden Reformbemühungen und eine Verwässerung der
bisher bei der OECD erzielten Verhandlungserfolge.
In der im Nachgang zur Abstimmung von der ICRICT-Kommission
veröffentlichten Presseerklärung schlägt der ehemalige kolumbianische
Finanzminister José Antonio Ocampo versöhnliche Töne an. Er nennt die
Resolution „einen Schritt in Richtung globaler sozialer Gerechtigkeit“ und
sieht darin eine „Stärkung der Institutionen, der Demokratie und der
internationalen Stabilität“. Er ruft dazu auf, „aus all den Anstrengungen der
Vergangenheit zu lernen und diesen Prozess nicht als Antagonismus zu sehen,
sondern als den Beginn einer echten Zusammenarbeit zwischen Ländern und
zwischen globalen Institutionen“.
Vor dem Hintergrund der enormen
Finanzierungsherausforderungen unserer Zeit muss es darum gehen, zügig
gemeinsame Lösungen für eine bessere internationale Besteuerung multinationaler
Konzerne zu finden, ohne sich dabei im Institutionenstreit zu verlieren. Eine
UN-Steuerkonvention bietet die Möglichkeit, Verhandlungserfolge des
OECD-Prozesses eine universelle Legitimationsgrundlage zu geben und genauso auf
wichtigen Vorarbeiten des Expertenkomitees der Vereinten Nationen zu
internationalen Steuerangelegenheiten aufzubauen, wie zum Beispiel das von der
UN erarbeitete Rahmenwerk zu Doppelbesteuerung. Das Inclusive Framework on BEPS
der OECD hat mit der Einigung auf eine Globale Mindeststeuer ohne Zweifel einen
historischen Verhandlungserfolg erzielt. Die Mindestrate soll dem
internationalen Standortwettbewerb um immer niedrigere Steuern einen Riegel
vorschieben.
Aus der Perspektive des Globalen Südens ist der Satz von 15
Prozent aber deutlich zu niedrig angesetzt, um erhoffte positive
Aufkommenseffekte zu erzielen. Es besteht sogar die Sorge, dass für Länder mit
höheren Steuersätzen der Anreiz entsteht, diese nach unten zu korrigieren. Die
ICRICT-Kommission fordert deshalb schon lange eine Rate von 22 bis 25 Prozent.
Strukturelle Ungerechtigkeiten, wie beispielsweise die Verteilung von
Besteuerungsrechten, werden im Zwei-Säulen-Ansatz der OECD kaum adressiert.
Kritiker sehen in der Knüpfung von Besteuerungsrechten an den Sitz des
Mutterkonzerns eine Benachteiligung der Länder, in denen entlang von
Produktionsnetzwerken die tatsächliche Wertschöpfung stattfindet. Kritisiert
wird deshalb, dass der OECD-geführte Reformprozess für die Länder des Globalen
Südens wenig zu bieten hat, sie gleichzeitig aber daran hindert, eigene
Initiativen zu ergreifen, beispielsweise in der Besteuerung der
Digitalwirtschaft.
Die Vereinten Nationen, so die Hoffnung, könnten einen
effektiveren Interessenausgleich ermöglichen und gleichzeitig
Besteuerungsfragen in den größeren Zusammenhang der Finanzierung der
Transformation hin zu einem nachhaltigen globalen Entwicklungsmodell stellen.
Passend dazu laufen Anfang 2024 die Vorbereitungen zur vierten internationalen
Entwicklungsfinanzierungskonferenz (FfD4) an, die 2025 in Madrid stattfinden
wird. Zehn Jahre nach der letzten Großkonferenz in Addis Abeba bietet die
FfD4-Konferenz den dringend benötigten Rahmen, um Kohärenz zwischen den
unterschiedlichen Reformagenden vor allem in den Bereichen Steuern, Schulden
und Investitionen herzustellen.
Schon in Addis Abeba stand die Forderung nach der Schaffung
einer universellen und intergouvernementalen Steuerinstitution unter dem Dach
der Vereinten Nationen auf der Tagesordnung, wurde aber von den
Industrieländern abgelehnt. In der Abschlusserklärung des begleitenden
Zivilgesellschaftsforums brachten mehr als 600 Nichtregierungsorganisationen
aus aller Welt ihre Enttäuschung über die verpasste Gelegenheit zum Ausdruck.
Mit dem neuen Votum über die UN-Steuerkonvention im Rücken ist der Globale
Süden jetzt in einer deutlich besseren Verhandlungsposition für die FfD4 in
Madrid 2025. IPG 28
Nahost in Deutschland. Ausgegrenzt und angefeindet – Generalverdacht frustriert Muslime
Seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel und den
Gegenangriffen auf den Gazastreifen sehen sich viele Muslime in Deutschland
einem Generalverdacht ausgesetzt. Sie spüren Anfeindungen, es gibt
Gesinnungsabfragen. Das Problem betrifft die gesamte Gesellschaft. Von Yuriko
Wahl-Immel
Amira ist auf dem Weg zur Kita, um ihre Tochter abzuholen,
als ein Mann sie als „Terroristenschlampe“ beschimpft, den Kinderwagen umwirft.
„Mehrere Personen haben das aus nächster Nähe mitbekommen, sind aber nicht
eingeschritten“, schildert die 30-Jährige aus Köln. „Die Attacke war
beängstigend, ebenso die Tatsache, dass es keine Zivilcourage gab.“ Amira ist
in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist Rassismusforscherin,
selbstbewusst, trägt Kopftuch. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am
7. Oktober sei das Klima rau und feindselig für viele „muslimisch markierte“
Menschen geworden, die wegen ihres Äußeren als muslimisch gedeutet und deshalb
angefeindet würden. Eine in Berlin aufgewachsene Juristin (29) sagt ähnlich,
sie werde beleidigt, angepöbelt, fühle sich nicht mehr sicher.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) oder auch der Islam-Verband
Ditib sprechen von einem Generalverdacht, beklagen Angriffe auf Muslime und
Moscheen. Amira und viele ihrer Bekannten spüren das im Alltag deutlich. „Es
ist eine rassistisch aufgeladene Veränderung in der Gesellschaft spürbar“,
beschreibt sie. Amira ist eloquent, schreibt gerade ihre Doktorarbeit – und
hört in den vergangenen Wochen immer wieder von Wildfremden, sie solle „erst mal
Deutsch lernen“ oder sich an „deutsche Regeln“ halten. Sie weiß von mehreren
„muslimisch markierten“ Menschen, die in den letzten Wochen ihre Jobs verloren
haben, „weil sie sich irgendwie mitfühlend propalästinensisch geäußert haben“.
Was hat sich nach dem 7. Oktober für Muslime verändert?
Viele Muslime haben das Gefühl, dass sich die Situation nach
den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nun für sie wiederhole,
sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Auch
damals hat man Druck aufgebaut und von Musliminnen und Muslimen in Deutschland
gefordert, sich zu positionieren.“ In der Gesamtbevölkerung gehe der Blick auf
die Muslime nun wieder reflexartig auf ihre vermeintlichen Herkunftsländer, als
seien sie deren Stellvertreter und quasi mitverantwortlich für dortige
Ereignisse und Taten. „Ich erlebe da eine große Frustration.“ Im aktuellen
Nahost-Konflikt sehe sie unter den Muslimen hierzulande viel Mitgefühl und
tiefe Verbundenheit mit der Bevölkerung auf beiden Seiten.
ZMD-Chef Aiman Mazyek berichtet, Kinder und Jugendliche aus
den muslimischen Communities fühlten sich in den Schulen mitunter
stigmatisiert. In Einzelfällen habe es „Gesinnungstests“ in Schulen gegeben.
Darin sei die Haltung von Schülern mit muslimischem Hintergrund zum
Nahostkonflikt und zur Hamas abgefragt worden. Es werde versucht, auch die
Einstellung der Eltern auszuhorchen – das sei inakzeptabel. Und er stellt klar:
„Antisemitismus ist eine Sünde im Islam.“ In Deutschland leben 5,5 Millionen
Muslime, unter den Bundesländern besonders viele in Nordrhein-Westfalen.
Woher kommen solche pauschale Unterstellungen?
El-Menouar zufolge besteht schon seit langem eine große Skepsis
gegenüber Muslimen und ihrer Religion. „Der Islam wird weniger als Religion
gesehen, sondern in der Nähe von Islamismus und Terror verortet. Muslimen wird
unterstellt, dass sie religiös begründeten Extremismus und Terror akzeptieren.“
Islamverbände hätten den Hamas-Terror mehrfach verurteilt, seien vehement für
ein sicheres jüdisches Leben eingetreten und würden doch immer wieder an den
Pranger gestellt, kritisiert Islamwissenschaftler Jörn Thielmann. „Viele
Muslime sind deutsche Staatsbürger, sind hier aufgewachsen, zur Schule gegangen
und sollen sich jetzt rechtfertigen für etwas, wofür sie genauso wenig können
wie der katholische Herr Müller oder die evangelische Frau Meyer.“
Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?
Vor allem bei jüngeren Muslimen sei zu befürchten, dass es
längerfristige Folgen haben werde, wenn sie sich stigmatisiert und gekränkt
fühlten, sie zu Unrecht als „Terroristen-Versteher oder
Terroristen-Sympathisanten gelabelt“ würden, glaubt Thielmann. Von einer
gesellschaftlichen Spaltung spricht Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien.
Diese komme „in einem immer unverhohlener grassierendem Antisemitismus, aber
auch in Muslimfeindlichkeit zum Ausdruck“. Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier hatte jüngst für ein friedliches Zusammenleben ohne Antisemitismus
und Muslimfeindlichkeit zu einem Runden Tisch geladen.
Mazyek warnt, gerade bei den Jüngeren könne der
Generalverdacht zu einer besorgniserregenden Entfremdung führen. Einige könnten
in die Fänge von Extremisten geraten. Amira schildert, es komme gegen sie und
viele ihrer Bekannten zu „Mikro-Aggressionen“ – ausgrenzende, abwertende
Äußerungen oder Rempeleien. „Wir arbeiten hier, ziehen unsere Kinder groß,
gestalten die Gesellschaft mit – und doch wird jetzt vermehrt unsere Zugehörigkeit
in Frage gestellt.“ Und die Berlinerin sagt: „Ich habe das Gefühl, einen großen
Teil dessen, was meine Identität ausmacht, nämlich palästinensisch zu sein,
verbergen zu müssen, aus Angst vor negativen Reaktionen und Konsequenzen.“
Ein differenzierter Blick wird gefordert
Auch unter Muslimen gibt es radikale Einstellungen und
Israel-bezogenen Antisemitismus, weiß El-Menouar. Aber: „Wir haben
Antisemitismus in Deutschland, der sich quer durch die Gesellschaft zieht, und
auch ein Problem in der muslimischen Community ist. Nur diese Gruppe
herauszugreifen, wäre falsch und führt zu weiterer Spaltung.“ Einige
Kundgebungen würden von Islamisten geschickt für ihre Zwecke
instrumentalisiert. Auch von Muslimen habe man islamistische Parolen gehört,
seien Hamas-Angriffe lautstark begrüßt worden, ergänzt Thielmann. „Die
Islamverbände in Deutschland treten dagegen strikt auf.“
Verbale Attacken, Aggressivität, Abgestempeltwerden – das
mache mürbe, sagt die palästinensisch-stämmige Berliner Juristin. Deutschland
sei ihre Heimat, aber: „Tatsächlich denke ich erstmals ernsthaft darüber nach,
das Land zu verlassen und auszuwandern. Und so geht es nicht nur mir.“ (dpa/mig
28)
Studie zu Karrierewegen internationaler Forschender in Deutschland veröffentlicht
Der Forschungsstandort Deutschland zieht
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt an: Die Bundesrepublik
belegt weltweit gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich den zweiten Platz bei
internationalen wissenschaftlichen Beschäftigten. In einer aktuellen Studie hat
der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) nun die Wege internationaler
Forschender vom Postdoc bis zur Professur in Deutschland untersucht.
Bonn. „Deutschland ist ein hochattraktives Gastland für
internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ihr Anteil am gesamten
Wissenschaftspersonal an deutschen Hochschulen steigt deshalb seit Jahren
kontinuierlich an“, sagte DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee. „Auf
dieser Basis sollte es uns in Zukunft noch besser gelingen, internationale
Talente erfolgreich auf ihrem Weg zur Professur zu begleiten. Mit der aktuellen
Studie wollen wir dazu einen Beitrag leisten und Wege und Möglichkeiten zu mehr
Diversität bei den Professuren aufzeigen.“
Die Studie „Internationale Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler an deutschen Hochschulen: Von der Postdoc-Phase zur Professur“
des DAAD und des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung
(DZHW) untersucht Herausforderungen, mit denen internationale Forschende auf
dem Weg zur Professur an deutschen Hochschulen konfrontiert sind. Zudem liefert
sie Empfehlungen, um mögliche Hürden abzubauen. Für die qualitative Studie
befragten DAAD und DZHW internationale Nachwuchswissenschaftlerinnen und
Nachwuchswissenschaftler, neuberufene internationale Professorinnen und
Professoren sowie Hochschulleitungen und Hochschulbeschäftigte aus
internationalen Bereichen.
Ergebnisse der Studie
Die Befragten nehmen Deutschland bei der Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses und bei Möglichkeiten der Forschungsfinanzierung
als sehr attraktiv wahr. Die größte Barriere für eine schnelle Karriere
internationaler Forschender an deutschen Hochschulen sind laut der Befragung
zumeist nicht ausreichende Sprachkenntnisse im Deutschen. Zudem seien die
Hochschulen abseits der Forschung an einigen Stellen nur wenig auf die
Bedürfnisse internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
eingestellt. Auch die als kompliziert wahrgenommenen Karrierewege in
Deutschland, eine in Teilen fehlende Dienstleistungsorientierung der deutschen
Behörden sowie erlebte Fremdenfeindlichkeit, beispielsweise bei der
Wohnungssuche, erschweren laut den Befragten eine Entscheidung für einen
Daueraufenthalt in der Bundesrepublik.
Handlungsempfehlungen
Die Studie bietet zu den beschriebenen Herausforderungen
Handlungsempfehlungen, um mehr internationale Forschende für eine Professur zu
gewinnen. So können beispielsweise Hochschulleitungen mit einer klaren
Fokussierung auf die Bedeutung des Themas innerhalb der Hochschule zum Aufbau von
Kompetenzen und einem Kulturwandel beitragen. Zudem können sprachliche und
kulturelle Hürden gut mit erweiterten Sprachkursen für internationale
Forschende abgebaut werden. Bestenfalls sollte in den Hochschulen
Mehrsprachigkeit stärker etabliert und eine bessere Förderung und Unterstützung
internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermöglicht werden. Das
schließt auch eine Unterstützung beim „Hineinwachsen“ in die akademische
Selbstverwaltung ein, die in vielen Ländern außerhalb Deutschlands wenig
bekannt ist. Zudem sollten Wege zur Professur in Deutschland und die
verbundenen Anforderungen transparenter dargestellt und Berufungsverfahren
stärker international ausgerichtet werden. Weiterhin liegt im Ausbau der
Beratungen zur „Dual Career“ eine große Chance zur verbesserten Anwerbung
internationaler Talente, für die das Thema oftmals von hoher Relevanz ist.
Hintergrund: Internationale Forschende in Deutschland
Im Jahr 2021 waren rund 60.000 internationale
wissenschaftliche Mitarbeitende an deutschen Hochschulen tätig, darunter etwa
3.700 Professorinnen und Professoren. Während internationale Forschende damit
knapp 14 Prozent aller wissenschaftlichen Beschäftigten stellen, beträgt der
Anteil unter den Professorinnen und Professoren rund sieben Prozent.
Die Studie zeigt zudem nennenswerte Unterschiede im Anteil
internationaler Professorinnen und Professoren je nach Hochschulart: An Kunst-
und Musikhochschulen liegt er bei rund 22 Prozent, an Universitäten bei etwa 11
Prozent und an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften bei etwa drei Prozent.
Weitere Informationen
Studie: Internationale Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler an deutschen Hochschulen: Von der Postdoc-Phase zur Professur
(InWiDeHo)
Aktuelle Zahlen und Fakten zu internationalen Studierenden
und Forschenden in Deutschland in der Publikation: "Wissenschaft weltoffen
2023". Daad 28
Interview. BA-Vorstand Terzenbach: Berufstätigkeit ist der Weg zur Integration
Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur
für Arbeit, soll als Sonderbeauftragter der Bundesregierung möglichst viele
Geflüchtete in Jobs bringen. Im Gespräch erklärt er, worauf es ankommt und
welche Forderungen er an die Regierung stellt. Von Bettina Markmeyer
Herr Terzenbach, Sie sollen ein ehrgeiziges Vorhaben der
Bundesregierung in der Migrationspolitik anschieben und helfen, so schnell wie
möglich 400.000 geflüchtete Menschen in Arbeit zu bringen. Schaffen die
Jobcenter das?
Daniel Terzenbach: Alle Jobcenter arbeiten schon unter hohen
Belastungen. Trotzdem glauben wir, dass der Jobturbo zum richtigen Zeitpunkt
kommt, um mit intensiver Betreuung mehr Erfolge bei der Integration in den
Arbeitsmarkt zu erzielen. Das ist für eine gewisse Zeit durchführbar, dauerhaft
könnten wir das nicht.
Welche Stellen können die Jobcenter den Geflüchteten
anbieten?
Wir hatten im letzten Quartal über 1,7 Millionen offene
Stellen. Nahezu alle Branchen suchen Fachkräfte, aber in fast allen Branchen
kann man auch in Helfertätigkeiten anfangen, wenn noch keine ausreichende
Qualifikation oder Sprachkenntnisse vorhanden sind.
Wissen die Jobcenter, welche Qualifikationen es auf Seiten
der Geflüchteten gibt?
Die Bildungssysteme sind nicht immer vergleichbar. Eine Buchhalterin
in der Ukraine ist nicht sofort auch eine Buchhalterin in Deutschland. Einer
der ersten Schritte ist, dass wir mehr Transparenz und Vergleichbarkeit
erzielen, um noch gezielter vermitteln zu können.
Die Unternehmen haben sich verpflichtet, Geflüchtete auch
dann einzustellen, wenn sie noch nicht gut Deutsch sprechen. Können sich die
Jobcenter darauf verlassen?
Viele Unternehmen haben bereits Erfahrung mit Geflüchteten
gesammelt. Wir haben bei dem jüngsten Treffen mit Bundesarbeitsminister Heil etliche
Beispiele dafür gesehen. Seit der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 haben wir
mehr als 650.000 Menschen integriert. Bei den 400.000 Geflüchteten, die
kürzlich aus den Integrationskursen kamen oder noch kommen, knüpfen wir an das
an, was in vielen Regionen schon vorbildlich läuft.
Sind dann Förderungen für Firmen, beispielsweise
Eingliederungszuschüsse, gar nicht nötig?
Doch, häufig kann das insbesondere kleineren Unternehmen
helfen, den Aufwand, den man unweigerlich zusätzlich hat, besser zu tragen. Aber
wir haben ja nicht nur Eingliederungszuschüsse, wir können Probearbeiten
fördern, wir können Unternehmen mit berufsbezogener Sprachförderung helfen –
sogar speziell in dem Beruf, in dem die Geflüchteten eingestellt wurden. Da
gibt es eine ganze Palette an guten Angeboten, und die will ich bekannter
machen.
Werden die Anforderungen an die Sprachkenntnisse gesenkt?
Es ist vielmehr eine Frage des Umgangs damit. Wir haben
jetzt eine große Zahl von Menschen, die aus den Integrationskursen kommen.
200.000 sind ukrainische Kriegsflüchtlinge. Wichtig ist jetzt, die
Sprachkenntnisse nach dem Integrationskurs im Berufsalltag weiter zu
verbessern. Dafür entwickeln das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und
das Bundesarbeitsministerium gerade praxisnahe Sprachmodule – für alle
Branchen. Wir haben aus der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 gelernt – da gab
es solche berufsbezogenen Sprachkurse – praxisnah und für Unternehmen – noch
nicht. Das wollen wir jetzt besser machen.
Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge sind überwiegend Frauen,
viele mit Kindern. Haben die Jobcenter das im Blick?
Ja, wir wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
ein zentrales Thema ist. Bei den Frauen, die 2015 und 2016 gekommen sind, wurde
es, rückblickend gesehen, nicht ausreichend beachtet. Das sehen Sie heute noch
an den Integrationsergebnissen der ersten Fluchtbewegung. Die sind nicht auf
dem Niveau, das wir uns wünschen. Frauen weiter die Care-Arbeit machen zu
lassen und parallel irgendwie noch einen Deutschkurs anzubieten, das hilft
nicht weiter.
Wir müssen die Frauen jetzt erreichen, weil wir wissen, dass
Langzeitarbeitslosigkeit später das größte Vermittlungshemmnis ist.
Die Geflüchteten sollen Arbeitsangebote der Jobcenter
annehmen müssen. Glauben Sie, dass das klappt?
Wir reden hier über Menschen, die im Arbeitsmarkt ankommen
wollen. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben ja – laut unserem Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – gute formale Qualifikationen. Da müssen wir
ansetzen. Das geht vielleicht nicht gleich mit einem Traumjob – sondern Schritt
für Schritt. Wir glauben jedenfalls, dass es nicht hilft, erst ewig Deutsch zu
lernen und auf die Anerkennung der Abschlüsse zu warten. Besser ist es, in die
Arbeit einzusteigen, im und durch den Job Deutsch zu lernen und sich gezielt
weiterzuqualifizieren oder die Anerkennung der vorhandenen Abschlüsse zu
betreiben.
Werden die Jobcenter auch mit Sanktionen arbeiten müssen?
Mitwirkungspflichten gab es schon immer, früher in der
Grundsicherung, heute im Bürgergeld. Zumutbare Arbeit zur Beendigung der
Hilfebedürftigkeit gehört auch dazu. Wenn die Mitwirkungspflichten nicht
erfüllt werden, sind Leistungskürzungen von bis zu 30 Prozent möglich.
Gleichzeitig setzen die Jobcenter stärker als früher auf die Ermöglichung von
Bildungs- und Berufsabschlüssen, weil 70 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine
formale Bildung besitzen.
Lassen Sie uns noch einen Blick werfen auf die aktuelle
Lage. Die geplanten Kürzungen für die Jobcenter in Höhe von 700 Millionen Euro
wurden von der Ampel-Koalition zurückgenommen. Nun gibt es eine Haushaltssperre
und viel Unsicherheit. Die endgültigen Entscheidungen über den Bundeshaushalt
2024 stehen aus. Werden die Jobcenter im kommenden Jahr mit dem Geld rechnen
können?
Ich glaube, es muss erst einmal dieses offenbar sehr
folgenreiche Urteil auf alle Ebenen heruntergebrochen werden.
Deswegen ist hier einiges noch in Klärung. Aber wir sehen,
dass der politische Wille vorhanden ist, eine gute Arbeitsmarktpolitik für
Langzeitarbeitslose und Geflüchtete zu machen, und dafür brauchen wir diese
Mittel. Ich gehe davon aus, dass sich daran auch unter den neuen Bedingungen
nichts ändert.
Für das Bürgergeld werden schon in diesem Jahr rund drei
Milliarden Euro mehr gebraucht als geplant. Vor dem Hintergrund der Haushaltsnöte:
Können Sie als Bundesagentur sagen, wie hoch die Einsparungen wären, wenn
beispielsweise 100.000 Menschen in Arbeit vermittelt würden?
Wir können nicht sagen: Wenn wir so und so viele Menschen
mehr vermitteln, könnten wir so und so viel einsparen. Die Menschen im
Bürgergeld sind in sehr individuellen Lebenslagen. In München beispielsweise
sind die Miet- und Lebenshaltungskosten hoch, anders als in Gelsenkirchen – da
können Sie nicht pauschal für alle ausrechnen, was ein durchschnittlicher Bedarf
wäre und was man entsprechend sparen könnte.
Ein Thema, das die Politik derzeit heftig debattiert, ist das
Lohnabstandsgebot. Glauben Sie, dass die Höhe des Bürgergelds Vermittlungen in
eine Arbeitsstelle erschwert?
Grundsätzlich: Arbeit lohnt sich immer. Durch die Erhöhung
der Freibeträge bei der Bürgergeld-Reform haben auch die Menschen, die nur ein
geringes Arbeitseinkommen erzielen und ergänzend Bürgergeld brauchen, mehr Geld
zur Verfügung als Menschen, die nur Bürgergeld beziehen.
Wir dürfen aber auch die – auf den ersten Blick – nicht
fiskalischen Argumente nicht unterschätzen. Arbeit ist eine zentrale Bedingung
für gesellschaftliche und soziale Teilhabe. Wenn man erstmal berufstätig ist,
kann man sich schneller weiterentwickeln, auch finanziell: zum Beispiel, weil
man den Job wechselt und dann mehr Gehalt bekommt, das normalerweise höher ist
als die jährlichen Anpassungen des Bürgergelds. Wenn über das Bürgergeld
diskutiert wird, muss man auch wissen, dass es das verfassungsrechtlich
garantierte Existenzminimum ist, an das sich der Gesetzgeber halten muss.
(epd/mig 27)
Grüne-Jugend scheitert. Parteitag lehnt Forderung nach Abkehr vom Ampel-Asylkurs ab
Am dritten Tag des Bundesparteitages kochen bei den Grünen
in der Nacht die Emotionen hoch. Es geht um die Asylpolitik. Zwischen dem Lager
„Kein Mensch ist illegal“ und denen, die mehr „Ordnung“ wollen, kommt es zum
Streit. Am Ende scheitert ein Aufstand der Parteijugend.
Eine Reihe jüngerer Delegierter hat beim Bundesparteitag der
Grünen massive Kritik an der Asylpolitik der Ampelkoalition geäußert. Am Ende
setzte sich in der Nacht zum Sonntag allerdings die Parteispitze durch – nach
tatkräftiger Unterstützung von Außenministerin Annalena Baerbock und
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
„Es ist unehrlich über Begrenzung zu reden, wenn die Welt in
Flammen steht“, hatte Vasili Franco, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, am
Abend in Karlsruhe kritisiert. Und die Vorsitzende der Grünen Jugend, Katharina
Stolla, warnte: „Wer Rechten hinterherläuft, der gerät ins Stolpern.“ Die
Co-Vorsitzende der Nachwuchsorganisation fügte hinzu: „Es gibt keinen Grund für
weitere Asylrechtsverschärfungen.“ Die Kritiker der Regierungspolitik wurden
lautstark bejubelt.
Habeck: Parteitag ist kein Spiel
Habeck hielt dagegen. Handlungsleitend dürfe nicht das
Verlangen sein, in dieser Frage „auf der richtigen Seite zu stehen“. Er warnte:
„Ein Parteitag einer Regierungspartei ist kein Spiel.“ Die Vorschläge der
Grünen Jugend seien in Wahrheit „ein Misstrauensvotum in Verkleidung“ und eine
indirekte Aufforderung, die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP zu
verlassen.
Habeck warnte davor, dass sich die Grünen hier selbst
Fesseln anlegen. Im Antrag der Grünen Jugend hieß es, weiteren
Asylrechtsverschärfungen dürften weder Minister noch die Fraktionen im Bund
oder in den Ländern zustimmen – konkret etwa „restriktiveren Regelungen für
Rückführungen, der Kürzung von Sozialleistungen für Geflüchtete, der Absenkung
von Schutzstandards, einer Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten,
Schnellverfahren an Außengrenzen sowie der Unterbringung von Flüchtenden in
Außengrenzlager und der Zurückweisung von Flüchtenden in vermeintlich sichere
Drittstaaten“.
Baerbock: „Ich kann das nicht einhalten“
„Ich kann das nicht einhalten“, sagte Baerbock zu den
Vorgaben im Antrag der Grünen Jugend. Sie fragte: „Soll das wirklich der
Auftrag von diesem Parteitag sein?“ Am Ende der Debatte fand der Antrag der
Nachwuchsorganisation keine Mehrheit im Saal.
Um einen Eklat zu verhindern, hatte sich der Parteivorstand
allerdings zu einigen Änderungen an seinem Beschlusstext bereiterklärt. Der
stand unter dem Titel „Humanität und Ordnung: für eine anpackende, pragmatische
und menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik“. So wurde
beispielsweise der Satz gestrichen: „Daneben müssen, wo die Kapazitäten
erschöpft sind, durch rechtsstaatliche und menschenwürdige Maßnahmen auch die
Zahlen sinken.“
Streit um sinkende Zahlen
Die Grünen-Politiker Ricarda Lang und Winfried Kretschmann
hatten vor dreieinhalb Wochen in einem gemeinsamen Gastbeitrag für den
„Tagesspiegel“ zum Thema Migration nach Deutschland geschrieben: „Wenn die
Kapazitäten – wie jetzt – an ihre Grenzen stoßen, müssen auch die Zahlen
sinken.“ Die Parteivorsitzende und der baden-württembergische Ministerpräsident
betonten, bei aller gebotenen Menschlichkeit gelte: „Steuerung und Rückführung
gehören zur Realität eines Einwanderungslandes wie Deutschland dazu.“ Der
Bundestag soll am kommenden Donnerstag in erster Lesung über einen
Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten, der das Ziel hat, dass „gesetzliche
Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren,
angepasst werden sollen“.
„Lasst uns nicht schon hier auf dem Parteitag einen
Kompromiss mit konservativen Kräften verabschieden“, forderte Sophia Pott aus
Lübeck. Zuvor hatte der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour die Delegierten
darauf hingewiesen, dass die Grünen als Regierungspartei daran gemessen würden,
ob sie Lösungen lieferten oder nicht.
Jugend-Chefin: Kritik in Parteispitze angekommen
Im Nachgang zieht Stolla einen gemischten Fazit: „Von diesem
Parteitag geht ein klares Zeichen aus: Die Partei ist unzufrieden über den
asylpolitischen Kurs der Ampel, den die Grünen mitverantworten“, erklärte
Stolla am Sonntag in Karlsruhe. „Unser Punkt steht: Es braucht ein Ende der
Scheinlösungen und endlich eine Politik, die Geflüchtete schützt.“
Gleichwohl sei die Grüne Jugend enttäuscht, dass sich ein
Großteil der Delegierten beim Parteitag nicht ihrem Kurs angeschlossen habe.
„Wir freuen uns, dass unsere Kritik auch in der Parteispitze angekommen ist,
und trotzdem wissen wir, dass wir uns darauf allein nicht verlassen können“,
erklärte Stolla. Die Grüne Jugend verstehe es jetzt als ihre Aufgabe, die
gesellschaftliche Stimmung zum Thema zu drehen. „Wir werden in den nächsten
Wochen mit vielen Verbündeten auf die Straßen gehen und laut gegen den
Rechtsruck sein – für Solidarität mit Geflüchteten und eine soziale Politik.“
(dpa/mig 27)
Nahost: „Keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung“
Ein Verantwortlicher der Kustodie des Heiligen Landes war an
diesem Mittwoch beim Papst; dabei hat Ibrahim Faltas Franziskus einen Brief des
palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas übergeben.
Außerdem informierte der Franziskaner den Papst über die Lage
in Jerusalem. „Der Papst, und nur er, hat immer wieder dazu aufgerufen und
gesagt, dass dieser Krieg beendet werden muss“, sagte uns Faltas nach der
Begegnung. „Und ich sage, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um Frieden
zwischen Palästinensern und Israelis zu schließen, und dass die internationale
Gemeinschaft jetzt handeln muss, weil dies der wirklich passende Moment ist. Es
sind mehr als 70 Jahre vergangen, wir können nicht immer wieder zu einer
Kriegssituation, zum Tod unschuldiger Menschen, zu Hass und Gewalt
zurückkehren… Es ist an der Zeit, zu sagen: Genug ist genug.“
Ein von Anfang an verlorener Krieg
Die Zahl der Toten im Gaza-Krieg, der im Moment wegen der
Befreiung von Geiseln lediglich pausiert, gehe in die Tausende, so Ibrahim
Faltas. „Es könnten bis zu 15 Tausend sein, und dann gibt es noch die vielen
Verwundeten, über die nicht gesprochen wird, die Menschen unter den Trümmern
der zerstörten Häuser. Die Lage im Gazastreifen ist furchtbar, aber auch in
Bethlehem, in Jerusalem, in Tel Aviv, überall ist sie furchtbar. Niemand
gewinnt, niemand, dies ist von Anfang an ein verlorener Krieg… Diejenigen, die
die Folgen dieses Krieges zu tragen haben, sind die Kinder, die Frauen, die
Behinderten, die Alten.“
Ibrahim Faltas macht sich Sorgen, ob jetzt nicht eine neue
Welle der Abwanderung von Christen aus dem Heiligen Land einsetzen wird. Es
gebe für sie dort keine richtige Zukunft mehr. „Denn die Christen arbeiten im
Tourismus, und der Tourismus ist jetzt blockiert, die Menschen sind arbeitslos,
und wenn man arbeitslos ist, ist das erste, was man tut, wegzugehen. Es gibt
nur noch sehr wenige Christen, sowohl in Jerusalem als auch in Bethlehem und im
Gazastreifen. Unsere Sorge ist, dass sie alle gehen…“
„Es muss ein Datum für einen palästinensischen Staat geben“
Was in dem Schreiben von Mahmoud Abbas drinsteht, das er dem
Papst zugesteckt hat, will der Franziskaner nicht sagen. „Dieser Brief ist ein
privater Brief des Präsidenten an den Papst, in dem er natürlich über die
Situation spricht. Sie sind Freunde, der Heilige Vater und der Präsident, sie
schätzen sich und sie schreiben sich.“ Die einzig mögliche Zukunft für Israelis
und Palästinenser liege in der viel beschworenen Zwei-Staaten-Lösung: „Ja,
natürlich! Es gibt keine andere Lösung, alle reden seit 70 Jahren davon, aber
sie müssen es in die Tat umsetzen. Es muss ein Datum geben, an dem es einen
palästinensischen Staat geben wird, den alle anerkennen müssen – so würde das
Problem beendet.“
vn 25
Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine bis 2025 verlängert
Die Aufenthaltserlaubnisse in Deutschland von Geflüchteten
aus der Ukraine gelten bis zum 4. März 2025 fort. Der Bundesrat stimmte am
Freitag einer entsprechenden Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums zu.
Die Betroffenen müssen damit keinen Antrag auf Verlängerung des
Aufenthaltsstatus stellen. Grundlage für die Verlängerung des vorübergehenden
Schutzes ist ein Beschluss der EU-Mitgliedstaaten Ende September 2023.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte die
Entscheidung. „Wer vor Putins mörderischem Krieg fliehen musste, wird bei uns
auch weiter in Sicherheit sein und Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt
haben.“ Das sei eine große Entlastung für die Ausländerbehörden und gebe
Sicherheit und eine klare Perspektive für die Betroffenen.
„Wir werden weiterhin die Leben vieler Menschen aus der
Ukraine schützen - so lange wie dieser furchtbare Krieg andauert. Wir stehen
weiter eng an der Seite der Ukraine“, sagte Faeser.
Nach Angaben des Ministeriums leben derzeit in Deutschland
rund 1,1 Millionen Menschen, die im Zusammenhang mit dem russischen
Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland
eingereist sind. Rund 350.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18
Jahren. Unter den erwachsenen Geflüchteten sind rund zwei Drittel Frauen. (kna
24)
Europäischer Gerichtshof. Kein automatischer Schutzstatus für Eltern von Flüchtlingskindern
Eltern von als Flüchtling anerkannten Kindern haben keinen
Anspruch Schutz, sondern „nur“ einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel. Das
hat der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Belgien entschieden.
Die EU-Staaten sind nicht verpflichtet, den Eltern eines als
Flüchtling anerkannten Kindes ebenfalls internationalen Schutz zu gewähren.
Familienangehörige, die selbst nicht die Voraussetzungen erfüllen, um als
Flüchtling anerkannt zu werden, können diesen Status nicht über ihre Kinder
ableiten, erklärten die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am
Donnerstag.
Im Sinne des Kindeswohls hätten sie allerdings Anspruch auf
die Ausstellung eines Aufenthaltstitels und den Zugang zu Beschäftigung oder
Bildung.
Kein Schutzanspruch
Im vorliegenden Fall geht es um einen aus Guinea stammenden Mann,
der 2007 nach Belgien kam. Dort beantragte er mehrfach vergeblich
internationalen Schutz. 2019 stellte er erneut einen Antrag und erklärte, er
sei Vater zweier 2016 und 2018 in Belgien geborener Kinder, die ebenso wie ihre
Mutter als Flüchtlinge anerkannt worden seien. Das zuständige Gericht lehnte
seinen Antrag auf internationalen Schutz ab.
Die Richter in Luxemburg bestätigten dieses Urteil. Das
Gericht habe zutreffend entschieden, dass dem Kläger kein internationaler
Schutz gewährt werden müsse, weil er selbst nicht die Voraussetzungen erfülle.
(epd/mig 24)
Massiver Rechtsruck. Islamhasser Wilders klarer Wahlsieger in den Niederlanden
Seit fast 20 Jahren mischt der Rechtsaußen Wilders mit
seiner islamfeindlichen Partei die Niederlande auf – zuletzt mit dem Thema
Migration. Jetzt ist er der große Wahlsieger. Doch allein regieren kann er
nicht. Auch wenn andere Rechtspopulisten in Europa schon jubeln. Sein Wahlsieg
dürfte auch in Deutschland Alarmglocken schrillen lassen. Von Annette Birschel
und Christoph Driessen
Geert Wilders, einziges Mitglied seiner „Partij voor de
Vrijheid“, kann seinen Triumph selbst nicht fassen. Als am Mittwochabend die
erste Prognose des niederländischen Fernsehens seinen sensationellen Wahlsieg
verkündet, schlägt er die Hände vors Gesicht. „35!“, ruft er. 35 Sitze im
Parlament – am Ende sollen es sogar 37 für die Partei für die Freiheit werden.
Das Ergebnis sei „historisch“, heißt es am Donnerstag
übereinstimmend in den Medien. In Teilen der niederländischen Gesellschaft ist
der Schock groß. „Ich schäme mich zutiefst – auch ein bisschen dafür,
Niederländerin zu sein“, sagt eine Bürgerin aus Enschede im Fernsehen. Muhsin
Kökta?, Vorsitzender eines muslimischen Verbands sagt, Muslime hätten jetzt
Angst, ihre Religion nicht mehr frei ausüben zu dürfen. „Als praktizierender
Muslim mache ich mir Sorgen“, sagte er am Donnerstag im niederländischen
Fernsehen. „Ich hatte dieses Ergebnis wirklich nicht erwartet. Auf Muslime
kommt eine schwierige Zeit zu.“ Wilders pocht schließlich seit 20 Jahren auf
ein Koran-Verbot und die Schließung aller Moscheen. Der Wahlsieg schockte auch
Flüchtlingsräte.
Rechtspopulisten in Europa hingegen bejubelten Wilders‘
Triumph. „Herzlichen Glückwunsch zu diesem großen Erfolg. Ganz Europa will die
politische Wende!“, schrieb AfD-Chefin Alice Weidel im Kurznachrichtendienst X,
vormals Twitter. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und die
französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen gratulierten Wilders.
Holland – stand das nicht mal für Flower Power und das von
Chansonnier Herman van Veen besungene „zärtliche Gefühl“? War das nicht mal das
Land, in dem gerade Deutsche das Gefühl hatten, freier durchatmen zu können?
Weil alles etwas lockerer und toleranter zugeht?
Rechtspopulisten gibt es schon 20 Jahre
Dieses Bild traf so wohl immer nur auf die Hauptstadt
Amsterdam zu. Schon vor über 20 Jahren gab es erstmals einen kräftigen
Rechtsruck, als der Soziologie-Professor Pim Fortuyn als erster Populist
durchstartete. Kurz vor seinem vorausgesagten Erdrutschsieg bei der
Parlamentswahl von 2002 wurde er von einem militanten Tierschutz-Aktivisten auf
einem Parkplatz erschossen. Seine Partei zerlegte sich danach selbst und
verschwand in der Versenkung.
Das Erbe Fortuyns trat ein anderer Rechtspopulist an, ein
Mann mit einer platinblonden Haartolle und dem Dialekt seiner Heimatstadt
Venlo: Geert Wilders. Um einem Chaos wie in Fortuyns Partei vorzubeugen, wandte
er einen einfachen Trick an: Bis heute ist er das einzige Mitglied seiner
Partei PVV. Gefolgsleute können sich nur als Sympathisanten oder Förderer
anmelden.
Seit ihrer ersten Teilnahme an einer Wahl 2006 ist die PVV
immer eine feste Größe in der Parteienlandschaft und eine starke Kraft im
Parlament in Den Haag gewesen. Warum aber ist sie jetzt plötzlich so groß
geworden?
Migration als Wahlkampfthema Nummer 1
Es gab ein Thema, das den Wahlkampf dominierte: Migration.
Alle Parteien auf der Rechten überboten sich geradezu mit Versprechungen, die
Asylzahlen zu verringern. „Unser Land ist voll“, hieß es. Dabei wurde vielfach
der Eindruck erweckt, die Zuzügler seien die Hauptursache für die bestehende
Wohnungsnot. Tatsache ist: Das Land mit etwa 18 Millionen Einwohnern ist eines
der am dichtest besiedelten der Welt. Im vergangenen Jahr kamen 224.000 Menschen,
doch nur eine Minderheit davon, etwa 46.000, waren Asylsuchende und ihre
Angehörigen. Der Rest bestand aus Arbeitsmigranten und Auslandsstudenten.
Rutte-Nachfolgerin macht Wilders salonfähig
Eine weitere Ursache für Wilders‘ Wahlsieg dürften die Annäherungsversuche
der bisher größten Partei, der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und
Demokratie (VVD), gewesen sein. Der scheidende Ministerpräsident Mark Rutte
hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders immer ausgeschlossen. Auch aus eigener
schlechter Erfahrung. Denn Ruttes erstes Kabinett, eine Minderheitsregierung,
war von Wilders toleriert worden, aber dann vorzeitig an dessen
Kompromisslosigkeit gescheitert. Seitdem hatte Rutte jedes Vertrauen in ihn
verloren.
Seine Nachfolgerin als VVD-Chefin, Dilan Ye?ilgöz, wollte
sich aber viel rechter als Rutte positionieren und änderte deshalb den Kurs.
Sie erklärte gleich zu Beginn des Wahlkampfes, sie wolle Wilders als
Koalitionspartner nicht ausschließen. Davon ging die Botschaft aus: Wilders hat
jetzt erstmals eine echte Chance auf Regierungsbeteiligung. So habe Ye?ilgöz –
die türkeistämmig ist –, Wilders „salonfähig“ gemacht, sagte ein
Fernsehkommentator unter Verwendung des deutschen Begriffs. Plötzlich gab es
keine Hemmungen mehr, sich öffentlich als Wilders-Fan zu outen.
Nach 13 Jahren unter dem rechtsliberalen Rutte ist Wilders
für viele Wähler „neue Politik“. Denn Ruttes Langzeitregierung wird auch für
die Misere im Gesundheitssystem verantwortlich gemacht, für zunehmende Armut
und für mehrere Affären und Skandale der vergangenen Jahre. Wilders setzt
dagegen Einzeiler wie: „Die Niederländer müssen wieder Nummer 1 sein.“
Emotionale Rede von Timmermans kommt zu spät
Aber auch andere Spitzenkandidaten müssen sich fragen, ob
sie alles richtig gemacht haben. So hielt Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans vor
seinem Anhang aus Grünen und Sozialdemokraten in der Wahlnacht zwar eine
emotionale Rede mit dem Aufruf, die Niederländer müssten jetzt „die Demokratie
verteidigen“. Allerdings musste er sich sofort kritisch fragen lassen, warum er
das nicht früher getan habe.
Die von Wilders ausgehende Gefahr für Demokratie und
Rechtsstaat war im Wahlkampf kaum je thematisiert worden – übrigens auch nicht
von den Medien, die den Rechtsaußen schon lange wie einen ganz normalen Politiker
behandeln. Alles andere sei doch elitär und undemokratisch, heißt es zur
Begründung. Dass man doch „jeden mit ins Boot nehmen“ wolle, ist in den
Niederlanden eine politische Maxime.
Jetzt, nach der Wahl macht sich der Journalistenverband
große Sorgen über mögliche negative Folgen für die Medien. Wilders schüre
Feindseligkeit und Bedrohungen von Journalisten, sagte der Generalsekretär des
Verbandes, Thomas Bruning, am Donnerstag in Amsterdam. Der Rechtspopulist hatte
nach Aussagen von Bruning in der Vergangenheit einige „alarmierende Aussagen“
gemacht. So hatte er bei Twitter 2021 Journalisten als „gesellschaftlichen
Abschaum“ beschimpft. Man habe gesehen, dass dies Auswirkungen für die
Berufsgruppe habe, auf die Sicherheit bei der Arbeit. Wilders habe die Aussagen
dennoch nicht zurücknehmen wollen. Wilders Partei will zum Beispiel auch den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht länger mit Steuergeldern finanzieren.
„Unterm Strich will er damit den öffentlich-rechtlichen Journalismus
abschaffen“, sagte Bruning.
Was wird aus der EU-Beziehung?
Die große Herausforderung für Wilders ist nun, andere
Parteien als Koalitionspartner an sich zu binden. Dies erscheint schwierig, aber
keineswegs unmöglich. Sowohl Ye?ilgöz als auch der zweite Sieger des
Wahlabends, der frühere Christdemokrat Pieter Omtzigt, zeigen sich offen für
Gespräche. Alle Parteien müssten jetzt „über ihren Schatten springen“, sagte
Omtzigt, der erst vor zwei Monaten seine eigene Patei „Neuer Sozialer Vertrag“
gegründet hatte. Damit holte er bei der Wahl auf einen Schlag 20 der 150
Parlamentssitze. Und auch die Protestpartei Bauernbürgerbewegung BBB will gerne
mit dem Rechtsaußen regieren.
So könnten die Zeiten, in denen die Niederlande auch für die
Bundesregierung einer der engsten Partner innerhalb der Europäischen Union
waren, bald vorbei sein. Zwar ist der von Wilders angestrebte „Nexit“ – ein
Austritt aus der EU nach britischem Vorbild – mit den anderen Parteien nicht zu
machen. Doch auf vielen Gebieten würden die Niederlande mit Wilders als
Regierungschef künftig einen anderen Kurs fahren. Er lehnt zum Beispiel den
Klimaschutz ab und will auch die Hilfe für die Ukraine drastisch zurückfahren.
All das wird in Deutschland wohl genau registriert werden
und dürfte teilweise die Alarmglocken schrillen lassen. Die oft gehörte
Beschwichtigung, gute Umfragewerte für extreme Parteien bedeuteten noch lange
nicht, dass die Leute dann auch wirklich so wählen würden, hat sich zumindest
für die Niederlande als Wunschdenken herausgestellt. (dpa/mig 24)
Gefährlicher Vertrauensverlust
Angesichts der Reaktionen auf den Gazakrieg verliert die
feministische Außen- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung massiv an Glaubwürdigkeit.
Lydia Both
Wer sich vor dem Hintergrund des Krieges zwischen Israel und
der Hamas und im Angesicht der humanitären Katastrophe in Gaza zwischen
unterschiedlichen Realitäten und ihren Diskursen bewegt, bleibt oft sprachlos
zurück. In Deutschland rückten Politik und Medien die Sicherheit und das
Selbstverteidigungsrecht Israels nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober ins
Zentrum der Debatte. Gleichzeitig wächst in der arabischsprachigen Welt und
darüber hinaus die Wut und die Trauer angesichts des schier unfassbaren Leids,
das die israelische Armee derzeit in Gaza anrichtet.
Das Einzige, was diese beiden unterschiedlichen Positionen
vereint, ist das Fehlen jeglicher Empathie für die jeweils andere Seite. Die
Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Realitäten und Wahrnehmungen, der
Israelis, wie auch der Palästinenser, muss erkannt und ausgehalten, und darf
nicht a priori delegitimiert werden.
Dabei helfen könnten die von der Bundesregierung im
Koalitionsvertrag vereinbarte feministische Außenpolitik und die feministische
Strategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ), die nicht nur Handlungsanweisungen, sondern auch eine
Sprache bereithalten, die unterschiedslos für alle außenpolitischen Krisen
gelten sollte und der wir uns bedienen könnten, um auf den Krieg im
Gazastreifen zu reagieren.
Doch an welcher Stelle wurden diese Leitlinien seit dem 7.
Oktober angewandt? Sicher nicht, als die deutsche Zusammenarbeit in den
palästinensischen Gebieten und mit der dortigen Zivilgesellschaft automatisch
unter Terrorverdacht und damit auf den Prüfstand gestellt wurde. Wie
feministisch war es, in einem zweiten (weitaus weniger hörbaren) Atemzug
nachzuschieben, dass die Unterstützung von Frauen und Kindern prioritär sei und
daher schnell überprüft werde?
Sie galten auch nicht, als Bundesaußenministerin Annalena
Baerbock in der EU geradezu reflexhaft, aber wenig feministisch, gegen einen
humanitären Waffenstillstand in Gaza stimmte, um gar nicht erst in Verdacht zu
geraten, das Selbstverteidigungsrecht Israels, das davon nicht betroffen wäre,
in Frage zu stellen.
Dabei gilt das Ruhen von Waffen zur Ermöglichung humanitärer
Hilfe als einer der Grundsätze feministischer Außenpolitik. Und so löste das
Abstimmungsverhalten Deutschlands bei der Generalversammlung der Vereinten
Nationen bei denjenigen im Globalen Süden, die die Entwicklung der
feministischen Außenpolitik der Bundesregierung und ihrer Leitlinien einst
enthusiastisch verfolgt hatten, ungläubiges Kopfschütteln und Empörung aus.
Zumal auch sämtliche internationale Organisationen und die UN schon früh einen
humanitären Waffenstillstand gefordert haben, darunter auch UN Women mit einem
besonderen Fokus auf Frauen und Kindern. Jetzt für Feuerpausen einzutreten,
kommt verspätet und wird nicht helfen, das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit an
deutscher feministischer Politik zu erhalten.
Wie sähe ein feministischer Umgang mit dem Nahost-Konflikt
dagegen aus, welche Möglichkeiten hätte die Bundesregierung, sich durch ihre
bedingungslose Solidarität mit Israel nicht vollends international ins Abseits
zu stellen, sondern entlang der selbst auferlegten Werte einen gerechten und
wirkungsvollen Beitrag zur Verbesserung der Situation zu leisten?
Herzstück feministischer Außen- und Entwicklungspolitik ist
ihr menschenrechtsbasierter Ansatz mit der Grundüberzeugung, dass alle Menschen
inhärente Rechte und Würde besitzen. Internationales und humanitäres Recht muss
für alle gelten. Definitionen, wer als Zivilistin und wer als Kombattant gilt,
dürfen nicht aufgeweicht und ganze Bevölkerungsgruppen dürfen nicht kollektiv
bestraft werden.
Wenn der Zugang zu Strom, Wasser, Benzin und Medizin
eingeschränkt oder komplett blockiert ist, wie es seit Beginn des Krieges in
Gaza passiert, müssten Vertreterinnen und Vertreter feministischer Außen- und
Entwicklungspolitik aufschreien. Denn somit sind auch die sexuellen und
reproduktiven Rechte von Frauen und anderen Minderheiten eingeschränkt, wenn
nicht gar verwehrt. 15 Prozent der schwangeren Frauen in Gaza werden
Komplikationen bei den Geburten erleiden, das Leben vieler Neugeborener ist
gefährdet. Wenn feministische Politik für die Rechte von Frauen und anderen
Marginalisierten eintreten will, dann muss sie dies konsequent und konsistent
tun. Aber während Expertinnen und Experten, darunter auch feministische,
warnen, dass internationales Recht gerade durch die israelische Regierung
ausgehebelt wird, halten sich deutsche Vertreterinnen und Vertreter von
vermeintlich feministischer Politik bislang bedeckt.
Sie sollten sich außerdem an den simplen wie einleuchtenden
Grundsatz erinnern, dass feministische Außenpolitik politische statt
militärische Lösungen fördern sollte. Ihr erklärtes Ziel ist die Förderung der
Repräsentation von Frauen – in Konfliktsituationen geht es hier vor allem um
die Beteiligung von Frauen und marginalisierten Gruppen an
Friedensverhandlungen. Wenn aber niemand nach einer politischen Lösung sucht,
stellt sich auch die Frage nach der Beteiligung von Frauen an dieser erst gar
nicht.
Das Verhalten und die Rhetorik deutscher Politik macht
dagegen vielmehr den Eindruck, dass der militärischen Supermacht Israel in
ihrem Kampf gegen die Terrororganisation Hamas nach den Gräueltaten vom 7.
Oktober freie Hand gelassen wird. Das ist alles andere als deeskalierend,
sondern begünstigt die Durchsetzung militärischer Macht.
Apropos Macht: Feministische Außenpolitik und
Entwicklungszusammenarbeit haben gemeinsam, dass das Hinterfragen von
Machtstrukturen ihre theoretische Grundlage bildet. Das würde bedeuten, die
Gewaltdynamik im Nahen Osten zu kontextualisieren und anzuerkennen, dass der
Konflikt nicht erst am 7. Oktober begonnen hat. Das heißt explizit nicht, den
Massenmord an und die Entführung von Zivilistinnen und Zivilisten zu
rechtfertigen oder kleinzureden. Um wirklich dauerhaft für die Sicherheit
Israels, der viel beschworenen Staatsräson Deutschlands, zu sorgen, müssen die
Ursachen der Gewalt angegangen werden – eine Kontextualisierung ist dafür
essentiell und stünde im Einklang mit den feministischen Ansätzen, derer sich
das Auswärtige Amt und das BMZ verschrieben haben.
Ein großer Streitpunkt ist derzeit der mit Machtfragen
verbundene postkoloniale Ansatz. Das BMZ hat postkoloniale und antirassistische
Entwicklungspolitik in seine Strategie aufgenommen. Den Hamas-Terror als
antikolonialen Widerstand zu framen, ist fatal und komplett irreführend. Es
widerspricht jeglichem humanistischen Ansatz, das Verletzen, Entführen und
Töten von Zivilisten mit Widerstand zu rechtfertigen. Jeglichen postkolonialen
Diskurs allerdings unter Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, wie
kürzlich durch Habecks „Rede an die Nation“ geschehen, erlaubt jedoch
keinen produktiven Austausch.
Feministische Außen- und Entwicklungspolitik muss eine
Debatte ermöglichen, die die strukturelle Asymmetrie der Machtverteilung
zwischen einer militärischen Supermacht und einer zunehmend fragmentierten und
entrechteten Gesellschaft benennt. Feministische Organisationen aus dem
Globalen Süden, gemeinsam mit Geberorganisationen, zeigen, wie es gehen kann,
jahrzehntelange Vertreibung, Besatzung und Belagerung als Gewaltursache
anzusprechen und sich gleichzeitig mit allen zivilen Opfern dieses Konflikts
sowie den Opfern von zunehmenden Hasskampagnen zu solidarisieren.
Ein weiteres Kernziel feministischer Außenpolitik ist die
Bekämpfung sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt in bewaffneten
Konflikten. Dementsprechend müssen belegte Taten der Hamas als Verstoß gegen
internationales humanitäres Recht verurteilt werden.
Vorsicht ist angebracht, wenn eine ausschließliche
Viktimisierung von Frauen, die ihnen ihre Handlungsfähigkeit abspricht, dazu
führt, dass Kriege begründet werden mit dem vermeintlich feministischen Ziel,
Frauen, Kinder und Minderheiten zu schützen. Dieser sogenannte
„Securo-feminism“ macht sich auch in der Rhetorik zum Gazakrieg bemerkbar, wenn
Vergewaltigungsvorwürfe ungeprüft für das Verteidigungsrecht herangezogen
werden oder ein israelischer Soldat mit einer Regenbogenflagge auf Ruinen in
Gaza verkündet, er handle „im Namen der Liebe“. Zugespitzt könnte man von
„empowerment through bombing“ sprechen. Wenn Frauen und LGBTIQ erst befreit und
ermächtigt werden können, wenn die patriarchalen Regime, in deren Schlingen sie
sich befinden, militärisch plattgemacht wurden – und sie selber gleich mit –,
hat das wenig mit den feministischen Grundsätzen von Frieden, menschlicher
Sicherheit und Gewaltfreiheit zu tun.
Schon vor dem jetzigen Krieg wurden die feministischen
Strategien in der internationalen Politik kritisch beäugt und dahingehend
geprüft, inwieweit sie Machtstrukturen tatsächlich ändern können, wo diese doch
so sehr in historisch gewachsene Ungleichheiten zwischen Globalem Norden und
Süden eingebettet sind. Angesichts der jetzigen humanitären Katastrophe in Gaza
verliert Deutschland massiv an Glaubwürdigkeit im Globalen Süden und ganz
besonders bei progressiven sowie feministischen Akteurinnen und Akteuren sowie
Bewegungen, die wertvolle Partner für die Umsetzung deutscher Außen- und
Entwicklungspolitik hätten sein können.
Feministische Entwicklungs- und Außenpolitik muss den
Hamas-Terror verurteilen, darf aber nicht alle Palästinenserinnen und Palästinenser
als vermeintliche Terroristen kollektiv bestrafen. Gleichzeitig muss Israel als
sicherer Staat für Jüdinnen und Juden geschützt werden, und gerade deshalb muss
erkannt werden, dass die derzeitige Reaktion des Flächenbombardements Gazas
nicht zu dieser Sicherheit beiträgt, sondern viel wahrscheinlicher gleich die
nächste Welle von Hass und Gewalt erzeugt.
Feministische Außen- und Entwicklungspolitik sollte
progressive Stimmen auf beiden Seiten fördern und Räume für diese schaffen. Was
klar ist: Weder Antisemitismus im Namen eines vermeintlich antikolonialen
Widerstandes noch islamophober und antiarabischer Rassismus im Namen
sogenannter unbedingter Israelsolidarität haben in diesen Räumen einen Platz.
Aber feministische Außen- und Entwicklungspolitik darf nicht in die Falle
tappen, das eine wichtiger als das andere zu nehmen. Beides gilt es
gleichermaßen zu identifizieren und zu verbannen, während andere Stimmen nicht
vorverurteilt und ausgeschlossen werden dürfen. Feministische Aufrufe zum Waffenstillstand
skandalisieren sowohl antisemitische als auch antimuslimische Gewalt, die im
Zuge des Krieges überall auf der Welt, und besonders im Westen, drastisch
angestiegen sind.
Feministische Ansätze bieten die Sprache, die vielen derzeit
fehlt, um angemessen auf die humanitäre Katastrophe in Gaza zu reagieren. Sie
bieten auch Handlungsanweisungen für eine gerechte, für alle gleichermaßen
geltende Politik. Derzeit scheint aber die deutsche politische Öffentlichkeit
und die Bundesregierung an der Anwendung dieser im Fall des Krieges in Gaza zu
scheitern. IPG 24
Klimakonferenz. „Die Verschmutzer säubern ihr Gewissen“
Dürren, Fluten und Stürme bedrohen jetzt schon die
Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen in Afrika. Die Erwartungen an die
in wenigen Tagen beginnende Klimakonferenz in Dubai sind groß - ebenso der
Vorwurf an reiche Staaten. Von Birte Mensing
Die Erwartungen afrikanischer Staaten vor der
Weltklimakonferenz in Dubai sind groß. Es brauche „ehrgeizige, ausgewogene,
faire und gerechte Ergebnisse, um die Welt auf Kurs zu bringen“, erklärte der
Leiter der afrikanischen Verhandlungsgruppe, Ephraim Shitima, im Internetdienst
X, ehemals Twitter.
Es sind immer wieder die gleichen Sätze, in der Hoffnung,
dass sie irgendwann wirken. Afrika trägt nur etwa vier Prozent zu den globalen
CO2-Emissionen bei, aber die Folgen des Klimawandels sind auf dem Kontinent
bereits deutlicher zu spüren als anderswo. Dürren und Fluten werden häufiger,
wie zuletzt in Teilen Ostafrikas. Millionen von Menschen verlieren ihre
Lebensgrundlage.
Die Denkfabrik „Global Center on Adaption“ schätzt, dass
afrikanischen Volkswirtschaften bis 2035 bis zu sechs Billionen US-Dollar an
Wirtschaftswachstum einbüßen werden, weil Geld fehlt, um sich an den
Klimawandel anzupassen.
Der wunde Punkt
Der Kenianer George Tsitati forscht an der Universität im
schottischen Edinburgh dazu, wie unter lokaler Führung Maßnahmen gegen die vom
Klimawandel verursachten humanitären Krisen in Ostafrika gefunden werden
können. „Der wunde Punkt ist Armut“, sagt er. „Die Auswirkungen von Klimakrise
und Armut verstärken sich gegenseitig.“
Ein Drittel der etwa 1,4 Milliarden Menschen auf dem
afrikanischen Kontinent lebt unterhalb der Armutsgrenze, also von weniger als
1,90 US-Dollar am Tag. Und die Wirtschaft vieler Länder ist extrem von der
Natur und ihren Ressourcen abhängig. Etwa Dreiviertel der Menschen leben von
der Landwirtschaft, der Großteil ist auf Regen angewiesen, um die Felder zu
bewässern. Die Regenzeiten aber werden immer unvorhersehbarer. Es müsse
dringend in Bildung investiert werden, damit Menschen anders als mit
Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sagt Tsitati.
CO2 als Geschäftsmodell
Im September hatte Kenias Präsident William Ruto zum ersten
Afrikanischen Klimagipfel nach Nairobi eingeladen. Er präsentiert sich als
wichtige Stimme Afrikas in der Klimapolitik, vor allem zum Thema erneuerbare
Energie. Kenia will bis 2030 seine gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen
gewinnen – und ist tatsächlich nicht weit vom Ziel entfernt. Doch nicht alle
Staaten waren beim Gipfel vertreten. Südafrika und Uganda zum Beispiel fehlten.
Beides Länder, in denen fossile Energieträger gefördert werden.
Bei der Konferenz in Nairobi wurde auch über
CO2-Kompensation als Geschäftsmodell für den Kontinent diskutiert. Die Idee:
Firmen oder Länder bezahlen Geld dafür, dass CO2 anderswo eingespart wird, etwa
indem Flächen für die Aufforstung genutzt oder der Renaturierung überlassen
werden. Der Klimawissenschaftler Tsitati sieht das Thema, das auch in Dubai auf
der Tagesordnung stehen wird, kritisch. Große Flächen dafür zu blockieren,
gefährde die Lebensgrundlage der ärmsten Bevölkerungsgruppen.
Verschmutzer säubern ihr Gewissen
Gerade mit Blick auf die wirtschaftliche und industrielle
Entwicklung des Kontinents sei es wichtig zu überlegen, ob afrikanische Länder
Flächen für den CO2-Ausgleich anderer Länder freigeben wollen. „Die
Verschmutzer säubern ihr Gewissen und machen einfach weiter“, sagt Tsitati. Und
so werde weiter Klimapolitik gemacht, die am Ende vor allem reichen Ländern
nutze.
Tsitati kritisiert auch, dass die Delegationen afrikanischer
Länder zumindest zum Teil nur als Bittsteller auf den Klimakonferenzen
wahrgenommen würden. Afrika werde nur als Klimaopfer dargestellt. Dass Menschen
auf dem Kontinent Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel entwickeln, werde
übersehen. (epd/mig 23)
Schulden und Vermögen sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine
kluge Politik muss an beiden Seiten ansetzen – und die Hochzinspolitik beenden.
Michael Dauderstädt
Mit dem Anstieg der Zinsen sind die Sorgen um die Schulden
gewachsen. Der Economist befürchtet eine Weltwirtschaftskrise, oder jedenfalls
eine große Rezession, wenn die Zinsen länger hoch bleiben und so viele
Schuldner (Staaten, Unternehmen, Haushalte) in Schwierigkeiten geraten. Denn
diese müssen nun höhere Zinsen zahlen, wenn sie ihre Schulden verlängern
wollen. Zinszahlungen werden in der Folge einen wachsenden Anteil der Einnahmen
der Schuldner verschlingen und sie zwingen, andere Ausgaben zu kürzen.
Umgekehrt sinken die Werte (Kurse) von Anlagen mit festen Erträgen, damit ihre
Rendite dem höheren Zinsniveau entspricht. Das hat schon einige Banken in die
Insolvenz getrieben, deren Aktiva im Marktwert dramatisch schrumpften. Den
Schuldnern nutzen diese Kursverluste allerdings wenig, da sie mit den nominalen
Werten in der Pflicht sind.
In Deutschland hat das jüngste Urteil des
Bundesverfassungsgerichts den Versuch unterbunden, wichtige
Zukunftsinvestitionen und andere Ausgaben über ein Sondervermögen zu
finanzieren, das ursprünglich zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise
vorgesehen war. Kritiker haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei den
diversen Sondervermögen (etwa auch für die Aufrüstung der Bundeswehr) um
zusätzliche Staatsschulden handelt, die die Schuldenbremse umgehen sollten.
Tatsächlich sind die Schulden weltweit bis 2020 stark
angestiegen. Der Globale Schuldenmonitor des Internationalen Währungsfonds
(IWF) zeigt ein Wachstum von einem Niveau von unter 100 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den 1950er und 1960er Jahren auf 180 Prozent in
den 1990ern und 258 Prozent im Jahr 2020. Dieser lange Anstieg war sowohl durch
zunehmende Staatsschulden verursacht als auch durch wachsende private
Schulden, die etwa drei Fünftel der globalen Schulden ausmachen. Und es waren
vor allem die privaten und öffentlichen Schuldner in den reichen Ländern, die
für diesen Anstieg verantwortlich waren.
Seitdem ist ein leichter Rückgang auf 238 Prozent in
2022 zu beobachten, welcher der Zinspolitik geschuldet sein dürfte. Dieser Wert
liegt aber immer noch deutlich über dem Vorpandemieniveau von 229 Prozent. Er
deutet einen Weg an, Schulden real abzubauen, nämlich sie abzuschreiben
beziehungsweise niedriger zu bewerten. Damit verringern sich allerdings
gleichzeitig die Vermögen der Gläubiger wie etwa der eingangs erwähnten Banken.
Der andere Weg besteht darin, dass die Gläubiger den Schuldnern höhere Einnahmen
verschaffen, indem sie mehr von ihnen kaufen, als sie an sie verkaufen. Die so
bei den Schuldnern entstehenden Überschüsse können Tilgung und Schuldendienst
finanzieren. So läuft es bei erfolgreichen Unternehmen, die mit
kreditfinanzierten Investitionen Umsatz und Gewinn erzielen.
Ausgeblendet bleibt bei der Fokussierung auf den
Schuldenberg oft die Kehrseite der Schulden- und Zinslast: das Vermögen und die
Einkommen der Gläubiger. Denn den gewachsenen Schulden stehen entsprechend
gestiegene Vermögen gegenüber. Der Globale Vermögensbericht der Schweizer Bank
UBS weist für 2000 ein Weltvermögen von 118 BillionenUS-Dollar auf, das bis
2010 auf 252 Billionen und bis 2021 auf 465 Billionen angewachsen ist. 2022 lag
es wieder um zehn Billionen niedriger – im Gleichschritt mit den Schulden. Die
höheren Zinsen mögen zu Wertberichtigungen führen, bedeuten aber auch höhere
Einnahmen für Vermögensbesitzer.
Sparer, die ihre Ersparnisse zum Zwecke der Alterssicherung
oder für diverse Investitionen anhäufen, können nun mit höheren Erträgen
rechnen, die inzwischen sogar oft die Wertverluste durch Inflation mehr als
kompensieren. Daher ist es auch falsch, bei Schulden von einer Last für die
künftigen Generationen zu sprechen. Die entsprechenden Vermögenszuwächse sowie
Tilgungszahlungen und Zinsen kommen ebenfalls den künftigen Generationen zu,
nur eben den Vermögensbesitzern und Gläubigern unter ihnen.
Wenn allein die Zinsausgaben aus dem deutschen
Bundeshaushalt von knapp vier Milliarden im Jahr 2020 auf knapp 40 Milliarden
2023 steigen, bedeutet das, dass sich die diesbezüglichen Einkommen ebenfalls
verzehnfachen. Deutschland ist ein Land mit relativ zum BIP geringen
Staatsschulden und dank hoher Bonität niedrigem Zinsniveau. In anderen Ländern
(USA, Italien und vielleicht demnächst Japan) können Sparer mit üppigeren
Einnahmen rechnen. Dieser Geldsegen geht überwiegend auf schon reiche Menschen
nieder – denn die Vermögen sind noch deutlich ungleicher als die Einkommen
verteilt, deren Verteilung voraussichtlich so auch noch ungleicher wird.
Was werden diese Gewinner der Zinswende mit ihren Gewinnen
machen? Als mehrheitlich reichere Haushalte haben sie eine hohe Sparquote und
die neuen Einkommen tragen nur begrenzt zu einer höheren Nachfrage bei. Damit
verstärkt sich der Rezessionstrend, den die Hochzinspolitik – neben anderen
Faktoren wie sinkenden Reallöhnen – ausgelöst hat. Staat und Unternehmen
müssten diese Ersparnisse nachfragen und ausgeben, um eine Rezession zu
vermeiden. Aber gerade in Deutschland tun sie das in zu geringem Umfang: der
Staat wegen der Schuldenbremse, die Unternehmen dank hoher Selbstfinanzierung.
So fließen die Ersparnisse ins Ausland, wie am deutschen
Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von circa acht Prozent des BIP sichtbar ist
(Ausnahme 2022 mit 4,2 Prozent). Auch hier gilt, dass Überschussländer
wenigstens temporär zu Defizitländern werden müssen, um den Schuldnern die
Überschüsse zu ermöglichen, mit denen sie ihre Schulden tilgen und bedienen
können.
Die großen Herausforderungen wie Klimawandel,
Digitalisierung, Demografie und geopolitische Spannungen, vor denen nicht nur
Deutschland, sondern die meisten Länder stehen, erfordern massive öffentliche
(und private) Investitionen. Wenn die potenziellen Investoren (Staaten oder
Unternehmen) ihre Einnahmen mehr und mehr für den Schuldendienst ausgeben
müssen, fehlen diese Mittel für die Bewältigung der vielfältigen Krisen. Eine
angemessene Wirtschaftspolitik sollte die Zinsen rasch senken – zumal die
Inflation nachlässt – und die Vermögen und die aus ihnen resultierenden
Einkommen stärker besteuern, soweit sie nicht in die Krisenbekämpfung
investiert werden. Kapitalerträge sollten nicht niedriger, sondern höher als
Arbeitseinkommen besteuert werden. IPG 23
Amnesty-Deutschland-Report. Versäumnisse in der Strafverfolgung rasstischer Verbrechen
Amnesty International kritisiert Deutschland: mangelnde
Anerkennung von strukturellem Rassismus. Ein neuer Bericht deckt Probleme bei
der Polizei und im Umgang mit Hassverbrechen auf. Deutschland muss handeln, so
die Menschenrechtsorganisation.
Deutschland tut nach Auffassung von Amnesty International
nicht genug gegen systemischen Rassismus und erkennt Ursachen nicht ausreichend
an. Ein neuer Amnesty-Bericht benenne strukturelle Probleme unter anderem bei
der Polizei, im Umgang mit Hassverbrechen und der Wiedergutmachung für
Kolonialverbrechen, teilte die Menschenrechtsorganisation am Mittwoch in Berlin
mit.
Hintergrund sind laut Amnesty für Donnerstag und Freitag
geplante Beratungen im Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen über den
Schutz vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt in Deutschland. Der Bericht
liegt dem Ausschuss den Angaben zufolge vor.
Rassismus in der Strafverfolgung
Die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Julia
Duchrow, erklärte, Deutschland habe sich bereits in den 1960er Jahren zum
Schutz aller Menschen vor rassistischer Diskriminierung und Gewalt
verpflichtet. „Die Behörden scheitern aber immer wieder daran“, betonte sie
unter Hinweis auf die rechtsextreme Mordserie der Terrorgruppe
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und rassistische Anschläge in München,
Halle und Hanau.
Der deutschen Polizei wirft die Organisation vor,
rassistische Stereotype durch Kategorisierungen wie „Clankriminalität“ zu
reproduzieren. Amnesty fordert, Rassismus in der Strafverfolgung zu untersuchen
und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Deutschland müsse garantieren, dass alle
Vorwürfe von rassistischem Handeln durch die Polizei unabhängig untersucht und
konsequent geahndet werden. Dafür seien unabhängige Beschwerdestellen auf
Bundes- und Landesebene nötig. (epd/mig 23)
50 Organisationen appellieren. Menschenrechtler befürchten Kriminalisierung der Seenotrettung
Ein Bündnis von Menschenrechtsorganisationen wendet sich
gegen die Regierungspläne für eine einfachere Abschiebung von Flüchtlingen. In
einer Erklärung von mehr als 50 Organisationen wird davor gewarnt, die
humanitäre Hilfe für Geflüchtete zu kriminalisieren.
Rund 50 Organisationen haben von der Bundesregierung die
Rücknahme einer Gesetzesänderung gefordert, die die Seenotrettung
kriminalisieren könnte. Die geplante Änderung des Aufenthaltsgesetzes
widerspreche dem Koalitionsvertrag, erklärten Seenotrettungs- und
Menschenrechtsorganisationen sowie Hilfswerke am Dienstag. Die Ampel-Parteien
hätten sich dort zur Pflicht zur Seenotrettung bekannt. Das
Bundesinnenministerium müsse seine Vorlage ändern.
Bei dem kürzlich vom Bundesinnenministerium vorgestellten
Gesetzesentwurf handle es sich um den bisher weitreichendsten Versuch, in
Deutschland die Seenotrettung zu kriminalisieren, kritisierten die
Organisationen. Demnach solle die Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter
Strafe gestellt werden, wenn sie „wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“
erfolgt. Zudem würde durch die Änderung auch die Hilfe zur Einreise von
unbegleiteten Minderjährigen unter Strafe gestellt.
Bis zu zehn Jahre Haft
Bestraft werden könnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Seenotrettungsorganisationen, aber auch Menschenrechtsverteidiger, humanitäre
Organisationen und die Geflüchteten selbst. Helferinnen und Helfern drohen laut
den Organisationen bis zu zehn Jahren Haft.
Zahlreiche deutsche Organisationen beteiligen sich an der
Rettung von Geflüchteten in Seenot im Mittelmeer. Die Überquerung des
Mittelmeers gilt als eine der gefährlichsten Fluchtrouten w
eltweit. Nach UN-Angaben starben dabei in diesem Jahr
bereits fast 2.500 Menschen.
Innenministerium: Kriminalisierung der Seenotrettung nicht
beabsichtigt
In einer Klarstellung des Bundesinnenministeriums habe es
geheißen, die Kriminalisierung der Seenotrettung sei nicht beabsichtigt. Die
Formulierungshilfe rechtfertigt nach Einschätzung der Hilfsorganisationen aber
eindeutig eine strafrechtliche Verfolgung dieser im Falle vieler Rettungen. In
fast allen Einsätzen würden mehrere Personen zum europäischen Festland
gebracht. Zudem befänden sich unter den Geretteten regelmäßig unbegleitete
Minderjährige.
Die Ampel-Regierung hat die Änderung des Paragrafen 96 des
Aufenthaltsgesetzes, der das Einschleusen von Ausländern betrifft, bereits im
Oktober im Kabinett beschlossen. Sie muss noch durch den Bundestag, bevor sie
in Kraft tritt. Mit den geplanten Gesetzesänderungen würde sich Deutschland in eine
repressive Politik einreihen, die europaweit zu beobachten sei, kritisierten
die Organisationen. (dpa/mig 21)
Leitkultur und Obergrenze. CSU präsentiert Stammtisch-Papier zu Integration
Leitkultur, Obergrenze, Deutschpflicht und Kopftuch-Verbot
an Schulen: Das Positionspapier der CSU zu Integration liest sich wie eine
Auflistung rechtspopulistischer Debatten vergangener Jahre - präsentiert mit
Islamkritiker Mansour.
Leitkultur, Obergrenze, mehr Bildungs- und Wertevermittlung,
keine Auslandsfinanzierung für Moscheen, harte Sanktionen gegen Antisemiten: In
einem betont konservativen Positionspapier fordert die CSU im bayerischen
Landtag ein Umdenken für die Integrationspolitik in Deutschland. Der Entwurf
des zweiseitigen Papiers, der der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt,
greift dabei viele Punkte auf, die die CSU bereits in den vergangenen Jahren
zur Migrationspolitik vertreten hat.
„Wir müssen Integration völlig neu denken – denn Islamismus
und Antisemitismus auf unseren Straßen zeigen, dass wir hier mit dem
Multi-Kulti-Kuschelkurs von Rot-Grün gescheitert sind“, sagte der
CSU-Fraktionschef im Landtag, Klaus Holetschek, in München.
„Wir müssen von den zu uns kommenden Migranten einfordern,
dass sie unsere Leitkultur akzeptieren“, heißt es Entwurf des Papiers. Das
Papier soll an diesem Dienstag in der CSU-Fraktionssitzung mit Islamkritiker
Ahmad Mansour diskutiert werden. Zur Leitkultur gehörten „insbesondere
Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat, Gleichberechtigung, Toleranz und ein
positives Bekenntnis zu unserem Land und natürlich auch das unverbrüchliche
Existenzrecht Israels“. Integration bedeute, die Werte des Einwanderungslandes
anzunehmen.
„Leitkultur“
„Der Bund muss endlich unsere Leitkultur und unsere Werte in
den Mittelpunkt stellen und als Basis für unser Zusammenleben einfordern – so
wie wir es bereits im Bayerischen Integrationsgesetz verankert haben“, sagte
Holetschek.
Die Zuwanderungszahlen müssten derart begrenzt werden, „dass
ausreichend Kapazitäten aber auch ein hohes Maß an Akzeptanz für die Aufnahme
und Hilfe vorhanden sind“, heißt es weiter im Papier. Zudem müsse „illegale
Migration“ mit allen zulässigen Mitteln bekämpft werden.
Ausbürgerung
Gegenüber Antisemiten vertritt die CSU im Papier einen
harten Kurs samt Grundgesetzänderung. „Wer antisemitische Straftaten begeht,
kann nicht deutscher Staatsbürger werden“, heißt es. Straftätern mit doppelter
Staatsbürgerschaft müsse die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt werden,
„wenn sie sich in erheblicher Weise strafbar gemacht haben“. „Mit allen Mitteln
des Rechtsstaates“ müsse gegen Antisemitismus vorgegangen werden. Dazu gehörten
härtere Strafen und wenn möglich Änderungen des Versammlungsrechts, „um
judenfeindliche Demonstrationen leichter beschränken und verbieten zu können“.
Für die Finanzierung von Moschee-Gemeinden forderte die CSU
im Papier mehr Transparenz: „Die Auslandsfinanzierung von Moscheen und
kulturellen Einrichtungen muss verhindert werden. Es darf nicht sein, dass
fremde, teils diktatorisch regierte Staaten, ihre Propaganda in Deutschland
verbreiten.“
Deutsch zu Hause
Für ausländische Kinder, die in Deutschland lebten, brauche
es eine gezielte Sprachförderung und Wertevermittlung auch außerhalb der
Schulen. Auch die Eltern seien gefordert, zuhause solle Deutsch gesprochen und
die deutsche Kultur vermittelt werden, heißt es. „Wir brauchen eine politische
Bildungsoffensive für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.“
Holetschek kann sich noch weitere Schritte vorstellen: „Wer
zu uns kommt, muss unsere Werte nicht nur akzeptieren, sondern bereit sein,
nach diesen zu leben.“ Dabei dürfe es keine Denkverbote geben. „Ich könnte mir
durchaus vorstellen, dass wir auch das Tragen von Kopftüchern an Schulen
kritisch hinterfragen.“ (dpa/mig 22)
UNICEF: Sudan ist eine Hölle für Millionen Kinder geworden
Auf die dramatische Situation der Kinder angesichts des
eskalierenden Konflikts in Darfur weist das Kinderhilfswerk der Vereinten
Nationen UNICEF hin. Mindestens fünf Millionen Kinder sähen sich schwerwiegenden
Verletzungen ihrer grundlegenden Rechte ausgesetzt, so UNICEF-Generaldirektorin
Catherine Russell in einer Aussendung von Montag.
Seit dem Ausbruch des Krieges am 15. April seien in dem Land
mehr als 3.130 schwere Verletzungen der Rechte von Kindern gemeldet, mindestens
die Hälfte davon in der Region Darfur, wobei die tatsächlichen Zahlen aufgrund
fehlender Meldestrukturen weit höher seien, betont UNICEF.
Die Zahl der gemeldeten schwerwiegenden Verletzungen der
Rechte von Kindern in Darfur ist seit 2022 um 550 Prozent gestiegen. Von allen
im Sudan gemeldeten Fällen von Tötung und Verstümmelung betrafen 51 Prozent
Kinder aus Darfur. Darüber hinaus ereignen sich 48 Prozent der gemeldeten Fälle
von sexueller Gewalt im Sudan in Darfur. Auch erreichten Berichte über die
Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in den Kriegshandlungen
UNICEF. Mittlerweile sei der Sudan für Millionen von Kindern eine Hölle
geworden.
„Das muss aufhören“, so Generaldirektorin Russell. „Kinder
leiden unter immer neuer Gewalt, während ihre Eltern und Großeltern noch immer
die Narben früherer Gewaltzyklen tragen. Wir können nicht zulassen, dass sich
dies wiederholt. Alle Konfliktparteien müssen das Völkerrecht achten und Kinder
und Zivilisten schützen. Kinder brauchen Frieden“.
Zwei bewaffnete Gruppierungen schalten sich ein
Der vergessene Krieg im Sudan ist eskaliert, nachdem sich
zwei bewaffnete Formationen in Darfur, die sich bisher neutral verhalten
hatten, auf die Seite der Armee gegen die Schnellen Eingreiftruppen (RSF)
gestellt haben.
Am 17. November hatten Finanzminister Jibril Ibrahim, Führer
der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM), und Minni Arko Minawi,
Gouverneur von Darfur und Führer der Sudanesischen Befreiungsbewegung/Armee
(SLA/M), erklärt, dass die von ihnen geführten Gruppen sich der regulären Armee
schließen wollten und beschuldigten die RSF, in Darfur Gräueltaten begangen zu
haben.
Wie Minawi erklärte, habe er sich zu einer Absage an die
Neutralität entschieden, nachdem er zu der Überzeugung gelangt sei, dass „das
Ziel des Krieges darin besteht, den Sudan zu spalten“.
Jibril Ibrahim erklärte auf einer Pressekonferenz, seine
Organisation habe „zu Beginn des Krieges eine neutrale Position eingenommen, um
zu vermitteln“, beschuldigte aber die RSF, „in Zusammenarbeit mit ausländischen
Milizen und Söldnern zu versuchen, das Land zu fragmentieren und zu spalten, um
eine ausländische Agenda umzusetzen“.
Schwere Vorwürfe
Der Bürgerkrieg im Sudan brach am 15. April mit einem
Zusammenstoß zwischen der regulären Armee und RSF-Milizionären aus. Die Kämpfe
konzentrierten sich in und um die Hauptstadt Khartum sowie in Darfur, der
Region im Westen des Landes, aus der die Mitglieder der RSF stammen. Bisher
hatten sich die meisten anderen bewaffneten Gruppen des Landes nicht an den
Kämpfen zwischen den beiden Fraktionen beteiligt. Die Entscheidung der JEM und
der SLA/M, sich der Armee anzuschließen, wurde von einer anderen in Darfur
aktiven Formation, der Revolutionären Demokratischen Strömung (RDC) der SPLM-N,
kritisiert. Der von der Armee und der RSF gemeinsam durchgeführte Putsch vom
25. Oktober hat die Hoffnungen auf einen demokratischen Durchbruch im Sudan
zunichte gemacht und zur Bildung einer Militärjunta geführt, deren interne
Unstimmigkeiten zum Bürgerkrieg eskalierten.
Krieg weitet sich aus
Eine weitere besorgniserregende Entwicklung war der Angriff
in Abyei, einem ölreichen, umstrittenen Grenzgebiet zwischen Sudan und
Südsudan, bei dem 32 Menschen ums Leben kamen. Bulis Koch Aguar Ajith, Abyeis
Informationsminister und südsudanesischer Sprecher für die Region, verurteilte
den Angriff in einer am Abend des 19. Novembers veröffentlichten Erklärung,
wonach der Angriff von einer Dinka-Fraktion gegen eine rivalisierende Fraktion
verübt wurde. Abyei hat einen besonderen Verwaltungsstatus und wird von einer
Verwaltung regiert, die sich aus von Juba und Khartum ernannten Beamten
zusammensetzt. Der Ausbruch der Kämpfe in Abyei birgt die Gefahr einer
Destabilisierung dieser ohnehin schon instabilen Region, während die anhaltende
Krise im Sudan die Gespräche zwischen den beiden Ländern über dieses seit
langem umstrittene Gebiet „faktisch ausgesetzt“ habe, warnte der UN-Beauftragte
für die Region.
Der sudanesische Konflikt berge daher die Gefahr, dass er
auch auf Nachbarstaaten übergreife. Auch droht ein „libysches“ Szenario mit der
Bildung von zwei Regierungen, die um die Kontrolle des Landes kämpfen. Erst
jüngst hatte sich Papst Franziskus nach dem sonntäglichen Mittagsgebet geäußert
und an den Krieg erinnert: „Seit einigen Monaten herrscht im Sudan ein
Bürgerkrieg, der keine Anzeichen für ein Nachlassen zeigt und zahlreiche Opfer,
Millionen von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen in den Nachbarländern sowie
eine sehr ernste humanitäre Lage verursacht. Ich bin dem Leid des sudanesischen
Volkes nahe und appelliere von Herzen an die lokalen Verantwortlichen, den
Zugang für humanitäre Hilfe zu erleichtern und mit dem Beitrag der
internationalen Gemeinschaft auf friedliche Lösungen hinzuarbeiten. Vergessen
wir nicht unsere leidgeprüften Brüder und Schwestern!“ (pm/fides 21)
Heiliger Stuhl: Zwei-Staaten-Lösung Weg zum Frieden zwischen Israel und Palästina
„Der Heilige Stuhl bleibt der Förderung von Frieden und
Gerechtigkeit in Israel und Palästina voll und ganz verpflichtet“: Mit diesen
Worten wandte sich der Vatikandiplomat Ettore Balestrero an diesem Mittwoch in
Genf an die Teilnehmer an der 74. Sitzung des UNCTAD-Ausschusses für Handel und
Entwicklung. Die Zwei-Staaten-Lösung könnte dabei einen gangbaren Weg
darstellen, so der Erzbischof. Bei der Sitzung ging es um die humanitäre
Unterstützung für das palästinensische Volk.
Angesichts des „tragischen Blutvergießens in der Region“
betonte der Vatikandiplomat bei der Sitzung des Leitungsgremiums der
Welthandels- und Entwicklungskonferenz, dass der Heilige Stuhl
„unmissverständlich und unwiderruflich“ den „unmenschlichen Terroranschlag“ der
Hamas am 7. Oktober gegen „unschuldige Zivilisten in Israel“ verurteilt habe.
Der Angriff habe zur Ermordung und Verletzung tausender Menschen geführt,
während Hunderte von Geiseln, darunter auch Kinder und ältere Menschen,
genommen wurden. „Meine Delegation bekräftigt den Aufruf von Papst Franziskus
zur sofortigen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln“, so
Balestrero, der weiter darauf hinwies, dass „Terrorismus und Extremismus Hass,
Gewalt und Rache schüren und gegenseitiges Leid verursachen“.
Völkerrecht achten
Zwar erkenne der Heilige Stuhl das Recht auf
Selbstverteidigung an, doch alle Parteien müssten sich an das Völkerrecht
halten und die Verhältnismäßigkeit ihrer Handlungen beachten, so die Mahnung
des Vatikandiplomaten. In diesem Zusammenhang verlieh er der „tiefen Sorge“ des
Vatikans über die „katastrophale humanitäre Situation im Gaza-Streifen“
Ausdruck, die zum Tod „tausender unschuldiger Palästinenser“, darunter „mehr
als 5.000 unschuldige Kinder“, führte. „Dieses unterschiedslose Leiden der
Bevölkerung ist nicht hinnehmbar“, so Balestrero, der im Namen des Heiligen
Stuhls erneut die Öffnung humanitärer Zugänge in den Gaza-Streifen forderte und
auch an die über 100 UNRWA-Mitarbeiter erinnerte, die seit Beginn der
Kampfhandlungen in Gaza ums Leben gekommen sind.
Dank für die Hilfe von UNCTAD für Palästina
Der vorgelegte Bericht zur Unterstützung für das palästinensische
Volk durch die UNCTAD zeige, wie außerordentlich wertvoll diese Hilfe sei,
hatte der Erzbischof eingangs mit Blick auf wirtschaftliche Strategien,
technische Zusammenarbeit und Projekte zum Kompetenzaufbau im privaten wie
öffentlichen Sektor, die durch UNCTAD gefördert werden, gewürdigt. Der Heilige
Stuhl bleibe seinerseits seiner Verpflichtung treu, Frieden und Gerechtigkeit
in Israel und Palästina mit größtmöglichem Einsatz zu unterstützen.
Die Zwei-Staaten-Lösung für den Frieden
Schließlich erneuerte der Vatikandiplomat den Appell von
Papst Franziskus an „alle Parteien, unverzüglich die Waffen niederzulegen“,
denn „jeder Krieg ist eine Niederlage“, der nicht zu Lösungen führe. Die
israelischen und palästinensischen Behörden forderte er auf, „mutig ihr
Engagement für einen Frieden zu erneuern, der auf Gerechtigkeit beruht und die
legitimen Bestrebungen beider Parteien respektiert“. Der Dialog, so begrenzt er
auch erscheinen mag, sei „die einzige praktische Lösung, um der Gewalt in der
Region langfristig ein Ende zu setzen“ und einen Frieden zu erreichen, der auf
einer Zwei-Staaten-Lösung als „gültige Option“ für den Heiligen Stuhl beruhen
könnte. Seine Ansprache schloss Balestrero erneut mit den Worten des Papstes,
der wiederholt dazu aufgerufen hatte, „den Einsatz von Waffen zu stoppen“, der
„niemals zum Frieden“ führen werde. (vn 21)
Krieg in Nahost - Antisemitismus in Deutschland. Was tun gegen den Hass?
Der Krieg in Nahost schreitet voran, das Leid nimmt zu. In
Deutschland breitet sich parallel Antisemitismus weiter aus. Demonstranten
fordern ein Kalifat. Dieser Entwicklung widmet der Bayerische Rundfunk am
Mittwoch einen Themenabend mit Hintergründen und Expertengesprächen im BR
Fernsehen und Online auf BR24.
Der 7. Oktober 2023: Hamas-Terroristen greifen völlig
überraschend aus dem Gaza-Streifen an, ermorden 1.200 Menschen in Israel und
verschleppen über 230 Geiseln. Israel spricht vom schlimmsten Massaker an Juden
an einem Tag seit dem Holocaust. Israel greift als Reaktion die
Terrororganisation Hamas massiv an - zahlreiche Zivilisten, unter ihnen viele
Frauen und Kinder, werden dabei im Gazastreifen getötet. Als Reaktion gibt es
weltweit pro-palästinensische Demonstrationen, aber auch einen sprunghaften
Anstieg antisemitischer Angriffe und Anfeindungen in Europa, Deutschland - und
auch Bayern.
Wo liegen die Ursachen dafür? Wie konnte der Antisemitismus
so schnell
noch aggressiver werden? Wie sind die Wechselbeziehungen
zwischen dem Nahost-Konflikt und dem gesellschaftlichen Klima in Deutschland?
Welche Rolle spielen Vorurteile und Nichtwissen über den Konflikt in Nahost?
Wieviel Kritik an der israelischen Regierung und Kriegsführung ist möglich?
Und: Was kann gegen diesen Hass getan werden?
In Reportagen, Gesprächen und Schalten in die Krisenregion
werden diese Fragen ausführlich in einem großen Themenabend im BR Fernsehen
analysiert und diskutiert. Gäste sind die deutsch-israelische Unternehmerin
Jenny Havemann, der Vorsitzende des Palästina-Forums Bonn, Aref Hajjaj, der
Psychologe und Publizist Ahmad Mansour und Andreas Reinicke, ehemaliger
EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess und jetziger Direktor des
deutschen Orient-Instituts. Es moderieren BR-Chefredakteur Christian Nitsche
und die Leiterin der BR-Auslandsredaktion und langjährige Korrespondentin in
Tel Aviv, Susanne Glass. BR 20
Argentinien. Der Mann mit der Kettensäge
Die Wahl des ultralibertären Javier Milei erzeugt ein
politisches Erdbeben in Argentinien. Der neue Präsident will das Land radikal
verändern. Svenja Blanke
Mit dem überwältigenden Sieg von Javier Milei hat in
Argentinien eine neue politische Ära begonnen. Die große Mehrheit hat die Nase
voll. Die Wut auf das System, auf die Dauerkrise und die wachsende Armut hat
sich durchgesetzt. Am 10. Dezember 2023, wenn der neue Präsident sein Amt
antreten wird, beginnt eine neue Zeitrechnung: Milei will die versprochene
Kettensäge an den öffentlichen Ausgaben ansetzen, was bedeutet, dass die
ökonomisch bereits Abgehängten noch stärker verlieren werden. Der Peso könnte
durch eine gewollte Hyperinflation so absacken, um irgendwann zu
„dollarisieren“. Der neue Präsident wird den menschengemachten Klimawandel
leugnen. Wissenschaft und Kultur werden ohne staatliche Unterstützung in Gefahr
gebracht werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arbeitswelt werden
negiert werden. Erkämpfte Rechte wie gleichgeschlechtliche Ehen oder legale und
nicht gesundheitsgefährdende Abtreibungen werden in Frage gestellt. Die
Verbrechen gegen die Menschlichkeit der letzten Militärdiktatur kleingeredet
und nivelliert.
Der Sieg von Milei übertraf die Prognosen aller Umfragen. Es
ist der Erfolg eines Kandidaten ohne Struktur, der erst vor fünf Jahren mit
ultralibertären Ideen an die Öffentlichkeit trat und seither mit dem Slogan von
2001 „alle sollen abhauen“ herumwettert, der im Zusammenhang des damaligen
Staatsbankrotts aufkam. Argentinien reiht sich mit dem neuen Präsidenten ein in
die Gruppe jener demokratisch verfassten Länder, die von Protesten gegen „das
System“, „die Elite“ oder gegen „die da oben“ geprägt sind und wo man sich mit
einer Stimme für ultrarechte, nationalistische oder rechtsextreme
Systemsprengerà la Donald Trump oder Jair Bolsonaro abreagiert. Mileis Erfolg
stellt nach vier Jahrzehnten demokratischer Erfahrung die gesamte politische
Klasse in Frage. Denn nicht nur hat Milei in der Stichwahl die wichtigste
politische Bewegung des Landes – den Peronismus – besiegt, sondern er hatte
bereits in der ersten Wahlrunde am 22. Oktober die bürgerlich-konservative
Allianz Juntos por el Cambio abgehängt.
Die Gründe dafür sind zahlreich. Einer davon ist zweifellos
die wirtschaftliche Stagnation, die mittlerweile eine anhaltende Dauerkrise mit
140-prozentiger Inflation ist, und die sich stetig verschlechternde soziale
Lage einer Mehrheit der Wähler in den vergangenen zehn Jahren. Diese Situation
erklärt die Wut auf das, was ist: Das Gehalt, das nicht bis zum Monatsende
reicht, das Krankenhaus, das keinen Termin freigibt, der Bus, der ausfällt.
Milei gelang es, in diesem bedrückenden Kontext einen Funken bei einer breiten
Masse der Wählerinnen und Wähler zu entzünden. Erklärungen oder Details bot er
nicht. Er zog es vor, mit einfachen Slogans zu überzeugen, er schrie, er
beleidigte unflätig alle und jeden, er gestikulierte, zog durch Instagram und
TikTok und bot der breiten von der bisherigen Politik enttäuschten Masse ein
Ventil für ihren enormen Frust. Er verstand es, das Unbehagen der
Öffentlichkeit aufzugreifen und in Stimmen zu verwandeln, in einer für den
populistischen Impuls typischen Operation.
Nach der ersten Wahlrunde wurde Milei betont moderater, weil
er durch die Unterstützung des traditionell konservativen Lagers die Interessen
der bürgerlichen Eliten mit bedienen musste. Und diese sind nicht durch
Radikalvorschläge wie den freien Handel von menschlichen Organen oder
Rockästhetik zu überzeugen. Während er anfangs mit einer Kettensäge und
einfachen Sprüchen Wahlkampf betrieb, versuchte er in den vergangenen vier
Wochen von bestimmten radikalen Vorschlägen Abstand zu nehmen: keine
Privatisierung der Bildung oder Gesundheit zum Beispiel. Sein Wahlsieg vom
Sonntag ist nicht mehr allein durch das populistische rechte Spektakel zu
erklären, sondern durch das nach der ersten Wahlrunde rasch entstandene Bündnis
zwischen der gescheiterten Kandidatin Patricia Bullrich, dem ehemaligen
Präsidenten Mauricio Macri (der 2018 das IWF-Megadarlehen aufnahm) und Milei.
Etwa ein Viertel der 55,7 Prozent Wählerstimmen für Milei kamen in der
Stichwahl daher von klassischen bürgerlichen und konservativen Wählerinnen und
Wählern, die den Peronismus grundlegend ablehnen.
Doch was wird sich nun genau verändern? Welche Ankündigungen
kann er überhaupt durchsetzen? Mileis Programm steht für radikalen
marktwirtschaftlichen Umbau, der durch Abbau staatlicher Funktionen sowie durch
Privatisierung und einen freien Markt ohne soziale Abfederungen Wohlstand für
den Einzelnen generieren möchte. Einer solchen Politik unterzog sich
Argentinien bereits in den 1990er Jahren, damals mündete sie in Staatsbankrott
und Regierungskollaps. Seine ersten Maßnahmen als Präsident, so verkündete
Milei am Tag nach der Wahl, werden die Privatisierung aller öffentlichen Medien
sein, die er als Propaganda-Instrumente bezeichnet, sowie die erneute
Privatisierung des 2012 teil-verstaatlichten Ölunternehmens YPF. Die „Märkte“
nahmen diese Ankündigungen wohlwollend auf. Die Wall Street reagierte mit einem
bis zu 40-prozentigen Kursanstieg verschiedener argentinischer Aktien. Milei
scheint eine Hyperinflation befeuern zu wollen, um seinen Plan voranzutreiben,
den US-Dollar einzuführen. Je billiger der Peso, desto besser für ihn – und man
rechnet mit dem Ärgsten: eine Entwertung von 1050 Prozent im günstigsten und
bis zu 3150 Prozent im gravierendsten Fall. Die verheerenden Auswirkungen auf
die ärmsten und mittleren Einkommensgruppen kann man sich ausmalen. Die
nächsten Tage werden chaotisch, viele werden versuchen, ihre Pesos noch zu
halbwegs günstigen Kursen zu verkaufen.
Die politische Landschaft – die Dominanz eines progressiven
und eines konservativen Lagers – ist durch den Wahlsieg bereits aufgebrochen.
Während der progressive und moderate Peronismus seine Niederlage begreifen und
aufrichtige Schlüsse daraus ziehen muss, ist das bürgerliche Lager schon
zerfallen. Ein Teil wird mitregieren, in der Hoffnung, Milei einzunorden, der
andere Teil wird spontane Bündnisse im Kongress eingehen. Eine eigene Mehrheit
hat Mileis Partei nicht, mit 39 Abgeordneten stellt sie nur die drittgrößte
Fraktion. Findet er keine Mehrheit, bleibt Milei im Präsidialsystem das
Regieren per Dekret.
Außenpolitisch wird es unter Milei einen Richtungswechsel
geben. Traditionell reist ein neu gewählter Präsident Argentiniens als erstes
zum großen Nachbarn Brasilien. Milei hat bereits bekannt gegeben, dass seine
erste Auslandsreise noch vor Amtsantritt in die USA gehe und im Anschluss nach
Israel. Der Klimawandelleugner Milei betont, dass die „freie westliche Welt“
sein bevorzugter Bündnispartner sei, von unabhängigen Positionen eines Landes
des Globalen Südens hält er nichts. Brasiliens Präsident Lula ist für Milei
„korrupt und kommunistisch“ und ein Treffen mit diesem demnach kein prioritäres
Ziel (obwohl Brasilien Argentiniens Haupthandelspartner ist). Der brutale
Angriff der Hamas auf Israel und der Krieg im palästinensischen Gazastreifen
hat im argentinischen Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt, obwohl 21 entführte
Geiseln den argentinischen Pass besitzen. Nur einmal kritisierte der
ultralibertäre Javier Milei seinen Kontrahenten Massa wegen der zu „weichen“
Haltung der aktuellen Regierung in diesem Konflikt. Milei versprach hingegen,
die Hamas als terroristische Organisation einzustufen.
China ist für Milei kommunistisches Teufelszeug – dass China
Argentiniens zweitwichtigster Handelspartner ist und in den letzten Monaten mit
Krediten half, scheint irrelevant oder wird vom Outsider Milei erst in der
Regierungs-Realität wahrgenommen werden. In Unkenntnis seiner Funktionsweise
glaubt Milei, der internationale Handel gehöre in private Hände. Jair Bolsonaro
hatte bereits die unvermeidliche Last der Realpolitik zu spüren bekommen. Als
er 2019 Präsident wurde, dauerte es nicht lange, bis er seine aufrührerische
Rhetorik gegenüber Peking beiseitelegte und Xi Jinping sogar einen offiziellen
Besuch abstattete.
Argentinien wird unter Milei trotz der ausgesprochenen
Einladung nicht den BRICS+ beitreten. Unklar ist die Politik gegenüber dem Mercosur.
Die Krise des Mercosur könnte sich unter Milei daher verschärfen: Er möchte
gerne austreten, seine designierte Außenministerin Diana Modino (die keine
diplomatischen Erfahrungen hat) hingegen nicht. Wenn sie sich durchsetzt,
könnte die neue Regierung getreu ihrer libertären Maxime eine Debatte über die
Erneuerung des Blocks und eine stärkere Liberalisierung des Handels innerhalb
des Mercosurs anstoßen.
Kulturell-politisch hat Milei schon während des langes
Wahlkampfs Veränderungen angestoßen. Argentiniens Aufarbeitung der
menschenverachtenden Verbrechen der Militärdiktatur und die entsprechende
Erinnerungskultur sind vorbildlich und demokratischer Konsens. Doch die neue
Vizepräsidentin, Victoria Villaruel, Tochter eines Militärs aus der Zeit der Diktatur,
stellt diesen provozierend in Frage: Sie relativiert die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit der Militärdiktatur und setzt sie mit den gewaltsamen Aktionen
der linksgerichteten Guerrilla der 1970er Jahre gleich. Die Kultur der
Erinnerung und Aufarbeitung von Verbrechen des eigenen Landes, die in
Demokratien zum Kulturgut gehören, ja, zum Qualitätsmesser, das ist Milei
fremd. Milei spricht stets von Freiheit, nie von Demokratie. Auch mangelt es an
Toleranz gegenüber Andersdenkenden.
Die argentinische Demokratie ist stark aufgrund ihrer
aktiven und resilienten Zivilgesellschaft. Doch wie groß wird der Spielraum für
Proteste auf der Straße sein? Milei tritt an, Argentinien radikal zu verändern.
Zu erwarten sind im 40. Jubiläumsjahr der Demokratie in Argentinien eine noch
stärkere Polarisierung der Gesellschaft, soziale Misere und die marktradikale
Plünderung aller Ressourcen ohne Umweltstandards. IPG 20
Jusos fordern von Scholz Kursänderung in der Flüchtlingspolitik
Unter Kevin Kühnert galten die Jusos als Krawalltruppe. Doch
zuletzt wurde es still um den SPD-Nachwuchs. Nun gibt es einen neuen
Vorsitzenden: Philipp Türmer. Für Kanzler Scholz könnte es unbequem werden. Ein
Streitthema: Die Flüchtlingspolitik. Von Kilian Genius
Viel gehört hat man von den Jusos in den letzten Jahren
nicht – bis vor ein paar Wochen. Da fanden sie deutliche Worte – und die
richteten sich ausgerechnet an ihren Genossen, an Bundeskanzler Olaf Scholz.
Der hatte im „Spiegel“ Abschiebungen „im großen Stil“ in Aussicht gestellt. Die
Jusos waren erzürnt: „Eine Forderung direkt aus dem Vokabular des rechten
Mobs“, postete die SPD-Jugend auf X (vormals Twitter). „Ich könnte kotzen bei
diesem Zitat“, schrieb der damalige Juso-Vize Philipp Türmer.
Zum ersten Mal seit Scholz zu ihrem Kanzlerkandidaten gekürt
wurde, gehen die Jusos, und damit überhaupt Teile der SPD, den Kanzler so laut
an. Kann dieses neue Selbstverständnis zwei Jahre vor der Bundestagswahl ein
Problem für Scholz werden – ähnlich wie es der frühere Juso-Chef Kevin Kühnert
mit seiner „No GroKo“-Kampagne einst war?
Der neue Juso-Chef, der an diesem Freitag in Braunschweig
gewählt wurde, spricht dafür. Türmer, 27, aus Hessen scheut keine Kritik am
Kanzler. In den Zeitungen der Funke-Mediengruppe kündigte er einen scharfen
Kurs gegen Scholz an: „Ich halte es für dringend notwendig, dass wir Jusos den
Kanzler und seine Linie ab sofort deutlich kritischer begleiten.“
Jusos als linkes Korrektiv
Türmer sei „laut, kritisch und links“, sagt
Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze der Deutschen Presse-Agentur.
Heinze ist Sprecherin des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen
Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) und Akademische Rätin an der
Universität Trier. Inhaltlich verfolge er das Ziel, die Jusos als klar linkes
Korrektiv in der SPD zu positionieren.
Türmer, ein Juso-Urgestein, will die Verteilungsfrage
stellen. Dafür brauche es eigenständige Jusos, die mehr Konflikt mit der Partei
suchten, meint er. „Wenn ich den Eindruck habe, dass der Kanzler keine sozialdemokratische
Politik macht, dann werde ich mich auch hart von ihm abgrenzen.“
Kurswechsel
Das ist ein ganz anderer Kurs als der von Jessica Rosenthal,
der bisherigen Juso-Chefin. Sie stand für einen deutlich ruhigeren Führungsstil
als etwa ihr Vorgänger Kühnert. 2021 zog Rosenthal in den Bundestag ein, führte
die Jugendorganisation aber weiter. „In einer solchen Konstellation ist es viel
schwieriger Kritik zu äußern als ohne Mandat“, sagt Heinze.
Es gibt Leute in der SPD, die sagen, Kühnerts Fußstapfen
seien zu groß gewesen. Unter Rosenthal habe eine klare Linie gefehlt. Sie habe
die Chance verpasst, die „49ers“ im Bundestag zu organisieren. 49 der 206
SPD-Abgeordneten waren zum Zeitpunkt der Bundestagswahl unter 35 Jahren alt –
also Jusos. Doch der Effekt der jungen Wilden verpuffte, die vermeintlich linke
Revolution im Parlament blieb aus.
Rosenthal zieht sich als Juso-Vorsitzende zurück, weil sie
ein Kind bekommt. Mit ihrer Leistung an der Spitze der SPD-Jugendorganisation
ist sie zufrieden: „Wir haben deutlich gemacht: Es reicht uns nicht, dass
andere über unsere Zukunft entscheiden. Wir wollen mitentscheiden“, sagt sie.
Forderungen der Jusos hätten sich auch im Koalitionsvertrag wiedergefunden: die
Abschaffung des Paragrafen 219a, die Cannabis-Legalisierung, die Einführung des
Bürgergelds oder die Ausbildungsplatzgarantie.
Streitpunkt Migrationspolitik
Nun aber stehen die Jungsozialisten nicht nur vor einem
Führungswechsel, sondern auch vor einem Richtungswechsel. „Ich gehe davon aus,
dass von den Jusos wieder mehr Krawall kommen wird, spätestens auf dem
Parteitag im Dezember“, sagt Heinze. Die größten Streitpunkte dürften die
Migrations- und Asylpolitik sowie der Umgang mit den starken Umfragewerten der
AfD sein. „Dass die Jusos mit der Forderung des Bundeskanzlers nach mehr
Abschiebungen nicht einverstanden sind, haben sie ja bereits deutlich gemacht.“
In den Programmen von Jusos und SPD gebe es deutliche Unterschiede – so dass
Reibereien zwischen Jugend und Mutterpartei abzusehen seien.
SPD-Chefin Saskia Esken verteidigte die Migrationspolitik
von Scholz. Das „Spiegel“-Cover habe sie auch erschreckt, sagte Esken am
Samstag beim Bundeskongress der SPD-Jugend in Braunschweig. „Aber wenn man das
ganze Interview des Kanzlers liest, dann kann man den ganzheitlichen Ansatz der
Migrationspolitik der Ampel schon erkennen. Die Sprache, die Sprache ist unser
Problem“, sagte Esken. Sie betonte, die migrationsfeindliche Stimmung sei eine
große Gefahr für Deutschland. Nun brauche es mehr Ordnung und Humanität. „Unser
Problem ist nicht die Migration, unser Problem ist die große Ungleichheit im
Land“, betonte Esken.
Keine Annäherung in Sicht
Bundeskanzler Scholz stellt sich dieser Konfrontation
vorerst nicht. Zum zweiten Mal in Folge schwänzt er den Juso-Bundeskongress –
die Einladung nach Braunschweig hat der Kanzler aus terminlichen Gründen
ausgeschlagen. Dass er nicht kommt, spreche ebenfalls „für die konflikthafte
Beziehung zwischen Jusos und SPD“, sagt Wissenschaftlerin Heinze.
Viele Jusos sind nicht begeistert. Doch Scholz werde den
neuen Wind schon spüren, meint Türmer. Er sei sich sicher, „dass die
Botschaften und Forderungen der Jusos von diesem Kongress so laut sein werden,
dass er sie – egal wo er gerade ist – wahrnehmen wird“. (dpa/mig 20)
DAAD und Bundesbildungsministerium starten Fachkräfte-Initiative
Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) startet eine
Initiative zur Anwerbung internationaler Studierender und Graduierter und ihrer
Qualifizierung als zukünftige Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt. Das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt die neue
Initiative bis 2028 mit insgesamt knapp 120 Millionen Euro.Bonn, Berlin.
„Deutschland steht auf Platz drei im weltweiten Ranking der beliebtesten
Studienländer. Für eine Vielzahl internationaler Studierender waren die guten
Aussichten auf einen späteren beruflichen Verbleib bereits in der Vergangenheit
ein wesentlicher Faktor bei der Entscheidung für Deutschland als Studienort.
Mit der ‚Campus Initiative internationale Fachkräfte‘ wollen wir internationale
Studierende in ihrem Studium und beim Übergang auf den deutschen Arbeitsmarkt
passgenau unterstützen. Denn wir brauchen dringend mehr kluge Köpfe und
fleißige Hände für Wachstum und Wohlstand in unserem Land“, sagte
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
„Die deutschen Hochschulen sind nachweislich hochattraktive
Leuchttürme für die Fachkräftezuwanderung aus aller Welt: Deutschland ist
inzwischen das drittattraktivste Land weltweit für internationale Studierende
und Promovierende. Mit der Initiative weiten wir die Möglichkeiten unserer
Mitgliedshochschulen aus, internationale Talente während des Studiums, beim
Studienabschluss und dem Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt zu
qualifizieren und zu betreuen. Damit stärken wir die Integration
internationaler Studierender an den Hochschulen und in unserer Gesellschaft.
Zugleich tragen wir dafür Sorge, dass junge Menschen aus aller Welt nach einem
erfolgreichen Studienabschluss bessere Karrieremöglichkeiten in Deutschland
erhalten und zur Linderung des Fachkräftemangels beitragen“, sagte
DAAD-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee.
Hintergrund
Die Initiative umfasst zwei Programme: Im Programm FIT –
Förderung internationaler Talente zur Integration in Studium und Arbeitsmarkt
können Hochschulen internationalen Studierenden in den verschieden Phasen des
Studiums passgenaue Unterstützungsmaßnahmen anbieten. Möglich sind
beispielweise Studienvorbereitungskurse, begleitende Angebote für den
Studienerfolg und zur Integration in Hochschule und Gesellschaft sowie Angebote
für den Einstieg ins Berufsleben. Nach der Auswahl der teilnehmenden
Hochschulen sollen ab Frühjahr 2024 bis zu 70 Projekte gefördert werden. Pro
Projekt stehen bis 2028 rund eine Million Euro zur Verfügung.
Das zweite Programm Profi plus – Akademische
Anpassungsqualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt richtet sich an
internationale Akademikerinnen und Akademiker, die bereits einen ausländischen
Hochschulabschluss und oftmals Berufserfahrung mitbringen. Sie sollen bei der
Anpassung ihrer Qualifikationen an die Erfordernisse des deutschen
Arbeitsmarktes unterstützt werden und so bessere Chancen für ihre Karriere
erhalten. Neben einer zusätzlichen Fachausbildung umfasst dies
Bewerbungscoachings oder berufsbezogene Sprach- und Kommunikationstrainings.
Zudem sollen Teilnehmende im Programm Praxiserfahrung in Unternehmen der
jeweiligen Hochschulregion sammeln und so berufliche Ein- oder
Aufstiegsmöglichkeiten erhalten. Geplant ist die Förderung von bis zu 25
Hochschulprojekten, pro Projekt können bis 2028 rund 700.000 Euro beantragt
werden.
Der DAAD wird die Initiative zudem mit thematisch passenden
Studien und Tagungen wissenschaftlich begleiten. Daad 20
Was sich mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ändert
Der Fachkräftemangel ist riesig und der Arbeitsmarkt
angespannt. Das soll sich nun mit einem neuen Gesetz ändern. Doch was verbirgt
sich dahinter? Und was sagen Verbände dazu? Wichtige Fragen und Antworten im
Überblick. Von Kilian Genius
Fachkräfte werden in Deutschland dringend gebraucht. Die
Lücke auf dem Arbeitsmarkt muss auch durch Zuwanderung geschlossen werden, da
sind sich Politik, Wirtschaft und Fachleute einig. Helfen soll das neue
Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das am 18. November 2023 in Kraft getreten ist.
„Wir schaffen ein modernes Einwanderungsgesetz auf der Höhe
der Zeit und stehen damit im weltweiten Vergleich ganz vorne“, sagte die
Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Reem
Alabali-Radovan (SPD), der Deutschen Presse-Agentur. Das Gesetz sei überfällig
gewesen, mutige Reformen seien zu lange versäumt worden. „Jetzt ist es 5 vor
12.“
Doch was verbirgt sich hinter dem Gesetz? Wichtige Fragen
und Antworten im Überblick:
Gab es so etwas nicht schon?
Ja, seit März 2020 hat Deutschland ein
Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Das Gesetz war von der schwarz-roten Koalition
beschlossen worden, um den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus
Nicht-EU-Staaten zu erleichtern. Jetzt wurde es reformiert, weil immer noch vielerorts
Personal fehlt, vor allem Fachkräfte.
Dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 nicht die
gewünschte Wirkung entfaltet hat, lag auch an der Corona-Pandemie, sagte Pau
Palop-García vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung
(DeZIM). Außerdem sei der bürokratische Aufwand für Ausländer, die als
Erwerbsmigranten nach Deutschland kommen wollen, immer noch hoch.
Was ändert sich nun?
Neu ist die Einführung einer sogenannten Chancenkarte auf
Basis eines Punktesystems. Zu den Auswahlkriterien für arbeitswillige
Einwanderer, die diesen Weg wählen, gehören Sprachkenntnisse, Berufserfahrung,
Alter und Deutschlandbezug. Ausländische Fachkräfte müssen künftig ein
Mindestgehalt von rund 43.800 Euro erreichen, statt wie zuletzt 58.400 Euro
brutto jährlich.
Asylbewerber, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und
eine Qualifikation sowie ein Jobangebot haben, sollen – wenn sie ihren
Asylantrag zurücknehmen – eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft beantragen
können. Bislang musste man dafür erst ausreisen und sich dann vom Ausland aus
um ein Arbeitsvisum bemühen.
Wer als hochqualifizierte Fachkraft aus dem Nicht-EU-Ausland
nach Deutschland kommt, soll künftig nicht nur den Ehepartner und die Kinder
mitbringen dürfen, sondern auch Eltern und Schwiegereltern. Voraussetzung für
den Familiennachzug ist aber, dass der Lebensunterhalt für die Angehörigen
gesichert ist. Sozialleistungen beantragen können die Eltern nicht.
Wie ernst ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt?
Aktuell können Deutschlands Unternehmen rund 1,73 Millionen
offene Stellen nicht besetzen, so das Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) in seiner Quartalsabfrage. Allein bei der Bundesagentur
für Arbeit (BA) sind im Oktober 748.665 unbesetzte Stellen gemeldet. Laut der BA
liegt derzeit die durchschnittliche abgeschlossene Vakanzzeit, um eine Stelle
zu besetzen, bei 153 Tagen. Das spiegele laut BA die Schwierigkeiten vieler
Betriebe wider, trotz steigender Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung
zeitnah passende Arbeits- und Fachkräfte zu finden.
Was sagen Verbände dazu?
In der Pflege und im Handwerk wird händeringend Personal
gesucht. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sieht im Gesetz
aber keine Lösung für das Fachkräfteproblem. „Einerseits, weil der Fachkräftemangel
in den Pflegeberufen weltweit ein Problem ist, andererseits, weil die
Rahmenbedingungen für Pflegefachpersonen in Deutschland nicht attraktiv sind“,
sagte DBfK-Bundesgeschäftsführerin Bernadette Klapper.
„Das beste Gesetz nützt nichts, wenn zu viel Bürokratie zu
bewältigen ist, und wenn es an der Umsetzung hapert“, sagte der Präsident des
Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jörg Dittrich. Vor allem den
kleinen und mittelständischen Betrieben fehle es an konkreten Beratungs- und
Unterstützungsmaßnahmen bei der Suche und Rekrutierung handwerklich
qualifizierter Fachkräfte im Ausland sowie bei der Integration vor Ort.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) mahnte, für
Zugewanderte müssten ausreichend bezahlbarer Wohnraum sowie Schul- und Kitaplätze
für den Familiennachzug zur Verfügung gestellt werden. „Hier darf es nicht zu
neuen Verteilungskämpfen kommen“, sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela
Engelmeier. Nicht aus dem Blick verlieren dürfe man die Menschen, die bereits
hier sind. Sie müssten besser in Arbeit integriert werden. Dazu zählten
Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Ältere, bereits Zugewanderte
und auch Frauen.
Geht das Gesetz weit genug?
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weise in die richtige
Richtung, sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund
(DGB). „Wo es große Fachkräftelücken gibt, bestehen meist aber auch
strukturelle Probleme wie schlechte Bezahlung und schlechte
Arbeitsbedingungen.“ Nun gelte es, vorhandene Potenziale besser auszuschöpfen.
„Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein wichtiges
Willkommens-Signal“, teilte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) mit. Es könne aber nur ein erster Schritt sein. Die Migrationsverwaltung
sei schon jetzt völlig überlastet. „Arbeitskräfte, die bereits einen
Arbeitsvertrag haben und morgen anfangen könnten, warten monatelang darauf
loszulegen.“
Wie groß ist das Interesse?
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bietet
Beratungen für Menschen im Ausland an, die sich für eine Arbeit in Deutschland
interessieren. Im vergangenen Jahr gab es nach Angaben des BAMF 71.409
Beratungen zur Fachkräfteeinwanderung – eine Steigerung von 13 Prozent im
Vergleich zum Vorjahr.
Deutschland sei – trotz der schwierigen Sprache – bei
Fachkräften im Ausland sehr beliebt, sagte Sekou Keita vom IAB. In Umfragen
lande Deutschland häufig auf dem dritten Platz, knapp hinter Kanada und den
USA. „Deutschland zehrt sehr vom Image der starken Wirtschaft mit guten
beruflichen Möglichkeiten“, sagte Keita. (dpa/mig 20)
Tag der Kinderrechte: Gesundheit von Kindern durch die Klimakrise massiv gefährdet?
Kinderärztinnen und -ärzte fordern sofortiges Handeln für
mehr Klimaschutz
Klimawandel gefährdet nicht nur die Gesundheit von Älteren
und kranken Menschen. Auch und gerade Kinder und Ungeborene sind durch die
zunehmende Erderwärmung gefährdet. Todesursache Hitze, so lautet schon jetzt
immer öfter die Diagnose. Jede Hitzewelle lässt die Zahl der Früh- und
Totgeburten ansteigen und kann Ungeborene schon im Mutterbauch schädigen. Die
steigende Erderwärmung, aber auch Luftverschmutzung und Extremwetterereignisse
beeinträchtigen Kinder gesundheitlich deutlich stärker als Erwachsene. Den
genauen Zusammenhängen gehen Kinderärztinnen und -ärzte der Deutschen Allianz
Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG) auf den Grund. Sie stellen am Tag der
Kinderrechte auf der Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr.
Karl Lauterbach in Berlin ihr Positionspapier „Kinder vor den Folgen der
Klimakrise schützen“ vor. Dieses zeigt auf, wie massiv die kindliche Gesundheit
durch die Klimakrise bedroht ist und was aus kinderärztlicher Sicht politisch
dagegen getan werden muss.
Sich für das Recht von Kindern auf eine gesunde Lebenswelt
einsetzend, fordern die Kinderärztinnen und -ärzte am 20. November, dem Tag der
Kinderrechte, die Politik zum sofortigen Handeln auf: „Gesunde Kinder gibt es
nur auf einer gesunden Erde. Nur konsequenter Klimaschutz in allen Bereichen
kann die Gefahren für Kinder mindern“, betont Dr.Michael Hubmann, der
zukünftige Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen e.V.
(BVKJ).
Das Positionspapier zeigt beispielsweise, dass die durch
Hitze steigende Feinstaub- und Ozonbelastung Organschäden bei Kindern
verursachen kann, wie Chemikalien Ungeborene schädigen und welche gravierenden
Folgen die starke UV-Strahlung für die Haut von jungen Menschen hat.
Verschiedene Infektionskrankheiten, Allergien und Asthma, Übergewicht, aber
auch psychische Belastungen wie Depressionen und Angststörungen werden durch
den Klimawandel deutlich zunehmen. Weder auf diese gesundheitlichen noch auf
die psychischen Folgen bei Kindern und Jugendlichen ist unser Gesundheitssystem
ausreichend vorbereitet. Bereits jetzt sorgen sich 80% der Kinder und
Jugendlichen angesichts der Klimakrise um ihre Zukunft.
„Wir Kinderärztinnen und -ärzte sind für die Gesundheit der
Kleinsten in diesem Land verantwortlich. Dieser Verantwortung werden wir nur
gerecht, wenn wir uns für deutlich mehr Klimaschutz stark machen“ sagt Dr.
Antje Herbst, Oberärztin an der Kinderklinik Leverkusen. Daher setzt sich die
Gruppe im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention, wonach Kinder ein Recht auf das
erreichbare Höchstmaß an Gesundheit haben, für konsequente Klimaschutz- und
Klima-Anpassungsmaßnahmen ein.
Zu den Forderungen gehören die drastische Minderung der
Treibhausgasemissionen durch eine rasche und gerechte Energiewende, die
sofortige Umgestaltung der Mobilität zugunsten von ÖPNV, Fahrrad und des
Zufußgehens und die Beschränkung der Verwendung verschiedener Chemikalien und
Plastikstoffe. Die Ärztinnen und Ärzte machen sich in ihrem Positionspapier
zudem die Förderung einer pflanzenbasierten und fleischreduzierten Ernährung
stark, weil diese zugleich klimaschonend und gesundheitsfördernd ist. Zur
Klima-Anpassung seien zudem konsequente Hitze- und UV-Schutz-Maßnahmen für
Kitas, Schulen, Kinder- und Jugendkliniken sowie die Sicherstellung einer
adäquaten medizinischen und psychologischen Versorgung von Kindern und
Jugendlichen dringlich. Notwendig sei auch die Aus- und Fortbildung des dort
tätigen Personals zu den Themen Klima- und Gesundheitsschutz.
Unterstützt werden die Forderungen von 25 Fachgesellschaften
und Verbänden, unter anderem dem Vorstand des BVKJ. Die Verbände repräsentieren
zusammen über 15.000 Mitglieder. Auch das Netzwerk Kinderrechte mit seinen über
100 Mitgliedsverbänden steht hinter den Forderungen des Papiers.?„Kinder und
künftige Generationen werden die Folgen der heutigen politischen Entscheidungen
und unseres Fehlverhaltens in Zukunft tragen müssen. Wir sind dafür
verantwortlich, den Raubbau an ihrer Zukunft und ihren künftigen Lebensgrundlagen
sofort zu stoppen.“ – so Bianka Pergande, Sprecherin des Netzwerks
Kinderrechte.?
Am 20.11.2023 wird das Positionspapier auf der
Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Anschließend wird es Herrn Prof. Dr.
Lauterbach überreicht. Zum Ziel der Gruppe, schärfere Klimaschutzmaßnahmen zum
Schutze der Kinder politisch zu verankern, erklärt AG-Mitglied Dr. Thomas
Lob-Corzilius: „Es kommt auf jedes vermiedene Zehntel Grad an. Das sind wir den
Kindern und allen nachfolgenden Generationen schuldig“.?
Unterstützende Verbände:
Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung im Kindes- &
Jugendalter e.V., Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter
e.V., Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e.V., Berufsverband der
niedergelassenen Kinderchirurgen Deutschlands e.V., Berufsverband der Kinder-
und Jugendärzt*innen e.V., Bundesverband der Kinderzahnärzte, Deutsche Akademie
für Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter e.V.,
Arbeitsgemeinschaft Nachhaltigkeit in der Dermatologie (AGN) e.V., Deutsche
Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V., Deutsche Gesellschaft für
Kinderchirurgie e.V., Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie
e.V., Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie, Gesellschaft für
Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e.V., Gesellschaft für Pädiatrische
Pneumologie e.V., Health for Future, Junge Pädiatrie Baden-Württemberg GbR,
Kindernetzwerk e.V., Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.,
Konsensusgruppe Adipositasschulung für Kinder und Jugendliche e.V.,
Konsensusgruppe Kontinenzschulung im Kindes- und Jugendalter (KgKS) e.V.,
National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der
UN-Kinderrechtskonvention e.V., Stiftung Kind und Jugend, Verband medizinischer
Fachberufe e.V., Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale
Kindergesundheit e.V., Association francaise de pédiatrie ambulatoire,
Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinderärzte
Schweiz. P4F 19
Voll, laut, gefährlich. Kritik an Zuständen in Flüchtlingsunterkünften
Es herrschen Lärm, Enge, Unruhe und Angst - Flüchtlinge sind
bei ihrer Ankunft in Landesunterkünften hohen Belastungen ausgesetzt. Verbände
fordern nun bessere Bedingungen für die Asylsuchenden. Von Dorothea Hülsmeier
Hunderte Menschen auf beengtem Raum, Zelte ohne Privatsphäre
und eine unsichere Bleibeperspektive – der Flüchtlingsrat NRW und die Freie
Wohlfahrtspflege haben die Zustände der Unterbringung von Geflüchteten in
Landesunterkünften angeprangert. „Es herrschen Überfüllung, Unruhe, Angst“,
sagte die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW, Birgit Naujoks, am
Mittwoch in Düsseldorf. Teilweise würden europäische und internationale
Standards nicht eingehalten.
In NRW sind nach Angaben des Flüchtlingsministeriums rund
30.600 Plätze in 45 Sammelunterkünften des Landes belegt. Darunter sind 12
Notunterkünfte. In diesem Jahr haben demnach bereits mehr als 55.500 Menschen
(Stand 31.10.) in Nordrhein-Westfalen Schutz gefunden.
Bei den Landeseinrichtungen handelt es sich laut Flüchtlingsrat
zumeist um Großeinrichtungen mit mehr als 400 Plätzen. Besonders die
Unterbringung in den Notunterkünften des Landes belaste die Menschen körperlich
und psychisch und führe bei vielen zu Frustration. In der
Erstaufnahmeeinrichtung Mönchengladbach sind nach Angaben der Verbände knapp
1.800 Menschen untergebracht, in Soest mehr als 1.300, in der Notunterkunft in
Castrop-Rauxel mehr als 900.
Lage in Notunterkünften besonders belastend
In überbelegten Unterkünften würden auch Räume für
Freizeitangebote regelmäßig zu Schlafsälen umfunktioniert, sagte Naujoks. In
der Erstaufnahme in Köln/Bonn seien sogar in der Mensa Betten aufgestellt
worden. Eine private Unterbringung bei Verwandten oder Freunden sei nicht
erlaubt.
In NRW müssten Schutzsuchende teilweise von ihrer Ankunft
bis zur Zuweisung in eine Kommune, also mehrere Monate, in Notunterkünften
leben, sagte Naujoks. In der Zeltstadt Herne zum Beispiel gebe es keine Türen,
sondern nur Vorhänge. Der Lärmpegel sei hoch. Einige Menschen berichteten von
Gewalt, „und das kriegen die Kinder auch ungefiltert mit“. Die Zelte seien
undicht. Frauen hätten Angst, gerade nachts ihre Kabinen zu verlassen, um etwa
zur Toilette zu gehen. Es gebe keine Spinde, um persönliche Sachen zu
verwahren.
In den Notunterkünften gebe es zwar Sanitätsstationen,
jedoch mangele es an direktem Zugang zu niedergelassenen Ärzten. Die Freizeit-
und Sportangebote für die Geflüchteten sind laut Flüchtlingsrat minimal. Die
Menschen berichteten auch oft, dass sie keine Informationen über
Beratungsangebote bekämen. „In den Notunterkünften gelten nicht die gleichen
Standards wie in den anderen Unterkünften, obwohl die Aufenthaltszeit der
Menschen genauso lang ist“, kritisierte Naujoks.
Die Unterbringung in solchen Unterkünften für viele Monate
mache Schutzsuchende „mürbe, ohnmächtig, krank“, kritisierte auch Eva van Keuk
vom Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete Düsseldorf. Auch fehle eine
„Willkommenskultur“ und Solidarität wie bei der Flüchtlingsankunft 2015/16.
Kinder kommen zu kurz
Nach Ansicht der Freien Wohlfahrtspflege kommen auch die
Belange von Kinder und der Kinderschutz in den Landesunterkünften zu kurz. Es
gebe „nicht einmal kindgerechte Beschwerdemöglichkeiten“, sagte Michael Mommer
vom Arbeitsausschuss Migration. Bildung, Erziehungsberatung und
Jugendsozialarbeit würden von den Behörden oft nicht gewährt. Auch die
gesundheitliche Versorgung von Kindern sei eingeschränkt, und es fehle oft ein
schulnahes Bildungsangebot. Wegen schlechter Finanzierungsbedingungen,
Befristungen und Fachkräftemangels könnten Beratungsstellen in Notunterkünften
oft nicht besetzt werden.
Die Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften der Kommunen
sind nach Darstellung des Flüchtlingsrats dagegen besser als in den
Landesunterkünften. Zwar seien die Menschen dort auch eine gewisse Zeit in
prekären Verhältnissen untergebracht. Aber es gebe Angebote vor Ort und Kontakt
zu Einheimischen, sagte Naujoks. Die Menschen könnten sich um Arbeit kümmern. Die
gesundheitliche Versorgung sei sichergestellt.
Kritik am Flüchtlingsministerium
Die Verbände forderten die Landesregierung auf, die
Flüchtlinge in kleineren Unterkünften und dort auch nur wenige Wochen
unterzubringen. Außerdem müssten ihnen ausreichend Angebote zur Orientierung,
Bildung und für ihre Asylverfahren gemacht werden.
Die Verweildauer in den Landesunterkünften ist gesetzlich
bestimmt auf bis zu 24 Monate. Die im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen
NRW-Landesregierung vereinbarte Verkürzung der Unterbringungszeit auf sechs
Monate sei dagegen nicht in Sicht, sagte Naujoks. Nach Angaben des Ministeriums
beträgt die Aufenthaltsdauer in den zentralen Unterbringungseinrichtungen und
Notunterkünften des Landes in der Regel zwischen 3 und 16 Monaten. In
Einzelfällen könnten es auch bis zu 24 Monate sein.
Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag habe Anlass zur Hoffnung
gegeben, dass sich bestimmte Zustände verbesserten, sagte Naujoks. Aber die
Landesregierung befinde sich nach eigener Aussage jetzt „im Krisenmodus“.
Deswegen würden die Pläne nicht umgesetzt. Naujoks vermutete, dass
Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) zwar „eine andere Einstellung dazu“
habe. Sie halte den von Paul eingeschlagenen Weg zur Entlastung der Kommunen
aber für falsch.
Ministerin Paul räumt Defizite ein
Das Flüchtlingsministerium verwies darauf, dass in diesem
Jahr der „Runde Tisch Migration“ gebildet worden sei, der auch Aspekte der
Unterbringung beleuchte. „Klar ist, ein gewisses Maß an Privatsphäre ist
Voraussetzung, um den Menschen ein Ankommen in Ruhe zu ermöglichen“, erklärte
Ministerin Paul. Angesichts der aktuellen Flüchtlingszugänge sei die erste
Voraussetzung aber, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Daher sei auch die
kurzfristige Unterbringung in Form von Notunterkünften unerlässlich.
Paul räumte ein, dass in den Notunterkünften nicht alle
Standards des Landesgewaltschutzkonzepts zu jeder Zeit eingehalten würden, weil
etwa Frauencafés und Mädchentreffs, Spiel- und Sportmöglichkeiten in manchen
Fällen schwierig kurzfristig zu realisieren seien. Das Land arbeite „mit
Hochdruck“ daran, auch die Aufnahmekapazitäten in den regulären Unterkünften zu
erhöhen.
Zum Regelangebot gehörten für Geflüchtete auch psychosoziale
Erstberatung, ärztliche und zahnärztliche Behandlungen bei akuten Erkrankungen,
Schutzimpfungen sowie medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen. Für Kinder
seien in allen regulären Landeseinrichtungen sowie in den meisten
Notunterkünften Kinderspielstuben eingerichtet und Betreuungsangebote
vorhanden. Das Land arbeitet derzeit an einer Weiterentwicklung. (dpa/mig 17)
Krachende Niederlage. Gericht stoppt Sunaks Asyl-Pakt mit Ruanda
Er werde Flüchtlinge stoppen, hatte Premierminister Sunak
versprochen. Doch sein Plan, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern, wird vom
Obersten Gericht zerpflückt. Nun dürfte der Druck auf den Regierungschef aus
den eigenen Reihen weiter steigen. Von Benedikt von Imhoff und Christoph Meyer
Bei einem seiner wichtigsten politischen Projekte hat der
britische Premierminister Rishi Sunak eine krachende Niederlage vor Gericht
erlitten. Der Oberste Gerichtshof verwarf am Mittwoch die Pläne des
konservativen Regierungschefs als rechtswidrig, „irregulär“ eingereiste
Menschen – gemeint sind Geflüchtete, die mangels legaler Fluchtwege ohne gültige
Einreisedokumente ins Land kommen – ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda
abzuschieben und dort einen Asylantrag stellen zu lassen.
Als wahrscheinlich gilt, dass Rufe des rechten Flügels von
Sunaks Konservativer Partei nach einem Ausstieg aus der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) nun lauter werden. Der Premier kündigte an, er
werde alle Gesetze und internationalen Verpflichtungen im Lichte der
Entscheidung prüfen.
Gericht sieht erhebliche Probleme für Flüchtlinge in Ruanda
Das oberste britische Gericht machte in seiner
Urteilsbegründung umfassend deutlich, dass es das ostafrikanische Ruanda nicht
als sicheres Drittland betrachtet. Dabei berief sich der Supreme Court vor
allem auf Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sowie frühere britische
Angaben über außergerichtliche Hinrichtungen, Todesfälle in Haft sowie Folter
und eine hohe Ablehnung von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien.
Es besteht demnach die Gefahr, dass Geflüchtete keine Chance
auf ein faires Asylverfahren in Ruanda haben und ihnen eine Abschiebung in ihr
Heimatland droht. Das Gericht betonte, nicht nur die EMRK, sondern auch die
Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen und andere Abkommen würden die
Rückführung von Asylsuchenden verbieten.
Stopp der irregulären Migration ist ein zentrales
Versprechen
Sunak hat versprochen, die kleinen Boote zu stoppen, mit
denen Menschen über den Ärmelkanal das Land erreichen. Im vergangenen Jahr
kamen mehr als 45.000 Personen auf diesem Weg nach Großbritannien. Zwar ist
2023 die Zahl bislang niedriger als im Vorjahresvergleich, doch das Versprechen
gilt noch nicht als eingelöst. Der Ruanda-Plan war ein zentraler Bestandteil
von Sunaks Regierungsprogramm – das Urteil ist daher für den Premier ein
weiterer Rückschlag. Seine Tories liegen in Umfragen weit hinter der
Oppositionspartei Labour. Die nächste Parlamentswahl findet spätestens im
Januar 2025 statt.
Vorgesehen war, Geflüchtete künftig ohne Prüfung eines
Asylantrags direkt nach Ostafrika abzuschieben und dort um Schutz suchen zu
lassen. Eine Rückkehr nach Großbritannien war demnach ausgeschlossen. Das
Vorhaben, für das die britische Regierung bereits mehr als 140 Millionen Pfund
an Ruanda gezahlt hat, war im In- und Ausland auf heftige Kritik gestoßen. Das
UNHCR hatte das Vorgehen als Bruch internationalen Rechts verurteilt. Englands
Bischöfe sprachen von einer „Schande für Großbritannien“. Zudem gibt es
Zweifel, ob der erhoffte Abschreckungseffekt tatsächlich eintreten würde.
Rechter Tory-Flügel ist bereits sauer auf Sunak
Die Gerichtsentscheidung setzt Sunak auch in seiner Partei
verstärkt unter Druck. Hardliner wie Vize-Geschäftsführer Lee Anderson
forderten, die Regierung solle das Urteil kurzerhand ignorieren und Geflüchtete
ins nächste Flugzeug setzen. Anderson sprach von einem „schwarzen Tag für die
Briten“. Der rechte Flügel ist ohnehin in Aufruhr, weil Sunak am Montag die
bisherige Innenministerin Suella Braverman gefeuert hatte. Die
Rechtsaußen-Politikerin warf dem Premier daraufhin vor, er habe die Wähler
belogen und das Land betrogen. Braverman will nach Ansicht von Kommentatoren
nach der erwarteten Wahlschlappe selbst Tory-Chefin werden.
Im Parlament kündigte der neue Innenminister James Cleverly
nun einen neuen Vertrag mit Ruanda an. Dabei solle etwa verankert werden, dass
Asylsuchende nicht in ein anderes Land weitergeschoben werden können, sagte
Cleverly. In einem Telefonat betonten Sunak und der ruandische Präsidenten Paul
Kagame, sie wollten alle Schritte unternehmen, um eine „robuste und rechtmäßige
Politik“ sicherzustellen. Doch gilt es selbst im Falle eines neuen Vertrags als
unwahrscheinlich, dass bald ein Flugzeug nach Ruanda abhebt. Kommentatoren
betonten, der Supreme Court habe institutionelle Probleme in Ruanda kritisiert.
Britische Regierung verweist auf Debatte in Deutschland
Cleverly sagte, dass andere Länder in ihrer Asylpolitik dem
britischen Beispiel folgen würden und verwies auch auf Deutschland. Zuletzt
hatte es in der EU und in Deutschland Forderungen nach der Auslagerung von Asylverfahren
in Drittländer gegeben. Der Bund bekräftigte dabei auch auf Drängen der
Ministerpräsidenten, er wolle Asylverfahren außerhalb Europas prüfen. Ein
Bund-Länder-Beschluss geht hier allerdings nicht ins Detail. Die
SPD-Ministerpräsidenten machten aber deutlich, sie könnten sich allenfalls
vorstellen, dass Asylgesuche noch vor der Einreise geprüft werden. Ein
One-Way-Ticket nach Ruanda, wie es Großbritannien plant, lehnten sie ab.
Italien vereinbarte kürzlich mit Albanien den Aufbau von
zwei Zentren in dem Balkanstaat zur Aufnahme von Geflüchteten. Menschen, die
von Schiffen der italienischen Behörden gerettet werden, sollen in Albanien ihr
Asylverfahren zu durchlaufen. Nur Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird,
sollen dann nach Italien gebracht werden. (dpa/mig 16)
ifo Institut: Die meisten Unternehmen wollen aktuelle Homeoffice-Vereinbarungen behalten
München – Die meisten
Unternehmen in Deutschland, 84 Prozent, wollen ihre gegenwärtigen Regeln zum
Homeoffice beibehalten. Das geht aus einer Umfrage des ifo Instituts hervor.
„Dies gilt in allen Wirtschaftszweigen sowie bei kleineren, mittleren wie
größeren Unternehmen gleichermaßen“, sagt ifo-Forscher Simon Krause. Nur
jeweils 8 Prozent der Firmen möchte ihre Homeoffice-Regeln noch verändern.
„Trotz der öffentlichen Debatte um die Rückkehr ins Büro hat sich das
Homeoffice in der Arbeitswelt fest etabliert“, fügt Krause hinzu.
Weitere Flexibilisierung beim Homeoffice sind vor allem in
der Medienbranche (23,9 Prozent) und in der Warenherstellung (19,4 Prozent)
beabsichtigt. Beschränkungen planen insbesondere die Textilhersteller (19,6
Prozent), die Pharmaindustrie (16,3 Prozent) und Informationsdienstleister
(16,2 Prozent).
„Wir ermitteln seit April 2022 eine gleichbleibende Quote
von einem Viertel aller Beschäftigten im Homeoffice“, ergänzt ifo-Forscher
Jean-Victor Alipour. „Angesichts der neuen Umfrageergebnisse erwarten wir
keinen Rückgang.“ Denn aktuell haben 34,1 Prozent aller Firmen eine
Betriebsvereinbarung zu Homeoffice geschlossen und weitere 15,4 Prozent nutzen
Regelungen auf Bereichs- oder Teamebene. 29,1 Prozent arbeiten mit
individuellen Vereinbarungen. 31,2 Prozent haben keine Regelung oder gar kein
Homeoffice.
Hinter den Durchschnittszahlen verbergen sich große
Unterschiede. Eine Betriebsvereinbarung haben 49 Prozent der
Industrieunternehmen und 32,6 Prozent der Dienstleister, aber nur 12,3 Prozent
der Firmen im Handel und 17,1 Prozent in der Baubranche. Regelungen auf
Teamebene und individuelle Vereinbarungen finden sich in etwa gleichmäßig in
allen Wirtschaftsbereichen. In der Baubranche (54 Prozent) und im Handel (50,8
Prozent) ist der Anteil der Firmen mit keiner Regelung bzw. keiner
Homeoffice-Möglichkeit deutlich höher als im Dienstleistungssektor (31,2
Prozent) und in der Industrie (18,1 Prozent).
Großunternehmen haben mit 55,3 Prozent deutlich häufiger
eine Betriebsvereinbarung als kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) mit 23,8
Prozent. Spiegelbildlich liegt der Anteil der KMUs ohne Homeoffice-Regelung
oder -Möglichkeit mit 39,4 Prozent über dem der Großunternehmen (13,1 Prozent).
Die Regelungen auf Teamebene sind verbreiteter in Großunternehmen (23,2
Prozent) als in KMUs (12,1 Prozent), während KMUs (31,9 Prozent) eher als
Großunternehmen (23,3 Prozent) auf individuelle Regelungen setzen.
Die repräsentative Umfrage wurde unter mehr als 9.000
Unternehmen in Deutschland im August 2023 durchgeführt.
Aufsatz: „Kein Homeoffice ist auch keine Lösung“, von
Jean-Victor Alipour, in: ifo Schnelldienst 10/23: https://www.ifo.de/publikationen/2023/aufsatz-zeitschrift/kein-homeoffice-ist-auch-keine-loesung ifo 16
Newsletter VERSO SUD und besondere italienische Filmvorführungen
Seit Mitte letzter Woche liegt der gedruckte
Verso-Sud-Katalog bei uns aus, und übermorgen am Freitag 24.11. startet die 29.
Ausgabe des Festivals! Der Eröffnungsfilm ist ausverkauft und es wird
allenfalls noch einzelne Restkarten geben. Für sämtliche anderen Vorführungen
gibt es derzeit allerdings noch Karten! Manche davon füllen sich aber
zunehmend, und wir freuen uns, dass das diesmal besonders vielfältige und
umfangreiche Programm auf positive Rückmeldungen stößt.
Besonders möchten wir Ihnen empfehlen, sich die Gelegenheit
nicht entgehen zu lassen, am Samstag 25.11. um 15:30 Uhr den selten
gezeigten ATTO DI DOLORE (1990) zu sehen, in dem Claudia Cardinale als
verwitwete Mutter, die ihren jugendlichen Sohn vor der Drogensucht bewahren
will, eine ihrer eindrucksvollsten schauspielerischen Leistungen zeigt! Ihre
Tochter Claudia Squitieri wird anwesend sein, eine Einführung halten und den
sehr schönen neuen Kurzfilm UN CARDINALE DONNA (mit und über Cardinale,
mit Eindrücken aus Vergangenheit und Gegenwart) persönlich vorstellen. Nicht
verpassen!
Außerdem wird am Samstag 25.11. abends sowohl um 18:30 Uhr
als auch um 21:15 Uhr der junge Regisseur Fulvio Risuleo, dessen IL COLPO
DEL CANE (Der ganz große Coup) vor einigen Jahren bei Verso Sud zu sehen war,
seinen neuen Film NOTTE FANTASMA (Ghost Night) persönlich präsentieren.
Auf zwei Filme aufstrebender Regisseurinnen möchten wir am
ersten Wochenende besonders hinweisen: Am Freitag, 24.11., um 21:30 Uhr zaubert
BEATA TE (Der Erzengel und ich) von Paola Randi aus einer absurd-märchenhaften
Ausgangssituation mit charmanter Leichtigkeit eine Komödie, die bereits
Publikumspreise gewonnen hat.
Am Sonntag, 26.11., um 19 Uhr in IL PARADISO DEL
PAVONE (Das Pfauenparadies) von Laura Bispuri, die schon mit VERGINE
GIURATA und FIGLIA MIA bei Verso Sud vertreten war, lässt durch Zufall ein Pfau
die Geheimnisse einer Familie ans Licht kommen.
Bei der Hommage an Claudia Cardinale möchten wir auf zwei
besondere Werke von herausragenden Regisseuren, die heute zu Unrecht nicht mehr
so bekannt sind wie die ganz großen Regie-Namen, besonders hinweisen:
Am Montag, 27.11. um 20:30 Uhr zeigt Mauro Bologninis
subtile Studie der Leidenschaften SENILITÀ (Hörig, 1962) eine freigeistige
junge Claudia Cardinale, die einem Büroangestellten gehörig den Kopf verdreht.
Am Donnerstag, 30.11., um 20:30 Uhr steigert sich in
Antonio Pietrangelis herrlich bissiger und wunderbar gespielter Satire IL
MAGNIFICO CORNUTO (Der große Hahnrei, 1964) ein überspannter Ugo Tognazzi
in einen absurde Blüten treibenden Wahn, dass ihn seine Frau Claudia Cardinale
betrügen könnte, und malt sich in seiner Fantasie immer verrücktere Situationen
aus, wie und wo das passieren könnte.
Das gesamte Festivalprogramm mit allen
Filmbeschreibungen und Vorführterminen finden Sie in unserem Festivalkatalog,
der gedruckt ausliegt und den Sie online als PDF hier finden: https://www.dff.film/wp-content/uploads/2023/11/WEB_dff_versosud29_programmheft-2023.pdf
Das gesamte Programm mit Kurzbeschreibungen und der
Option zum direkten Kauf von Online-Tickets finden Sie hier: https://www.dff.film/kino/kinoprogramm/filmreihen-specials-november-2023/29-verso-sud/
Abholfrist für reservierte Tickets: Für die lediglich
an der Kasse reservierten Tickets gilt, dass diese wie in den letzten Jahren
mindestens zwei Tage vor der Vorstellung abgeholt werden müssen. Nicht
abgeholte Tickets gehen am Vortag der Vorführung wieder in den freien Verkauf.
Diesen Freitag geht es los - begleiten Sie uns auf eine
Reise durch das italienische Kino der Gegenwart und durch die vielseitige
Karriere von Claudia Cardinale!
das Kinoteam des DFF